Stephen King war er es, der seinen Roman <Friedhof der Kuscheltiere> am Penoscobt River in der Nähe von Ludlow/Maine verortet hat. Warum ist mir ausgerechnet das, als erstes eingefallen, als ich den Namen Penoscobt im Zusammenhang mit dieser Geschichte gelesen habe? Wer kann schon sagen, was unser Unterbewußtsein assoziiert und warum? Die Angehörigen der Penoscobt Indian Nation überlieferten seinerzeit eine Prophezeihung die besagte, das Weiße, mit einer großen Gier nach Land kommen und eine Zeit der Not verursachen würden. Was davon aus diesem Gestern in unserem Heute verblieben ist, davon erzählt diese Geschichte. Auch.
Sein Name ist Donner von Morgan Talty
Stachelschweine zu jagen war illegal. Begehrt waren sie allerdings, diese Stacheln und sie brachten ordentlich was ein. Im Reservat gab es nicht viele Möglichkeiten Geld zu machen, die Stachelschweine konnte man im Ganzen abliefern, ihre Stacheln wurden dann für festliche Ornate verwendet.
Drogen sind teuer, aber womit soll man bitte sonst seine Zeit totschlagen? Ohne Job, ohne Perspektive? Chronisch pleite. Fernsehen ging noch. Tagelang. Dank Prime-Gratis-Abo seines Freundes. Der hatte den Status eines Studierenden. Noch. Glotzen bis der Nacken weh tat und es Zeit war für den Gang zur Methadonklinik. Die gab es hier jetzt. Sollte helfen beim Aufhören. Tat sie aber nicht. Wirklich.
Zum ersten Mal hatten sie sich gewehrt, aber Steine zu werfen auf die, die auf sie spucken, machte nichts ungeschehen und nicht besser. Gras rauchen mit Fellis, seinem Best Buddy, tat Dee gut, ging auch nur mit ihm. Irgendwie hatte der immer Geld. David nicht.
Ein Einbruch wird geplant. Ins Stammesmuseum. David ist beteiligt. Es geht schief. Aber auf der schiefen Bahn waren sie längt. Nicht?
Um ihn, David, geht es in diesem Roman hauptsächlich. Und es geht um <Donner>. Die ganze Zeit. Obwohl wir erst ganz zum Schluß mehr erfahren. Über ihn und wer ihn, den Jungen, der zunächst namenlos geblieben war, so genannt und warum er, dessen Name Bedogi, der auf Panawahpskek Donner bedeutet, wie ein Paukenschlag das Schicksal von David und seiner Familie gewendet hat.
Morgan Talty, geboren 1991, legt mit <Sein Name ist Donner> seinen Debütroman vor. Zahlreiche Preise hat Talty, der selbst zur Penobscot Indian Nation gehört und der an der Universität von Maine in Orono, Kreatives Schreiben und Native American and Contemporary Literature unterrichtet, für die Geschichte bereits erhalten. Thomas Überhoff, der studierte Germanist und Anglizist hat den im Original 2022 erschienen Roman aus dem Englischen übertragen und für die von Talty in der direkten und indirekten Rede verwendeten Rassismen und die teils diskriminierende Sprache des Originals Entsprechungen im Deutschen gefunden, die mich die Fäuste haben ballen lassen.
Erschienen ist diese deutsche Fassung aktuell und druckfrisch bei Rowohlt, besten Dank an dieser Stelle für das Besprechungsexemplar.
Coming of age. Erwachsenwerden. Ist kein Spaß und in Davids Fall? Echt nicht zum Lachen. Eigentlich und doch tut er es. Nicht alles immer ernst nehmen.
Als Lesende nehmen wir seine Perspektive ein. Als wir ihn kennenlernen, hat ihn seine Mutter gerade hierher verpflanzt, sie hatte seine ältere Schwester Paige mit ihren siebzehn zurückgelassen und sich von seinem leiblichen Vater abgekoppelt. Den vermisste er, dessen Spielsucht hat er nicht wirklich erfasst und er verstand nicht, warum die Mutter von ihm weg hatte weg wollen und auch nicht mehr mit ihm sprach.
Morgan Talty verrät zunächst einmal nicht mehr. Nur das der Umzug in ein Reservat erfolgt, in dem noch Familienanghörige seiner Mutter, seine Großmutter, lebten und gleich zu Beginn wird klar. Ihr Ankommen steht dort unter keinem guten Stern.
Als David ein Schraubglas gefüllt mit Haaren, Zähnen und Mais unter ihrer Veranda findet, waren sie noch beim Auspacken.
Böse Geister sollten sie heimsuchen. Das bedeutete das Glas. Eine Verwünschung also, ein Fluch, jemand wollte also eher nicht, dass es ihnen hier gut ging. Ein Amulett sollte David ab jetzt beschützen und der Rauch von Salbei zog durch ihr kleines gelbes Haus. So wollten es die Zeremonie und der Medinzinmann. Der heißt Frick und ist der Neue seiner Mutter.
Dieser Erzählton des Andeutens lässt mich aufhorchen, immer lässt Morgan Talty etwas zwischen den Zeilen stehen, seine Zeitsprünge, zwei Zeitebenen, das Fragmentarische der Geschichte, die sich erst nach und nach zu einem Gefüge verdichtet, erfordert ein aufmerksames Lesen.
Frick, der Neue in ihrem Leben, entwickelt sich in kürzester Zeit vom Teilzeitmedizinmann des Stammes zum Vollzeittrinker, so Talty und wird fies. David gibt sich und seiner Existenz die Schuld am Missmut dieses Mannes und vielleicht hat er ein bisschen recht damit. Aber nicht auf die Art, die auf der Hand liegt. So einfach wird einem hier und in diesem Roman nichts gemacht und vor allem David wird nichts geschenkt.
Die Trostlosigkeit von Morgan Taltys Szenerie erwischte mich sofort, ungebremst und mit voller Wucht. Es dauert keine fünfzig Seiten da würde man, also ich am liebsten Reißaus nehmen. Aber wohin? Man fühlt sich machtlos, seltsam ausgeliefert. Warum findet David keinen Halt? Was ist da los mit ihm? Mit dieser Familie?
Taltys Sprache fühlt sich dabei mal rauh an, dann beinahe und im gleichen Atemzug poetisch geschliffen, ich höre mich durch die Zähne pfeifen. Das klingt vielleicht, es hat Widerhaken und trotzdem. Bin ich nach dem Zuschlagen des Buches und gelesenen Kapiteln irgendwie ungern wieder zu Dee und in seine Geschichte zurückgekehrt. Nicht, weil ich ihn nicht leiden mochte. Im Gegenteil. Es liegt eine belastende Schwere auf allem was ihn umgibt, als Junge, als Heranwachsender, als Erwachsener, das wirkte auf mich beinahe erstickend.
Nur mit diesem ihm eigenen Humor, der einem trocken im Hals stecken bleiben kann, ist das zu ertragen und so meistert David das Schicksal. Irgendwie.
Erst im letzten Kapitel, es schlägt ein mit Donnerhall, wird mir klar, David ist nicht nur durch und wegen seiner Herkunft und Ethnie traumatisiert. Es hat ein Trauma, das ihn nur der Humor und doch, zumindest eine lange Zeit auch die Drogen, aushalten lassen.
Und da ist so einiges was Morgan Talty seinem Helden auflädt. Eine Großmutter, die in die Demenz abdriftet und ihn für wen ganz anderen hält. Eine Mutter, um die er sich zeitweilig und gefühlt mehr kümmert, als sie sich um ihn. Die drei mal selbst in der Klinik landet. Aus Gründen. Sein leiblicher Vater heuchelt Zuverlässigkeit und lässt sie vermissen. Dann dieser neue Mann im Leben der Mutter, der selbst mehr Probleme hat als er lösen kann und ihm weder Stütze noch Vaterersatz ist. Seine Schwester, von Männern missbraucht, abhängig, wild, aufsässig und in ständigem Streit mit der Mutter lebt.
Neben Tommy Orange, dessen Erzählen ich sehr mochte, ist Morgan Talty der zweite indigene Autor, der mich in den Norden der USA mitgenommen hat und zu den dort in Reservaten lebenden indigenen Communitys. Erwähnen möchte ich am Rande noch Tony Hillermann, dessen Navajo Krimis großartig sind. Auch die Verfilmung, die in Serie gegangen ist. Anschauen oder lesen lohnt. Unbedingt.
Allen Geschichten, denen von Hillermann, Orange und Talty ist gemein, wie sehr in ihnen versucht wird mit Alkohol und Drogen entstandene Leerstellen zu füllen. Nur funktioniert das eben nicht. Eine Spirale der Gewalt kommt so in Gang, eine die aus der Abhängigkeit, Beschaffungskriminalität und Übergriffigkeit heraus genährt wird.
Einen Schlüssel, einen Ausweg, gibt es: Bildung. Sie stiftet auch Hoffnung. Nein, schafft es Zuversicht zu gründen. Was ein Trauma auslösen kann, wie tief greifen und wie profan und schwierig es zugleich sein kann, wieder Fuß zu fassen, zeigt er hier am Beispiel seines Helden deutlich.
Sprachlich und stilistisch mochte ich den Roman sehr. Seine Wechselhaftigkeit, er ist geschickt konstruiert und weit davon entfernt ein Wohlfühlbuch zu sein, wirkt dafür authentisch und ehrlich.
Indem Talty für mich gefühlt wenig auf indigene Traditionen im Jetzt verweist, verstärkt und verdeutlicht er die Wurzellosigkeit seines Helden. Verbleibt am Ende tatsächlich so wenig davon? Aus Taltys Danksagung lässt sich herauslesen, dass zumindest Stipendien und finanzielle Unterstützung aus der Community ihm zu seinem Erfolg verholfen haben. Das man eine vergessene und abgewöhnte Sprache wiederentdeckt und das er die Sprache seines Stammes gerne noch besser und wieder lernen möchte, erfahre ich dort auch.
Wer eine Geschichte mag, die an einen Schauplatz entführt der heftig entromantisiert wurde und die rauhbeinig daherkommt, seltsam unaufgeregt und trotzdem aufwühlend, der ist hier richtig. Wer eine Figur sucht, mit der er mitfühlen kann, weil sie einfach echt ist, der auch. Wer sich mit indigenen Erzählstimmen, die es verdienen gehört zu werden beschäftigen möchte, der muss unbedingt zugreifen.
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