Die Katze und der General (Nino Haratischwili)

Sonntag, 14.10.2018

Seit ich lesen kann, habe ich immer auch den Kopf ein wenig in den Wolken. Lebe einen jeden Tag ein Stück weit auch in den Geschichten, die ich gerade aufgeblättert habe. Tagträumend erlebe ich manche, als hätte man mich mit dem Katapult in ein Paralell-Universum geschossen. Je nach Bildgewalt meine ich bisweilen um die nächste Wegbiegung einer der Romanfiguren begegnen zu können. Da hätte ich dann auch die ein oder andere Frage auf den Lippen, die ich loswerden will.

Die Seitenzahl eines Romans ist dabei nicht von Belang. Sie spielt keine Rolle, ob mir die Figuren eher mehr oder weniger an’s Herz wachsen. Die Intensität ist es die zählt, ein Nerv muss bei mir getroffen werden. Beim Lesen bin ich mittlerweile auch ein unruhiger Geist, die vielen Geschichten die noch auf mich warten locken mich. Weshalb ich mir mit “dicken Schinken” eher schwer tue, nicht verweilen will ich, wenn sie mich nicht begeistern.

Ja, und mit Erwartungen ist das bekanntlich auch so eine Sache. Eine Kollegin sagte mal “wer erwartet wird enttäuscht” und zumindest im Fall dieses Romans ist das bei mir auch so eingetreten. Wer sich also die Vorfreude auf diese Geschichte erhalten möchte, der liest jetzt vielleicht besser nur weiter bis zu “Mein Fazit”, denn ich muss leider diesmal tatsächlich von meinen enttäuschten Lese-Erfahrungen berichten:

Die Katze und der General (Nino Haratischwili)

Nura war auf dem Weg zur Mühle gewesen um einen Sack Mehl abzuholen, als der Krieg auch in ihrem Dorf angekommen war. Das obwohl der Ort versucht hatte sich in der Schlucht zu ducken. Wieder vor ihrer Haustür angekommen starrte sie entgeistert auf einen Berg Schuhe, der dort aufgetürmt lag. Im Inneren des Hauses schienen sich alle Frauen des Dorfes versammelt zu haben. Ihre kleine Schwester schaute ihr mit angstvoll geweiteten Augen entgegen. Nuras Traum mit achtzehn nach Grosnij zu gehen und dort ein selbst bestimmtes Leben zu führen, sehr gerne auch unverheiratet, schien jetzt an der Wirklichkeit zu zerbrechen, gehörte sie doch zu dem Volk, dass für die Russen aus Menschen zweiter Klasse bestand. Während die Frauen sich angstvoll umeinander scharten tönten von der Straße her die Hupen des Autokorsos, mit dem die Männer feierten endlich auch kämpfen zu dürfen. Die Kämpfe hatten bereits weiter im Süden viele Landstriche in Blut getaucht. Jetzt war also auch Tschetschenien an der Reihe …

Er hatte Moskau nicht ohne ein paar Bücher, wahllos aus dem Regal zusammengeklaubt, im Seesack seines Vater verstaut, verlassen können. Wer zog schon mit Büchern in den Krieg? Ihm war bewußt, dass allein die Tatsache das er sie eingepackt hatte, seinen Stand in der Truppe nicht gerade verbessern würde. Sie ließen ihn wie einen Schwächling wirken. Für seine Mutter war der alte Seesack des Vaters heilig. Überall hatte er ihn hinbegleitet, als Soldat nach Afghanistan, durch Hitze und Staub. Ihre Gebete für ihn hatte sie hineingelegt. Jetzt also schulterte ihn ihr Sohn …

“Machte das der Krieg? Abgerissene Leben, zerschnittene und aus der Zeit gefallene, nicht mehr folgerichtige Biografien. Oder gab es sowieso keine Folgerichtigkeit im Leben? Weder im Frieden noch im Krieg? (Textzitat)

Das Bild des Mädchens das ihr so ähnlich sah, hatte sich in ihrer Tasche förmlich eingenistet. Verbunden mit einem Auftrag, des Oligarchen Alexander Orlow, der lukrativ war, sie verlockte und zugleich abstieß, hatte ihr ein Fremder, der das Aussehen eines Wikingers hatte, dieses Foto ausgehändigt. Und er war nicht der Erste gewesen, der sie angesprochen hatte. Nicht der Erste den Orlow ausgesandt hatte um sie zu ködern …

Mein Fazit:

Tja, was sag ich jetzt zu meiner Gefühls-Gemenge-Lage diesen Roman und seine Hörbuch-Fassung betreffend?

Nachdem es mir erst schwer gefallen ist, überhaupt in die Geschichte hineinzukommen, fällt es mir jetzt schwer, sie zu besprechen. Es fehlt mir regelrecht die Lust dazu. Das vielleicht weil ich mich über weite Strecken gelangweilt habe und sogar bisweilen genervt war. Sogar eine vierzehntägige Pause habe ich mir verordnet, bin ausgestiegen in die Ferien gefahren, habe die Tapete gewechselt. Vielleicht liegt es ja an mir, an meiner Stimmung habe ich gedacht und bin nach dem zeitlichen Abstand wieder eingestiegen. Und? Die Ereignisdichte in der zweiten Hälfte der Geschichte nimmt zwar zu, sie enthält die beiden Schlüsselszenen des Romans und doch schafft die Autorin es nicht, mich mitzunehmen. Ich bleibe wie ein unbeteiligter Zuschauer vor der Tür, vermisse die emotionale Tiefe.

Das passiert mir nicht oft, dass ich mehrfach mit mir ringen muss, ob ich aufgebe, und/oder mich frage, ob da doch noch etwas kommt. Rubiks Zauberwürfel kommt im Roman eine bestimmte Bedeutung zu, er wird zu einer Art Reliquie. Von vielen Kritikern wird da den Aufbau der Geschichte betreffend, in Sachen Würfel-Entwirrung, so einiges hineininterpretiert. Ich bin mir bei weit über die Hälfte des Plots auch so vorgekommen wie bei einem verdrehten Zauberwürfel, den ich einfach nicht ordnen kann. Das hat mich ganz fusselig gemacht.

Warum ich dann doch durchgehalten habe? Wie Eingangs erwähnt hat dieser Roman viele Vorschußlorbeeren geerntet und hatte es schließlich auch noch von der Longlist auf die Shortlist des diesjährigen deutschen Buchpreises, und somit unter die fünf besten Titel geschafft. Meinen eigenen Leseeindruck wollte ich mit der Jury abgleichen, nachvollziehen können, was man hier so außerordentlich fand. Es hat nicht geklappt, für mich paßt es einfach nicht, der Dt. Buchpreis wäre für mich eindeutig zu hoch gegriffen, zu einfach war mir der Roman sprachlich insgesamt, inhaltlich zu dünn und mit zu vielen Erzählsträngen aufgebläht, die für mich ins Leere liefen. Großmütter und ihre Lebenswege werden bemüht, ohne dass deutlich wird was mir das als Leser bringen soll, vor allem nichts in Sachen Nahbarkeit der handelnden Figuren.

Worum geht es?

In Rückblenden wird die Geschichte eines russischen Oligarchen (“Der General”) erzählt nach dem die Schatten der Vergangenheit greifen, der aus dem Tschetschenien-Krieg 1995 eine Schuld mitgebracht hat, die sein weiteres Leben prägt, eine Schuld an der sogar seine Tochter zerbricht. Im Versuch diese Schuld zu tilgen, die Ungerechtigkeit zu sühnen, verstrickt er 2016 eine junge Schauspielerin (“Die Katze”), die eine schicksalhafte Ähnlichkeit mit der Vergangenheit des Generals verbindet, in sein Tun und Lassen. Seltsam blass und blutleer bleiben für mich ihre Figuren, zu denen ich keine Bindung aufbauen konnte.

Nino Haratischwilis Sprache ist dabei blumig sanft, und weitschweifig, ja episch erzählt sie. Für mich etwas überdosiert setzt Metaphern ein, füllt auf mit Belanglosigkeiten die ihrer 750seitigen Geschichte den Fluß nehmen. Der Klappentext verkündet psychologische Spannung, diese hatte ich nach zwölf Stunden, also etwa der Hälfte der Hörzeit noch immer nicht gefunden. Erst in den letzten Hörbuch-Kapiteln beginnt Haratischwili aufzulösen und das Tempo anzuziehen.

Dabei ist wirklich genug Sprengstoff in dieser Grundidee enthalten. Der Tschetschenien-Konflikt, ein  wahrlich blutiges Kapitel in der russischen Geschichte bildet hierbei den Kern. Mit Kriegsbildern die sich auf der Netzhaut ihrer Teilnehmer einbrennen, die sie in Kämpfe ziehen, die nicht die ihren sind, mit Schuld und Sühne, Reue und Rache beschäftigt sie sich. Der Rauschgifthandel mit Afghanistan blüht. Soviel gibt es schließlich zu betäuben, ethnische Säuberungen, menschliche Abgründe ohne Zahl.

Hörbuch-Fassung:

Was mich hätte noch versöhnen können, wäre eine gute Hörbuch-Fassung gewesen, der hr2kultur bürgt hier sonst für Qualität. Nicht selten konnten gute Sprecher einer Geschichte, die mich nicht so packen konnte doch noch etwas mitgegeben und ich bin deshalb dran geblieben. Hier war auch das leider nicht der Fall. Einzig Torben Kessler mochte ich gerne zuhören.

Abstriche gibt es bei mir für die Tonqualitiät der Aufnahme, die für mich zuviel Hall hat. Auch sind nicht alle Sprecher klar zu verstehen, bei den männlichen Stimmen meint man teilweise sie sitzen zu dicht am Mikrofon. Starke Lautstärke-Schwankungen minderten mir den Hörgenuss. Schade,

In meiner Bücher-Apotheke gibt es diesmal also keine Lese-Empfehlung, sondern einen Hinweis auf eine mögliche Nebenwirkung – dieser Titel wirkte auf mich wie eine “Einschlafhilfe”.

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    15. Oktober 2018

    Ich brauche jetzt erst ein wenig Abstand zu dieser Autorin, damit ich wieder wertfrei ran gehen kann. LG von Petra

  2. Dorothee
    14. Oktober 2018

    Na, dann bin ich mal gespannt auf “Das 8. Leben-Für Brilka”.

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