“Mitunter ist man so alt wie man sich fühlt. Aber meistens ist man älter.” * Textzitat Elke Heidenreich, Altern *
Das Alter ist nur eine Zahl, höre ich. Immer öfter. DAS Alter, denke ich. Welches Alter meinen wir, wenn wir sagen DAS Alter? Achtzig ist das neue Sechzig? Sechzig das neue Vierzig? Wann ist man alt? Man ist so alt wie man sich fühlt. Aha. Wer mit Sechzig aus dem Arbeitsleben aussteigt hat noch dreißig Jahre Nichtstun vor sich, meint Elke Heidenreich in ihrem aktuellen Essay Altern. Oha, eine steile These, finde ich. Mache mir bewusst, dass nicht jeder DAS Alter unter gleichen, oder auch unter privilegierten Umständen, nicht in gleich guter Konstitution erreichen kann. Altern ist ein Prozess der für jeden von uns beginnt, der älter werden darf und für jeden anders. Die Merkfähigkeit lässt nach, man bemerkt mehr und mehr Falten, das Wort Ruhestand taucht auf. Der Unruhestand, witzeln die Kollegen. Man fragt sich, wie man ihn füllen will, diesen letzten Abschnitt und da ist es dann auch das Wort “letzter”. Das Wucht hat, wenn man es nicht entkräftet.
Elke Heidenreich, wäre nicht die, die wir schätzen, würde sie nicht mit der ihr eigenen Lakonie auch vom Altern erzählen, ihre Feder spitzen um zu provozieren. Ich schmunzle, um bei einem nächsten Satz dann den Kopf zu schütteln oder die Achseln zu zucken. Viele kluge Gedanken hat sie da gesammelt, immer wieder verweist sie auf die Literatur und meine Verehrung für ihre Belesenheit, die sie auch diesmal wieder eindrücklich unter Beweis stellt, ist ungebrochen. Heidenreich, mittlerweile Einundachtzig, koketiert kein bisschen damit. In Altern blickt sie zurück, auf ein erfülltes Leben, auf einen spannenden Beruf, viele Reisen und Begegnungen. Auf Freunde, Ehemänner, Liebhaber, ihr Elternhaus, überstandene schwere Krankheiten, auf aktuelle Gebrechen, auf das was sich angesammelt hat in Keller und Speicher. Notizen, Tagebücher, Dinge, die nur für sie einen Wert haben, wie etwa eine leere Dose Veilchenpastillen, oder ein kleiner Kochtopf …
Altern von Elke Heidenreich
Eine Kindheit in den 50er Jahren, die Eltern überfordert, Lehrer die Ohrfeigen genauso nutzten wie Vater und Mutter, um durchzusetzen was sie für richtig hielten, die gab es gratis. Ein Hadern mit Versöhnung, ein Kampf mit der Mutter bis zuletzt, ein Thema über das Elke Heidenreich nur schwer schreiben kann, vertraut sie uns Lesenden an und ich verstehe sie. Fechte meine eigenen Kämpfe aus. Auch in meinem Leben gibt es keine Kinder, keine Enkel. Auch ich altere anders als diejenigen, die in einem Familienverbund aufgehoben sind. Es ist, wie es ist und braucht andere Entscheidungen, aber kein Bedauern. Der eigene Lebensentwurf ist nicht weniger wert als der Anderer, nur weil er ein anderer ist. Niemand steht zu ihn herabzusetzen, genauso wenig wie man einen alten Menschen zu entwürdigen hat.
Den nachfolgend zitierten Gedanken von ihr nehme ich mir mit und auch einige der, für mich diesmal zugegeben etwas inflationär, eingestreuten Zitate kluger Köpfe. Darunter Literaten, Filmemacher und Dichtende, unter anderen Lindgren und Kafka, Brecht und Goethe, de Beauvoir und Walser, Rilke und Cohen:
“Aus der Summe glücklicher Augenblicke setzt sich das Glück des Lebens zusammen und diesem Glück bin ich heute doch viel näher als mit Zwanzig.”
*Textzitat Elke Heidenreich, Altern*
Wo sie recht hat, hat sie recht die Elke Heidenreich, auch mir fällt genau das heute leichter. Innezuhalten, hinzuschauen, manchmal auch einfach mal die Augen zu schließen, um nur zu spüren. Was diesen Moment besonders macht. Weniger Erlebnisdruck zu haben, wenn ich unterwegs bin, dafür lieber mal zu verweilen.
Gern bin ich ihr durch ihre Gedankengänge gefolgt, habe mit ihr “gefährliche” Koffer geöffnet, der Inhalt hat Brisanz! Auf sinnstiftende Tätigkeiten, respektive ihr Fehlen, auf mangelnde Altersversorgung, auf Armut im Alter. Habe mit ihr die Apotheken-Umschau durchgeblättert, das Fitnessstudio besucht und wegen Wiederholungen von Turnübungen verhandelt.
Stand überfordert mit ihr in Amsterdam vor dem Van Gogh Museum. Kein Eintritt ohne Vorausbuchung eines Time Slots, ohne Vorauszahlung, dann QR-Code aufs Handy, als Eintrittskarte. Heidenreich brauchte Hilfe. Wie gut wenn man da jemanden im Gefolge hat, der unterstützen kann. Sonst braucht es hilfsbereits Passanten. Ähnlich stand ich zuletzt vor der Kathedrale von Palma und kam ohne dieses Prozedere nicht hinein, gab schließlich entnervt auf, weil die Website am Ende nicht funktionierte. Wir müssen Schritt halten, sonst fallen wir aus der Welt. Fallen heraus aus einer, die mehr und mehr zu einer komplett digitalisierten, komplizierten wird. Eine mit ohne Bankschalter und Ansprache.
Als lebensklug, augenzwinkernd und mutmachend, ja ein bisschen auch altersweise, so habe ich ihre Gedanken zum Altern empfunden. Lesen, ich würde sagen lieber von ihr vorlesen lassen, kann man sie sich in jedem Alter. Wer aber so wie ich und in meinem, auf diese Lebensphase schaut, ich blättere in ein paar Monaten das 57. Jahreskalenderblatt um, dem sind viele ihrer Gedanken vertraut. Nicht zu hadern, sondern einzuordnen, bisweilen auszuhalten, weil Fehler dazugehören, auch jetzt. Weil niemand uns versprochen hat, das es einfach werden wird. Mit der Zeit, dem Alter und auch mit der Angst. Vor dem was kommen mag. Weil auch das in Ordnung ist. Wenn wir ihr nicht die Macht und das Ruder überlassen. Die Furcht vor Krankheit und Abhängigkeit, den geliebten Partner vorzeitig zu verlieren, ist wohl meine größte. Ihr ins Gesicht sehen und weiterzumachen ist die Challenge.
Wie oft ich wohl ihrem Text zustimmend zugenickt, auf meinen eigenen Lebensweg geschaut, meinen Lebensentwurf gewogen und mir vorgenommen habe ernst damit zu mache, nichts zu bedauern. Dazu gibt es keinen Grund, denn neben allem was schmerzt, gibt es vieles was gut ist. Das Alter, da wären wir wieder, bringt Einschränkungen und Vorzüge, sagt sie. DAS will ich sehen. Die Vorzüge. So handeln und jeden Tag nehmen wie er kommt. Ihn annehmen und gestalten. Mir meinen Eigensinn bewahren und mich gleichzeitig weiter in Empathie üben, diese Phase als das neue Normal anzunehmen und ein paar Pläne habe ich schon auch noch …
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