Die Rettung (Charlotte McConaghy)

Macquarie Island liegt zwischen Tasmanien und der Antarktis und ich habe bis jetzt, bis zu diesem Roman, noch nie davon gehört. Von der Wildheit und Schönheit dieser Insel, der Artenvielfalt, die jetzt dort wieder zu Hause ist. Nach Jahren intensiver Bejagung im Wal- und Robbenfang, zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Durch einen Zufall im Jahr 1810 entdeckt, man war aufgebrochen um sich neue Fanggebiete zu erschließen, wurde Macquarie seinerzeit zu einem Mekka für Robbenfänger und zur Basis für Antarktisexpeditionen. Bereits im ersten Jahr nach seiner Entdeckung wurden über achtzigtausend Pelzrobben an den Inselstränden getötet und die Art der Folge ausgerottet. Selbst Pinguine, sie lebten hier in großen Kolonien, wurden bejagt, den Walschulen mit Harpunen vor der Küste aufgelauert, eine grausige Zeit.

Seit 1997 gehört die Insel wegen ihrer geologischen Bedeutung zum UNESCO Weltnaturerbe und ist ein Naturreservat Tasmaniens. Hier findet man die ozeanische Erdkruste über dem Wasserspiegel, sie wurde an die Oberfläche gehoben und bietet rund zwanzig Forschenden, die rund um das Jahr auf Macquarie stationiert sind, neben den tierischen Bewohnern, jede Menge Stoff für spannende Entdeckungen.

Warum erzähle ich Euch das? Weil die Autorin, die ich heute mitgebracht habe, hierher mit ihrem Partner eine Recherchereise unternommen und anschließend das zu Australien gehörende Macquarie, als Blaupause für den Haupthandlungsort ihrer aktuellen Geschichte ausgewählt hat. Fiktionalisiert, mit einem Leuchtturm ausgestattet, nennt sie ihre Insel Shearwater. Hierher verschlägt sie eine Familie und, da greife ich jetzt vor, es wird ihren Helden mächtig an den Kragen gehen …

Die Rettung von Charlotte McConaghy

Die Salts, haben dem Leben auf dem Festland den Rücken gekehrt. Leben seither, seit acht Jahren, auf einer abgelegenen Insel. Shearwater. Das Heimat ist, für die letzte Kolonie von Haubenpinguinen und einen Leuchtturm hat. Der ihnen zum Zuhause geworden ist. Eines, das den Stürmen trotzt, die das eiskalte Meer aufwühlen und es an ihre Küste branden lässt.

Eine Frau, mehr tot als lebendig, hat es heute angespült. Wer ist sie? Woher kommt sie? Was will sie hier? Ihr Schädel rasiert, das Gesicht kantig. Geschunden und gemartert wirkte sie, als die Salts sie am Strand aufsammeln. Abgelegt wie Treibgut. Hatte sie ein Sturm, der so heftig werden sollte, wie sie noch keinen zuvor erlebt hatten.

Außer ihrem Versorgungsschiff kam bei ihnen niemand mehr einfach so vorbei und wenn doch, war der Halt bei Ihnen dann nur ein Zwischenstop auf dem Weg in die Antarktis. Früher hatten auf ihrer Insel Walfänger und Robbenjäger ihren blutigen Fang niedergerungen. Seltsame Stimmen heulen noch heute mit dem Wind. Danach waren sie gekommen zusammen mit den Forschenden und die Vereinten Nationen. Die einen Saatgutbunker bauten, einen gekühlten Artentresor der der Menschheit einmal ihr Überleben sichern sollte.  

Dominic Salt war der Verwalter hier und jetzt auch der Hüter der Saaten. Bis zu ihrer geplanten Evakuierung. Die Forschenden waren bereits fort und der Wasserspiegel stieg weiter. Stetig und unaufhörlich. Riss mehr und mehr Land von der Küste. Heute und mit diesem Sturm, der ihnen diese Frau gebracht hatte, fühlte es sich genau danach an. Ihre Insel würde untergehen.

Schwer würde der Abschied dennoch werden. Die beiden Jungs der Salts und Dominics Tochter hingen an allem hier. An ihrem freien, unabhängigen Leben, an der rauen Schönheit der Natur. Den Tieren, die es nur hier gab. Wieder an einem normalen Leben auf dem Festland teilhaben, war unvorstellbar. Auch für ihren Vater, der nach dem Tod der Mutter, deren Präsenz er hier immer noch spürte nicht gehen wollte.    

Eine kleine Gemeinschaft die zusammenhält. Ein Vater, der jedes Problem lösen kann. So sehen sie ihn. Die drei Geschwister. Die füreinander da sind. Ohne Wenn und Aber. Die jetzt damit hadern, ob diese Frau zu ihnen gehören kann. Nach allem. Was passiert ist und dieses WAS hält die Autorin noch geschickt vor uns verborgen. In der Zwischenzeit erzählt sie uns eine Geschichte von Vertrauen und Zutrauen. Fragt, wie weit man bereit ist zu gehen, um zu schützen was und wen man liebt.

Charlotte McConaghy, geboren 1988, ist in Australien, wo sie auch heute in Sydney lebt, aufgewachsen. Die Schriftstellerin und Drehbuchautorin mit schottisch-irischen Wurzeln legte mit Zugvögel ihren Debütroman vor und erschrieb sich damit aus dem Stand ihren internationalen Durchbruch. Es folgte Wo die Wölfe sind. Beide Vorgänger-Geschichten habe ich jeweils in der Hörbuch-Fassung erlebt, die Zugvögel geliebt und mit den Wölfen so gehadert, dass ich die nächste Geschichte von Charlotte eigentlich hatte auslassen wollte. Eigentlich.

Wie gut, dass ich es mir anders überlegt habe und der Empfehlung von BONNEVOICE Hörbuch gefolgt bin. Herzlichen Dank für dieses Besprechungsexemplar. Apropos, wie gewohnt findet wer mag am Ende dieses Beitrags meine vorhergehenden Besprechungen und weiterführende Infos hinter den Covern verlinkt.

Elisabeth Günther, geboren 1966 in Berlin, liest die ungekürzte Hörbuch-Fassung. Als Synchronsprecherin ist die Schauspielerin seit 1990 tätig und ihr habt ihre Stimme vielleicht als die von Cate Blanchet, Liv Tyler oder Helena Bonham Carte im Ohr und ja, genau diese Wandelbarkeit, ihr Vermögen sich auf die jeweilige Figur nicht nur einzustellen, sondern einzulassen, zeichnet Elisabeth Günther auch im Hörbuch aus. Sie trägt im positiven Sinn Schuld daran, dass ich die aktuelle Geschichte aus der Feder McConaghys wieder sehr gemocht habe. Ihre Stimme geht mit dem Text eine Symbiose ein, untrennbar wird ihr Vorlesen für mich fortan mit diesem Roman verbunden sein.

Knapp elf Stunden trotzt man mit ihr Wind, Wellen und Witterung. Hängt an ihren Lippen, ihrer lebendigen, empathischen Art zu Lesen. Jedem einzelnen Charakter wird sie gerecht, muss sich dabei nicht verstellen, bleibt echt. Macht diese Geschichte damit zu einer, die ich nicht hätte lieber lesen mögen. Weil sie gewinnt durch sie, weil Elisabeth Günther ein Gewinn ist für dieses Abenteuer. Ja, als Abenteuer, als ein sehr gegenwärtiges, eines das dem Klimawandel geschuldet ist, aber auch dem wie wir Menschen miteinander umgehen, habe ich es erlebt. 

McConaghy hat mich überrascht, vor allem mit und durch den Wendungsreichtum, den sie ihrer aktuellen Geschichte Die Rettung verpasst hat. Die Naturbeschreibungen sind ihr wahrscheinlich so griffig gelungen, weil sie diese Wildheit und die Faszination dieser antarktischen Welt vor Ort live erlebt hat. Besonders gut hat sie diese eingefangen und in Worte gefasst. Der Erzählton der Zugvögel ist zurück, diesmal wunderbar stimmig übersetzt von Jan Schönherr, habe ich innerlich gejubelt und Familiendrama kann sie eh. Menschen mit besonderer Begabung, Belastung oder auch Handicap zeichnen, das auch. Mehr als bildhaft, so dass man den Wind im Gesicht und das Salz auf den Lippen spürt entführt sie uns diesmal ans Ende der Welt und dort wo Menschen sind, meint sie, ist immer auch Unheil …

Showdown. Eine gefährliche Strömung, ein Zusammenstoß. Mit einem Wal. Wer lügt? Wenn er schweigt und warum?

Kurz vor Schluß wird es dann richtig, richtig knapp und ich frage mich, kann das noch gut ausgehen? Mann oh Mann!

Verfilmt, gerne auch als Serie, könnte ich mir diese Geschichte sehr gut vorstellen.

Spannend und lehrreich, fügen sich bei McConaghy Fakten über Flora und Fauna und ihre Geschichte zu einem dichten Gewebe und besonders darüber, was Pflanzensamen zu leisten vermögen habe ich gestaunt. Von vielen hörte ich zum ersten Mal überhaupt. Welchen Trickreichtum die Natur in Ärmel hat um Arten am Leben zu halten. Das fand ich als Garten- und Botanikfan großartig. Die Natur, das Meer und die eisige Exotik ihres Schauplatzes mehr sein zu lassen, als nur das, Kulisse, ist McConaghy meisterlich gelungen. Als zusätzlichen Protagonisten, als den heimlichen Dirigenten des Schicksals bindet sie Wetter und Umgebung ein. Das ist großes Erzählkino und nicht nur aber auch für die Lektüre im Urlaub bestens geeignet.

Denn der Roman nährt die Sehnsucht nach der Ferne, rührt aber auch gleichzeitig auf und macht deutlich, wie schützenswert unser Planet ist, mit all seiner Vielfalt und Schönheit. Lädt dazu ein wach zu bleiben und aufmerksam für die kleinen Wunder, die überall gedeihen.

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