Die Verhöre der Gesche Gottfried (Peer Meter)

*Rezensionsexemplar”

Ostermontag, 22.04.2019

Wie sieht jemand aus, der zu töten bereit ist? Der tatsächlich tötet, getötet hat? Wie verhält er sich, Nachbarn, Freunden, Bekannten gegenüber? Wie gut kann man einen anderen wirklich kennen? Früher wie heute sind es solche Fragen, wenn ein Mord, oder gar mehrere Morde passiert sind, die uns umtreiben. Je perfider, je grausamer, desto mehr schieben sich diese Fragen in den Vordergrund. Wir wollen verstehen, wollen ergründen, welche “Fehlschaltung” zu diesen Taten geführt hat. Wie hätte man es vorzeitig erkennen und vielleicht sogar verhindern können?

Aus Original Verhör-Protokollen ist dieses Zeitdokument entstanden und damit viel mehr als ein profanes Hörspiel geworden. Es legt Zeugnis ab von einer Frau, die fünfzehn Menschen mit Gift getötet hat. Auf 776 Bogenseiten wurde der gesamte Prozeß niedergeschrieben, ein weiterer umfangreicher Band enthält Beweismittel wie Briefe und Gedächtnisprotokolle des Untersuchungsrichters, Skizzen, Gutachten, Anweisungen an die Gefängnisaufseher und sogar eine Nachthaube, insgesamt 285 Inhaltsstücke. 

Diese Akten selbst haben eine wahre Odyssee hinter sich, wurden im Zweiten Weltkrieg aus den bremischen Archiven ausgelagert, 1945 von russischen Soldaten von Bremen nach Moskau verbracht und erst in den 1950ziger Jahren gelangten sie wieder nach Deutschland, nach Ost-Berlin, 1987 dann von dort zurück nach Bremen.

Diesem handschriftlichen Akten-Puzzle hat sich zunächst Peer Meter angenommen und erstaunliches zutage gefördert. Es ist erschreckend, dass es bereits zwei Jahre vor der Verhaftung der Gesche Margarethe Gottfried, geb. Timm immer wieder konkrete Giftwarnungen gegeben hat und kein Wunder, dass diese Frau dann am 21. April 1831 vor 35.000 Zuschauern, die sich um das Schaffot versammelt hatten hingerichtet worden ist.

Unter der Regie von Markus Hahn, Ihr kennt ihn und sein Team schon von meinem letzten Post um William Shakespeares Bändigung des Weibs, ist aus diesem Fall ein etwas mehr als zweistündiges Hörspiel produziert worden.

In meiner Bücher-Apotheke steht es jetzt im Abteil für Geheimtipps und es funkelt so hell, dass ich es unbedingt mit Euch teilen will:

Bildquelle Wikipedia

“Frauen töten nicht, Frauen schenken Leben”.  Stephan Harbort

1828. Unschuldig, arglos, etwas naiv sogar, als Mädchen lustig und lieb, als erwachsene Frau angenehm im Umgang, hilfsbereit und heilkundig, so kannte man sie, die Gesche. Die Eltern unbescholten. Aus dem Stand befragt, konnte niemand etwas nachteiliges über sie sagen.

Gut in Margarethens Haushalt waren ein paar Todesfälle mehr vorgekommen als anderswo. Auf sie aber fiel kein Schatten, kein Verdacht, das obgleich sich eine rätselhafte Symptomgleichheit bei ihren Opfern zeigte, die Ärzte durchaus zu Obduktionen veranlasste, die aber dann unterschiedliche Schlüsse zogen und es dauerte bis ein ernsthafter Verdacht sich gründete, sich erhärtete …

Als ihr erster Ehemann, Mutter, Vater und  ihre drei Kinder krank wurden und verstarben, begann die Munkelei. Das Haus musste verflucht sein. Die arme Frau, alle starben sie ihr weg! Vielleicht würde es gar spuken, die vielen Toten, mussten doch umgehen?

Ein Chor aus vielen Sprechern erhebt sich, und betont damit wie vielstimmig wohl auch seinerzeit die warnenden Stimmen aus Betroffenen und Anklägern gewesen sein müssen. Bedrückend und unfassbar, wie sehr auch weggeschaut worden ist, bedenkt man alle Umstände recht. 

Mit unheimlich anmutenden Streichern werden die Kapitelübergänge im Hörspiel vertont. Unheilverkündend und sich dramatisch verdichtend. Im Grunde weiß man ja von Beginn an, um das Schicksal der Gottfried und doch treibt es einen zu erfahren was hier alles geschehen und was bloß ihr Antrieb, ihre Motivation gewesen sein mag, das schob mich wie magisch in diesem Fall voran …

Namhafte Sprecher sind mit von der Partie, allen voran David Nathan als Untersuchungssenator Droste. Aber auch Detlef Bierstedt, Reinhard Kuhnert und als Gesche Gottfried Ariane Seger stehen auf der hochkarätigen Besetzungsliste. 

Nathan spricht den verhörenden Senator mal fassungslos, mal ungläubig. Wahnhaft und verwirrt, mal flehend, sich immer wieder widersprechend gibt Ariane Seger großartig die Gottfried. Immer wieder weint sie, immer wieder bekomme ich eine Gänsehaut von ihrem Gestammel …

Ich fühlte mich, als säße ich mit am Verhörtisch, nur zu gerne wollte ich die Gottfried schütteln, auf das die Wahrheit endlich aus ihr heraus fiele. Die Gelassenheit, mit der sie immer wieder vorgibt, nicht mehr zu wissen, wem und ob sie jemand überhaupt etwas verabreicht hatte, erzürnte mich. Den Überblick hatte sie längst verloren, über die Zahl ihrer Opfer, die Anzahl der Toten. Nicht in der Lage war sie, sich selbst zu entlasten von den Vorwürfen die man ihr machte. Was war mit dieser Frau bloß los? Hatte sie denn gar kein Gewissen? Ein kurzes Gedächtnis gab sie an, habe sie, da klappt mir doch die Lade!!! Mit der Faust auf den Tisch schlagen habe ich gewollt, jegliche Empathie scheint ihr abzugehen, dabei wirkte sie im Gespräch gar nicht grausam. Kann man sich so verstellen?

Vor und zurück, zurück und vor. Drehte man sich in den Verhören im Kreis. Nathan beginnt genau wie ich die Geduld mit ihr zu verlieren. So naiv, so verblendet, so gottlos und irgendwie auch verschlagen! Wie geht sich das denn aus? Ein Charakter, der mehr als ein Rätsel aufgibt. Unfähig zur Trauer, zur Reue. Selbst den Pastor weiß sie zu verärgern, ihr Verteidiger nimmt sich ihr nur widerwillig an, die menschliche Natur vermag er nicht mehr zu erkennen …

Man drohte ihr, sie lebendig in einer Holzkiste zu begraben, mit kochendem Wasser zu übergießen, nur damit sie endlich gestehe und nicht dauernd ihre einmal gegebenen Geständnisse zurück nahm! 

So qualvoll sind ihre Opfer gestorben, so leicht war es ja gewesen an Gift heran zukommen. War es die Sucht nach Aufmerksamkeit? Erst machte man krank, dann half man und wurde als Heilsbringer wahrgenommen?Auf ein Zeichen Gottes wartend, harrte sie aus.

Gar grausig ist das was man hier erfährt und mit echter Sogwirkung versehen, ist dieser historisch verbriefte und aufgearbeitete Fall, der bislang gänzlich vor mir verborgen lag. Wie eine Mahnung hat er mich berührt. Unglauben, Staunen und Zorn wechselten sich bei mir beim Hören ab und zugleich zolle ich meinen Respekt dem Erzählfluss und Aufbau. Chapeau!

 

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