Wer diesen Autorennamen liest, dem ergeht es wahrscheinlich so wie mir. Dracula. Für die Geschichte seines Karpatenfürsten ist er unvergessen. Ein Erfolgsroman, gefühlte hundert Mal verfilmt, vertont, vertextet. Diesen Erfolg aber erlebte Bram Stoker selbst nicht mehr. Er verstarb schon vorher, nach mehren Schlaganfällen, in einfachen Verhältnissen. In Vergessenheit geraten war diese Erzählung hier von ihm und ein Fachmann für verschollene Geschichten hat sie wiederentdeckt, aufbereitet und wer, wenn nicht der Mare Verlag, wo der Name Programm ist, hätte sie verlegen können? Alexander Pechmann, von dem ich bereits zwei eigene Romane mit Begeisterung gelesen habe, die stets die Vergangenheit in besonderer Art und Weise auferstehen lassen, weckt Bram Stoker für uns auf und mit ihm den Zorn des Meeres …
“Es gehört zum Fluch unseres Menschseins, dass wir aufkommende Gedanken nicht unterbinden können, doch unsere Größe besteht darin, mit ihnen zu ringen und sie zu überwinden.”
Textzitat Bram Stoker Der Zorn des Meeres
Der Zorn des Meeres von Bram Stoker
Diese Nacht barg nicht nur Schatten und auch nicht nur die, die große Ereignisse voraus warfen. Das Meer schäumte, vielleicht vor Zorn, wer konnte das schon sagen. Die Menschen an dieser Küste erklärten sich sein Aufbäumen mit einem Sturm aus Südost, der es den Fischerbooten die noch draußen waren, und die in dieser Nacht heimkehren sollten wohl unmöglich machen würde anzulanden. Zum Spielball der Wellen waren sie geworden und man war in Sorge.
Um die Männer und um ihren Fang. Bangte um ihre Sicherheit und auch um die Fracht, die sonst noch mit sich führten. Denn auch die Küstenwache war schon in Habachtstellung gegangen. Schmuggler zu enttarnen war ihr Ansinnen, nicht nur einen Tipp hatte es gegeben für diese schicksalhafte Nacht …
Abraham “Bram” Stoker, geboren 8.11.1847 in Dublin, verstorben am 20.4.1912 in London, als Kind war er rätselhaft erkrankt. Bis zu seinem siebten Lebensjahr konnte er weder selbstständig stehen noch gehen, gab seinen Ärzten am Ende durch eine plötzliche Genesung Rätsel auf. Literarisch beschäftigte ihn später genau das, quasi die Auferstehung von den Toten. Verheiratet soll er gewesen sein, mit einer der schönsten Frauen der Stadt. Oscar Wilde soll sie ebenfalls umworben haben. Stoker arbeitete für’s Theater, wurde der Freund und Agent von Mark Twain, den er während einer Tournee durch die USA kennen lernte. So wie er auch seinem Lieblingsdichter Walt Whitman, der ihn mit einer “guten, gesunden, stürmischen Meeresbrise” verglich, persönlich begegnen durfte.
Im Frühling 1888 als Jack The Ripper sein Unwesen in London trieb recherchierte Stoker in Schottland für das Bühnenbild von MacBeth, dabei landete er in Cruden Bay und fand den Schauplatz für eben diese Erzählung, mit der er seiner Liebe zum Meer ein Denkmal setzte. Im Sommer 1894 schrieb er dann The Waters’ Mou’, Der Zorn des Meeres. Ja, der Hauptdarsteller auf dieser Erzählbühne ist wahrlich das Meer. Brüllend, donnernd und schäumend stellt es die moralischen Konflikte seiner Mitprotagonisten in den Schatten. Gleich ob mutige Tochter, pflichtbewusster Küstenwächter oder skrupelloser Schmugglerkönig, sie alle bieten ihm die Stirn und müssen doch hinter seiner Urgewalt zurücktreten.
Seinen weltberühmten Schauerroman Dracula schrieb Stoker auch größtenteils hier in Cruden Bay und das Slains Castle, von dem heute nur noch eine Ruine übrig ist, war eines der Vorbilder für das Schloß seines untoten Grafen. Alexander Pechmann hat ein überaus interessantes Nachwort über Bram Stoker verfasst und ich gestehe, mich erst jetzt, nach dem Lesen dieser Geschichte mit ihm befasst zu haben. Was für ein außergewöhnlicher Mann. Wie vielfältig sein schriftstellerisches Schaffen war, wie sehr ich ihn nur auf Dracula reduziert hatte. Völlig zu unrecht. Wie schön, das jetzt und hiermit ändern zu können.
Dafür sorgen nicht zuletzt Entermesser und Pistolen. Verwegene Gestalten. Für eine gute historische Geschichte bin ich immer zu begeistern, für eine Abenteuergeschichte eh, und Der Zorn des Meeres entstammt nicht nur einer Zeit, in die man wie mit dem Katapult hinein geschossen wird, sie ist so szenisch, das man als Leser wie durch eine Kulisse wandert. Was für eine Zeitreise! Was für eine Entdeckung!
Eine Hochzeit zur Tarnung? Eine besorgte Tochter greift zu den Waffen einer Frau. Zu denen einer mutigen, einer unbeugsamen. Sie stemmt sich gegen Sturm und Meer. Sie verkörpert als Figur das Frauenbild, das Stoker selbst am liebsten hatte. Damit kann ich gut leben!
Aufrecht, integer und sich seiner Pflichten bewusst ist ihr Verlobter. Auch er verkörpert ein Idealbild Stokers. Paßt auch!
Nostalgisch und herrlich stimmungsvoll ist sie diese Erzählung und noch dazu so wunderhübsch verpackt. Ich bin verliebt, auf den ersten Blick, in dieses leinengebundene, brandungsfarbene Büchlein im Schutzschuber. Es muss gleich modeln für mich, bei einem Fotoshooting macht es eine gute Figur. Schaut mal auf meinem Instagram-Account nach, wenn Ihr mögt …
Von Zweifel und Wagemut. Eine Geschichte wie aus der Zeit gefallen. In diesem historischen Kontext muss man sie auch lesen. Sprachlich hat Pechmann ihr mit seiner Übersetzung ganz wunderbar ihren nostalgischen Touch erhalten.
Im Auge des Sturms Mut fassen. Das Ruder herumreißen. Hart am Wind, wird ein Boot zu einem lebendigen Wesen. Mein dem Meer zugewandtes Herz klopft bei dieser Geschichte laut und vernehmlich. Es fehlt mir in diesem Sommer besonders und es war schön, mitreißend und spannend ihm in Stokers Geschichte so zu begegnen.
Alle Jahrhunderte umspült es. Seines, Stokers, und meines, und der Wind, war immer schon sein Gefährte. Er schreckt es auf oder lässt es glatt wie ein Spiegel vor uns liegen. Manchmal darf es sanft dann unsere Füße umspielen und manchmal, da lockt es uns ins seine Tiefe …
Gut gegen Böse. Mensch gegen Natur. Mehr wird jetzt nicht mehr verraten, denn auch das Meer verrät die seinen nicht, auch wenn es sie hier ganz schön hin und her wirft, wenn aus Wogen Brecher werden, aus spitzen Felsen Zähne, auch felsigen Klüften Schlünde, die gierig verschlingen was schäumende Wellen an ihnen zerschellen lassen …
“Die Augen der Küstenbewohner sind keine gewöhnlichen – sie können die Finsternis durchdringen, wo Leute aus dem Landesinneren sich vergeblich umschauen oder blindlings starren; und das Meer und der Himmel darüber und die Küstenlinie, wie schwarz und düster, tief liegend oder fern sie auch sein mag, erteilen ihre eigenen Lektionen.”
Textzitat Bram Stoker Der Zorn des Meeres
Mein Dank geht an den Mare Verlag für dieses wirklich außerordentlich hübsche Exemplar.
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