Düsternbrook (Axel Milberg)

*Rezensionsexemplar*

Fronleichnam, 20.06.2019

Heimat. Ist für jeden etwas anderes oder doch für alle gleich? Heimat ist dort wo die eigenen Wurzeln noch immer sind. Wo das Herz lauter klopft und schneller. Eine unbeschwerte Kindheit. Wohl dem, der auf sie zurück blicken kann.

Auf Rhabarber-Ernten im Sommer. An Ausflüge in den Wald. An Gewitter, die noch normale Gewitter waren und vor denen man keine Angst haben musste, weil Opa ja da war, und einen bei der Hand nahm. Diese Geschichte hier, hat mich an ihn und seinen Bienenhut erinnert, an den Duft von frisch geschleudertem Honig, an Waben in meinen Händen und an klebrige Finger, an einen Stadtteil, der wie ein Dorf war, wo jeder jeden kannte, wo man sich aufgehoben fühlte und dazu gehörte. An Federballspiele und Völkerballschlachten, die auf offener Straße ausgetragen werden konnten, so wenig Verkehr gab es hier, am Abend, wenn alle zu Hause waren …

Düsternbrook (Axel Milberg)

“Blitze zuckten am Himmel, ein Donnerwetter zerbrach über uns, der Himmel zerriss zwischen schwarzen Wolken, und ein Lichtstrahl fiel von einer abgelenkten und törichten Sonne auf ein dreieckiges Rasenstück. Und da stand ich, klein und dunkelblond auf grünem Grund und drehte mich, und die Welt drehte sich um mich. (Textzitat)

Mutters Ehering war weg! Ganz eindeutig, aber hoffentlich doch nicht unwiederbringlich! Beim Blumengießen musste sie ihn wohl verloren haben. Jetzt hielt sie ihre nackte, unberingte rechte Hand in die Höhe und versprach demjenigen HUNDERT!!! Mark, der ihn wiederfinden würde. Axel und seine Geschwister stürzten kopfüber in den Garten, durchwühlten Blumenkästen und Ranken. Erfolglos und unprämiert mussten sie am Ende mit gesenkten Köpfen aufgeben. Der teure Diamantring blieb verschwunden …

Keiner konnte so schnell wie Axel die Pappeln an der Tennishalle hochklettern, das auch mit kurzer Hose. Seinen Job als Balljungen des großen Bruders nahm er stets mehr als ernst, das wussten alle und als er jetzt auf der Kante der Eternitplatten auf dem Dach entlang balancierte, hin zu der Stelle, wo er den kleinen weißen Ball vermutete, und auf dem Laub des letzten Herbstes ins Rutschenkam, aufschlug, mit voller Wucht, auf der Seite, auf seinem Oberschenkel, merkte er gleich, dass etwas nicht stimmte. Bevor der Schmerz kam, sah er sie, die lange rostige Schraube, die sich in sein Bein bis tief in den Knochen gedrillt hatte …

Alle drei hatten sie große Angst ihre Mutter so zu sehen. Wie so da lag, reglos auf dem Bett. Würde sie etwa sterben müssen? Der herbeigerufene Arzt, der sich über sie gebeugt hatte, richtete sich jetzt auf, nahm die Schnüre aus den Ohren, die von einem kleinen Metallplättchen zusammengehalten wurden, das vor seiner Brust baumelte und schaute sie besorgt an, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Sie müssten jetzt ganz brav sein, hatte er gesagt …

Mit Axel Milberg treffen wir des Nachts den Tod im Apfelbaum. In der Gestalt eines schwarz ummantelten Männleins sitzt er in einer Astgabel. Wie aus einem Märchenbuch scheint er entsprungen.

Irgendwo zwischen Kiel und Flensburg, zwischen Möwenkreischen und plattem Land, träumen wir mit ihm mit offenen Augen beim Zug fahren. Die Welt huscht derweil eilig an unserem Fenster vorbei.

Wir sind gerne hier am Meer und genießen, wie es vor uns zurück weicht, bei Ebbe seinen Grund preisgibt. Zu zwinkernden, glänzenden Sternen blicken wir auf, verstecken uns vor dem Wind.

Zum ersten Mal mit einem Teller zum Buffet gehen. Staunend vor paradiesischen Mengen von Hering, Krabben und anderen Köstlichkeiten stehen. So schmecken Sie also die Ferien und alle haben sie sich verdient. Die Mama, die als Ärztin niemals geschlossen hat und der Papa, Rechtsanwalt, der einen Mann verteidigt, der sein Kind an die Wand geworfen hatte! Was man ja nicht darf! Und Klaus, Manuela und Axel.

Wer einen Garten hat, braucht keinen Kindergarten hatte seine Mutter entschieden und so waren die Geschwister Milberg unter sich geblieben, all die Jahre bis zu ihrer Einschulung. Als Axel dann eingeschult wurde, gab er sich schon mal vorlaut und naseweis. In sein Poesiealbum verirrten sich deshalb schlaue Sprüche, Bibel- und Schillerzitate auch. Einer knickte sogar die Ecken einer Seite um, darunter stand “in allen vier Ecken soll Liebe drin stecken”. Mensch, so eines hatte ich doch damals auch! Wo ist das eigentlich?

Von nordischen Wintern erfahren wir, von Wartereien auf dem Schulhof, von klappernden Zähnen. Von Muscheln mit Schleckbrause, Lackritzschnecken und Capri-Eis! Ach, ja! Das gab es auch bei unserem Bäcker ums Eck. Überwältigt werden wir von einem einzigen, prickelnden Schluck “Bluna”. Ich lache laut auf, bei mir war es Pepsi gewesen, so was hatte es bei uns zu Hause auch nicht gegeben!

Jagdwetter und Cumberland-Sauce. Bei diesem Abendessen musste alles passen. Die Mutter zeigte Nerven. Sie hatte ja halt auch schwache. Von juckenden Kniestrümpfen und zu engen Schuhen, die für die eigene Konfirmation noch eingetragen werden mussten. Das kenne ich nur zu gut!

Hugh! Auf der Schultheater-Bühne treffen in Axels selbst geschriebenem Stück Cowboys auf Indianer. Ich lache mich schlapp bei dieser Darbietung, deren letzter Akt unsichtbar im Pulverdampf zahlreicher Knallplätzchen aus Spielzeugtrommelrevolvern endet. Ein Fest dennoch für den Karl-May-Fan Axel und für mich. Meine absolute Lieblingsszene ist das!

Kaum holt man Atem, folgt in der Aula des Gymnasiums eine Begegnung der dritten Art, und zwar mit Erich von Däniken. Dies mit dem Zweck der Vorstellung seines neuesten Buches “ErinnerungeHeimat. Ist für jeden etwas anderes oder doch für alle gleich? Heimat ist dort wo die eigenen Wurzeln noch immer sind. Wo das Herz lauter klopft und schneller. Eine unbeschwerte Kindheit. Wohl dem, der auf sie zurück blicken kann. n an die Zukunft”. Die Ausserirdischen waren hier in Kiel und kommen wieder? Wie unterscheidet man Lüge von Wahrheit?

Gerd Fröbe, ein Weltstar seiner Zeit und ein schicksalhaftes aufeinander treffen rücken in Axel Milberg die Erwartungen an seine Zukunft an den rechten Platz.

Noch ein Schauspieler, der meint ein Buch schreiben zu müssen, höre ich Kritiker sagen. Vielleicht hätte ich mich dieser Meinung ja unbesehen angeschlossen, wäre dieser Roman nicht von ihm, von Axel Milberg, der auf der Liste meiner Lieblings-Hörbuchsprecher ganz weit oben steht. Und er liest seinen eigenen Text? Wie kann ich da zu dieser Geschichte nein sagen? Ein Literaturstudium hat er hingeschmissen nach dem Abitur, war dem Ruf zum Schauspiel gefolgt, studierte es zwei Jahre lang, ging an’s Theater. Was für ein Glück für uns Fans, die ihn nicht nur als Kieler Tatort Kommissar Borowski verehren. Kann also, wer beim Spielen und Vorlesen so feine Töne zu treffen vermag, auch schreiben? Von mir gibt es als Antwort dazu ein eindeutiges JAAHA!

“Fröbe sei Dank” ist Axel “Komma” Milberg Schauspieler geworden und  Hörbuch-Sprecher. In seinem Düsternbrook brilliert er einmal mehr mit seiner Vortragskunst,  ist sein eigener Klangkörper und sein eigenes Hörspiel-Ensemble, ein Wortakrobat. Er hat den Schalk im Nacken und einen nordisch trockenen Humor im Gepäck. Mit viel Liebe und mit dem Blick auf das kleinste Detail schreibt er, fantasievoll, träumerisch und nachdenklich. Wie er sprachlich hier Gedanken nachhängt, gleich ob sie kindlich oder erwachsen sind, mochte ich sehr. Mal kommt er stoisch daher, mal tappsig. Ich bin verliebt in diese seine Art und Handschrift!

Er liefert mit seinem schriftstellerischen Debüt, dass erst vor kurzem aus der Druckerpresse gehüpft ist, für mich einen unbeschwerten Ausflug in seine eigene Kindheit ab, eine literarisierte Biographie, mal jugendlich ungestüm, mal erwachsen. Hier ist er groß geworden, in Düsternbrook einem Villenvorort von Kiel. Pointiert, weich und getragen plaudert er uns sein Erlebtes daher. Wir begleiten ihn, auf dem Weg vom Jungen zum jungen Mann. Er erzählt uns locker und in Anekdoten davon, wie man sich behütet fühlen und doch eine Fremdheit spüren kann, die einen vertreiben will aus dieser Heimat. Die an einem zieht wie ein starker Magnet. Hier passiert jede Menge, sogar einem eingestreuten Kriminalfall kann man nachspüren.

Eine Erzählung vom Leben, aus dem Leben, für das Leben … Mal unaufgeregt, mal spannend. Also ich, ich hab sie gemocht! Und auf gar keinen Fall hätte ich diese Lebensreise-Geschichte lesen mögen. Viel schöner war es, sie sich von ihm, Herrn Milberg, persönlich vorlesen zu lassen. Das hat einen Charme, der nicht zu überbieten ist und es fühlte sich für mich an, als flüstere er mir zu: “Komm mit, komm mit mir ins Abenteuer-Land” und ich, ich ergriff erwartungsvoll seine ausgestreckte Hand …

“Denn die Sehnsucht dehnt die Zeit und feiert sie”. (Textzitat)

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