Donnerstag, 11.04.2019 – Gast-Rezension von Andreas
… “Solange du deine Beine unter unseren Tisch streckst” …
Vergangene Nacht war es einmal wieder spät geworden, und der Weckruf meiner Mutter, vor dem Mittagessen am nächsten Tag, fiel dementsprechend unsanft aus. Zunächst wurde ich ins Badezimmer geschickt, um mich “salonfähig” zu machen, erst dann durfte ich mich mit an den Tisch setzen, das Gesicht noch immer ganz zerknautscht und hundemüde.
Alsbald schon wurden mir, zusätzlich zum Essen, die üblichen Fragen vorgesetzt: “Wo warst du gestern? Mit wem warst du unterwegs? Wann bist du genau nochmal nach Hause gekommen …”? Und wie meist, begehrte ich auf, erntete dann als Antwort den Eingangs zitierten Satz: … solange Du ….
Rückblickend kann ich sagen, letztlich war ich trotz solcher Sätze meiner Eltern frei, konnte mein Leben im geschützten Rahmen der elterlichen Wohnung leben, wie ich es wollte und ich gebe zu, eins waren diese jungen Erwachsenenjahre dann schon auch, anstrengend, mich selbst suchend und auch konfliktfindend. Hin und wieder mussten auch die Ellenbogen ausgefahren werden um sich Respekt zu verschaffen.
Apropos Ellbogen, schon sind wir beim Thema, bzw. dem Buch das ich hier besprechen möchte:
Ellbogen von Fatma Aydemir
Über das Buch: Eine junge Frau, Hazal 17 Jahre, lebt in Berlin. Sie wohnt noch bei ihren Eltern und mit dem kleineren Bruder zusammen, das in einer 2,5-Zimmer-Wohnung. Selbstverständlich hat sie Freundinnen, aber auch einen festen Boy-Friend? Fehlanzeige, wenn da nicht die eine Facebook-Bekanntschaft aus Istanbul wäre …
Hazal hat mit ihren siebzehn noch keine feste Arbeit und weiß auch sonst nicht so recht, was sie mit sich anfangen soll. Sie geht zwar zur Schule, was ihr das aber bringen soll, ist ihr völlig unklar.
Ihren 18. Geburtstag will sie mit Freundinnen mal so richtig feiern. Aber selbst das scheint von der Mutter nicht gebilligt zu werden. Mit Hilfe ihrer Tante gelingt es Hazal dann wenigstens über Nacht bei Ihrer Freundin bleiben zu dürfen. Der Besuch eines Clubs soll Höhepunkt dieses Abends werden. Nach dem “Anheizen” geht es dann für die Mädels auf die Piste. Doch dieser Abend läuft alles anderes als nach Plan und wird am Ende eine entscheidende Wende ins Leben der Clique tragen …
Mir bleiben im Alltag Einblicke in die türkische Kultur verwehrt, ich bin ja auch nur eine “Kartoffel” würde Hazal sagen, und ganz so jung bin ich zudem auch nicht mehr. Ob die Zwänge in einer türkischen Familie oder die Eigenarten türkischer Jungs tatsächlich so sind, wie sie hier geschildert werden, kann ich nicht beurteilen. Ich unterstelle einfach mal, dass die Autorin sich da nah an die Realität gehalten hat.
Ein für mich glaubwürdiges Debüt hat Aydemir da verfaßt. Sie läßt ihre Handlung in Berlin und in Istanbul spielen. Die Atmosphäre beider Städte ist sehr gut getroffen. Sie würzt mit etwas Politik. So erkennt Hazal erst, obwohl sie eine junge Frau mit türkischen Wurzeln ist, welche politischen Probleme die Heimat der Eltern hat, als sie 2016 kurz vor dem Militärputsch in Istanbul ankommt …
Wenn eine junge Frau, eine Clique junger Frauen sich Respekt ein fordern, kann das zu Streit und Reibereien führen. Das ist so klar und auch so alt wie die Zeit. Im Roman aber führt dies zu einer eher seltenen Eskalation, die realitätsnah und packend geschildert wird. Aydemirs Romanheldin kommt mir dabei so vor, als sei Sie aus dem wirklichen Leben ins Buch gesprungen. “Echt echt halt”. Das Buch liest sich sehr gut. Die Sprache ist jung, ein gewisser Gassenjargon, Vokabeln wie “Fick dich”, “krass”, oder “Scheiße” sind ständig gegenwärtig und passen auf jeden Fall zur dieser Protagonistin.
Während des Lesens bin ich immer wieder auch auf Sätze gestoßen, die nicht überlesen werden wollten, wie z.B. “… wie die Hoffnung schon wieder davonfliegt. Eilig und tollpatschig, wie eine Riesenmotte” oder “Einsamkeit kann man nicht teilen”. (Satzzitate).
Gerne spreche ich für diesen Debütroman, der 1986 in Karlsruhe geborenen Autorin, die seit 2012 in Berlin lebt und nach ihrem Studium als Redakteurin bei der taz arbeitet, eine klare Lese-Empfehlung aus.
Und nicht nur von mir gibt es eine Empfehlung. Aydemir wurde für Ihren 2017 erschienen Roman Ellbogen mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis des Harbour Front Literaturfestivals ausgezeichnet.
Euer Andreas.
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