Donnerstag, 23.02.2017
Es gibt sie, diese Perlen, diese Sterne am Bücherhimmel, die heller strahlen als alle anderen. Die uns nach dem Umblättern der letzten Seite wehmütig zurücklassen, wie sollen wir unseren Alltag ab jetzt, ab heute ohne diese liebgewonnenen Figuren bestreiten? Geschichten über die wir lange nachdenken, an die wir häufig zurückdenken. Bücher, an denen unser Blick immer hängenbleibt wenn wir an unserem Regal entlang huschen. Buchrücken, über die unsere Finger gerne sanft streifen. Schon der Buchumschlag zaubert uns ein unbewußtes Lächeln auf’s Gesicht. Was soll danach noch kommen? Schwer tun wir uns dann einer neuen Geschichte eine Chance zu geben. Zu einem solch seltenen Fixstern ist seit dem Winter 2015 dieser Roman hier für mich geworden:
Die Gestirne von Eleanor Catton
Neuseeland, 1866 zur Zeit des Goldrausches. Es stürmt vor der Küste von Hokitika in dieser Januar-Nacht und das Passagierschiff, welches ankern will wird von der aufgepeitschten See am Anlegen gehindert. Die Passagiere werden umgeladen in die Rettungsboote und in wilder Fahrt angelandet. Eines dieser Boote spuckt den Schotten Walter Moody an Land, völlig durchgeforen und durchnäßt erreicht der junge Mann das Crown Hotel. Ein Königreich für ein Glas Brandy und eine Zigarre! Im Rauchzimmer des Hotels trifft Moody eine Schar Männer an, die auf den ersten Blick wie zufällig zusammengewürfelt wirkt Keiner der Anwesenden scheint zunächst Notiz von ihm zu nehmen, als er in einem freien Sessel am Kamin Platz nimmt. Seine Zufriedenheit mit dem ergatterten warmen Plätzchen und die Ruhe währen nur kurz, da beugt sich der Mann im Sessel zu seiner Rechten zu ihm vor und beginnt ihn recht unverblümt auszufragen. Der Mann stellt sich als Thomas Balfour, Seespediteur vor. Die beiden geraten in ein Gespräch und dessen Verlauf verwickelt Walter Moody in die Geschichte, die die zwölf Männer an diesem Abend im Rauchsalon des Crown Hotels zusammengeführt hat. Jeder von Ihnen scheint in ein Netz von ungelösten Verbrechen verstrickt und der Selbstmordversuch einer opiumsüchtigen Hure scheint dabei nur die Spitze des Eisbergs zu sein …
Jetzt beginnt das, was diesen Roman so einzigartig macht. Eleanor Catton erzählt in zwölf Kapiteln und jeweils aus dem Blickwinkel eines jeden Anwesenden. Dabei wechseln nicht nur die Perspektiven und immer mehr Puzzleteile fallen an ihren Platz, auch die Einordnung der Figuren in die Guten und die Bösen und die Frage nach Schicksal oder Zufall will gelöst werden. Eine solche konstruierte Geschichte hatte ich bis dato noch nicht gelesen, und mir fällt dazu nur eines ein: Genial! Genialer Plott, geniale Sprache, genial erzählt.
Eleanor Catton war mit 28 Jahren 2013 die jüngste Booker-Preisträgerin aller Zeiten, das allein schon war für die Presse eine Sensation, als Wunderkind wurde sie gehandelt. Ihr Epos “Die Gestirne” umfaßt stolze 1036 Seiten, über 23 Stunden ungekürzte Hörbuchzeit, die beim Lesen oder Hören regelrecht dahin fliegt. Das verdankt Catton sicherlich auch der grandiosen Übersetzung von Melanie Walz. Herrlich altmodisch ist die Sprache, mit einem eigenen Humor und einem hintergründigen Unterton, man fühlt sich förmlich in die Zeit des Goldrausches hinein katapultiert, genießt jeden Satz. Ich habe diese Geschichte gelesen und dann direkt noch einmal vorlesen lassen, von einem grandiosen Sascha Rothermund, den ich schon aus anderen Hörbüchern kannte, hier hat er sich selbst übertroffen. Nie habe ich jemanden mit sich selbst so formvollendet streiten hören! Dieses Kapitel habe ich gleich zweimal angehört.
Das Gerüst der Geschichte, die Raffinesse und die Verbindung der Planeten, die Konstellation der Gestirne, erschließt sich einem vielleicht eher beim Lesen. Neues entdeckt man selbst bei der Wiederholung noch. Anderes wird klarer. Die Begeisterung bleibt. Eine Perle halt! Eine echte! Ehrenwort!
Gut zu wissen: Am 27.03.2017 erscheint die Taschenbuch-Ausgabe für alle die diesen Leseschatz noch heben wollen.
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