Den Faden verlieren unter einem hässlichen Mond. An der eigenen Wohnung klingeln, in der Mann alleine lebt, den Schlüssel erst dann im Schloss drehen, wenn niemand aufmacht. Mit Julian, der Arzt ist, Bier trinken und Sophia Fotos schicken. Von umgestürzten Teddybären in Schaufenstern. Einen Fuchs im Haus einer fremden Frau entdecken und ihn fürchten. Zunächst.
Der Ich-Erzähler in diesem außergewöhnlichen Roman tut das. Alles. Er ist von Haus aus Informatiklehrer, lehrt aber gerade nicht, ist freigestellt und sammelt. Verluste. Für ein Wörterbuch. Bis er Mascha kennenlernt, die Prepperin ist und mit ihr, in ihr Haus aufs Land zieht. Weil sie ist aktiv. Das was er nicht ist. Sie bereitet sich vor. Auf die nächste Katastrophe. Hortet Lebensmittel und Trinkwasser und Batterien. Für den Fall das. Der Strom wegbleibt. Die Welt untergeht.
Mascha hat er beim Vogelbeobachten kennengelernt, im Internet hatte er ihre Gruppe ausfindig gemacht. Für ihn war es Teil eines Projektes, sein Auftraggeber wollte jetzt doch Vögel in seinem Videospiel haben und dafür brauchte es Informationen und Anschauung. Für sie war es Vögelbeobachten.
Martin Peichl, geboren 1983 im Waldviertel, lebt und schreibt in Wien, arbeitet als Literaturvermittler und Kurator.
Mich hat er in diesem Text sofort abgeholt, bereits seine ersten Sätze setzten sich wie mit Widerhaken in mir fest und wenn Vorsatzblätter ein Buch so gelungen einfassen wie in diesem Fall, dann hat es bei mir schon gepunktet, bevor ich mit dem Lesen überhaupt begonnen habe.
Look und feel der gebundenen Ausgabe find’ ich ungemein ansprechend, ganz ohne Schutzumschlag und ohne Folie ist sie bei mir angekommen und hat bereits durch die Motivauswahl bei mir offene Türen eingerannt. Lieben Dank, an Robert aus dem Haymon Verlag, dass er mich auf diese Perle aufmerksam gemacht hat und für das Besprechungsexemplar! Zugegeben, ich hätte sie mir nicht selbst ausgesucht. Nur zu gerne halte ich sie jetzt hoch und ans Licht, möchte hinter jeden meiner Sätze ein Ausrufungszeichen setzen, wünsche der Geschichte Sichtbarkeit und noch viele zufliegende Leser:innenherzen. Warum, fragt ihr?
Weil Martin Peichls Geschichte hellwach und glasklar ist. Wunderbar poetisch und übelst philosophisch und ich mochte einfach alles an ihr.
Wie sie mich angestrengt und besänftigt, herausgefordert, gelockt, betört und auch traurig gemacht hat.
Was geht hier vor sich? Hab ich mich gefragt, wollte es dann nicht mehr wissen. Folgte nur diesem Strom von Gedanken und dieser Sprache!
Habe die Kapitelüberschriften geliebt. Alle. Die Ausflüge, die mich ins Abseits der Handlung geführt haben. Hab geblinzelt, gelacht, mir Sorgen gemacht. Gemeinsam mit diesem Helden, den ich, zugegeben, nicht komplett verstanden habe. Aber gefühlt. Immer.
Ich habe einiges erwartet, aber das nicht. Nicht diesen Weltschmerz. Nicht dieses Ende. Gegenstände speichern Erinnerungen, schreibt Peichl und meint etwa Kaffeetassen mit ihren fast unsichtbaren Sprüngen, Bücher mit ihren unterstrichenen Sätzen und ich mochte seine Überlegungen des Vermissens. So sehr! Ihre stille Melancholie. Die Ruhe und Eindringlichkeit mit der erzählt wird.
Was sich manchmal lyrisch und fließend wie ein Langgedicht anfühlte, dann wieder schlugen Gedanken in mir ein wie Splitter und ich schnappte nach Luft. Diese nachgestellten Sätze, seine Fazits!
Fragmentarisch, blitzlichtartig. Wunderbar.
Wie ist ihm das nur alles eingefallen? Wie kann man so schreiben? Ich will mehr! Eben merke ich, wie ich wieder geradezu inflationär das rüpelhafteste unter den Satzzeichen verteile. Aber es muss so! So.
“Gespenster zählen“, hat Martin Peichl 2021 zusammen mit dem Fotografen Matthias Ledwinka veröffentlicht, für diesen Titel habe ich mir direkt einen Knoten ins Taschentuch gemacht.
Was ist ein Gespenst? Lässt er seine Hauptfigur in “Es sind nur wir” fragen und sich selbst die Antwort geben und er findet nicht nur eine, sondern zieht Schlüsse, denen ich mich nicht entziehen kann und es auch nicht will.
Immer wieder sind es solche Gedankenspaziergänge, die mich für Peichls Text einnehmen. Wie kann ein solcher Satz auch nicht berühren:
“Weil alles zum Gespenst wird, wenn man es lange genug vermisst.” (Zitat Peichl)
Die Schatten sind es die bleiben, meint er und ich sehe die vor mir, die mir fehlen. Die ich nicht freiwillig hergegeben habe. Ihre Schemen. Manchmal heilt die Zeit ein wenig und sie verblassen. Hoffen wir. Manchmal bleiben die Schatten.
“Zeit ist wie ein Ortsname, den ich nie richtig schreiben kann, ein Kreisverkehr und keine der Ausfahrten ist beschildert.” (Zitat Peichl)
Unser namenlos bleibender Erzähler hat einen Schüler verloren, durch einen Sprung aus dem Fenster. In seiner Schule. Wie nebenbei erfährt man das. Die Mutter dieses Schülers bandelt mit unserem Protagonisten an und der lässt es zu. Fährt zweigleisig, denn da ist noch eine Sophia und dann nimmt er noch Mascha dazu, die mit dem Bunker und der Füchsin.
Offene Beziehungen und das Gefühl einer bevorstehenden Katastrophe, die alles ändert, nähren diese Geschichte. Die auf dem Vulkan tanzt und ihren Blick auf Details behält, auf das was wir alltäglich finden, nebensächlich vielleicht auch. Martin Peichl nimmt genau das, das Beiläufige wahr und auseinander, deutet es. Um. Verleiht ihm Gewicht.
Im kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry gibt es einen Fuchs, der als Freund, als Ratgeber wirkt, ihm den Lehrsatz mitgibt, “man sieht nur mit dem Herzen gut.” Hier hält eine Füchsin den Kontakt zu zwei Menschen, ist immer wieder in diesem merkwürdigen Haus im Wald nebst Bunker zu Gast. Damit die beiden, die sich hier verloren fühlen, nicht so allein sind, vielleicht?
Roboter, die sich das Leben nehmen. Zugvögel, die vom Klimawandel künden. Großväter, Sprengsätze und Maulwurfshügel.
Sinnbilder und Anklänge von magischem Realismus, Humorvolles, Albtraumartiges und Nachdenkliches. Immer wieder wendet Peichl in seiner Geschichte, wechselt zeitlich die Richtung und wir schauen in die jüngere Vergangenheit.
Unser Protagonist hat erst den Vater verloren, jetzt scheint auch seine Mutter immer mehr in die Demenz abzurutschen und er sorgt sich. Es sind nur wir, ruft er sie, als er in der Nacht in ihr dunkel daliegendes Haus eindringt und befürchtet, es ist ihr etwas zugestoßen.
Der Suizid seines Schülers steckt ihm noch immer in den Knochen. Er läuft wie auf Scherben, denke ich. Sucht nach Halt, einer Perspektive, einem Fixpunkt, einem Rettungsanker, den er vielleicht in Mascha, der Frau mit dem Bunker und in ihrer vorsorgenden Art sieht.
Schöne und unschöne Urlaubserlebnisse, Möwen, die im Wind schwimmen und Wellen, die irgendwie kaputt klingen. Weltuntergangspartys, zuviel Bier und Schaufensterpuppen.
Ein Wörterbuch der Verluste bleibt zurück, an dem Tag, an dem die Welt zum letzten Mal untergeht.
Poetisch, bisweilen kafkaesk und klimakathastrophal steuert Peichls Geschichte auf ihr Ende zu. Nicht mit Pauken und Trompeten oder einem Knall kommt es. Sondern schleichend und ich fürchte, genauso kann es gehen.
Was mochte ich das gern. Die Grundstimmung, Peichls Ton und seine Sprache, seine Sprache und seine Sprache. So meisterlich zu formulieren, Eindrücke zu transportieren, damit hat er mich voll erwischt, nicht nur einen Nerv bei mir getroffen.
<Es sind nur wir> ist für mich ein Roman, nach dem ich erst einmal eine Pause mache. Um ihn sacken zu lassen und dann werd’ ich, glaube ich, thematisch und stilistisch ein Kontrastprogramm brauchen. Um nicht ständig zu vergleichen. In jedem Fall werde ich ihn vermissen, diesen Sprachschatz, er fehlt mir jetzt schon. Merci, dafür! Lieber Martin Peichl.
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