Der letzte Satz (Robert Seethaler)

Dirigent, Komponist, Genius. Gustav Mahler starb mit nur 51 Jahren an einer bakteriellen Entzündung seines Herzens. Vielleicht war es krank geworden, weil der frühe Tod seiner ältesten Tochter und seine Frau Alma es ihm gebrochen hatten. Die schöne Alma, die eine Affäre mit dem Architekten Walter Gropius begonnen hatte. Aufgewachsen in einer Großfamilie, vierzehn Kinder hatten seine Eltern, sechs davon verstarben früh und auch er war eigentlich immer krank gewesen. Als Kind musste er miterleben, wie der Vater die Mutter schlug. Ein Trauma, das ihm blieb und sein Leben, seine Beziehungen prägte, ein kurzes Leben lang …

Der letzte Satz von Robert Seethaler

Sechs Tage auf offener See. Der Ruf einer Möwe konnte nur eine Halluzination sein. Oder? Der Hunger, längst vergangen. Vom Tee leben, den ein Schiffsjunge ihm servierte. Der heiß war und in dem kleine Blättchen schwammen. Gustav Mahler war unterwegs. Ein Ozeandampfer überbrückte für ihn die Entfernung zwischen Amerika und seiner Heimat Österreich. Sein Fieber war abgeklungen und er fühlte sich etwas besser, wenn auch klein und versehrt. Hier an Deck unter seiner Wolldecke.

Von fliegenden Fischen hatte ihm der Schiffsjunge erzählt, nach ihnen hielt er Ausschau, die Seelen Ertrunkener seien das, die sich nicht mit der Dunkelheit abfinden könnten und die nach dem Licht strebten. So wie er …

Schlaflos, aber nicht traumlos verbrachte er mittlerweile seine Nächte. Die Bilder dieser Träume verfolgten ihn weit in den Tag hinein. Manchmal nur gefühlt, weil er sie nicht mehr zusammenbrachte, sobald er wach war. Alle Geräusche drängten sich ihm in diesen Nächten auf. Das Knarren von Decke und Fußboden. Seine Nächte waren schon lange nicht mehr zum Schlafen da. Er grübelte in ihnen, spürte der Musik nach …

Mit knapp einssechzig Körpergröße und mit fünfzig Jahren war er einer der größten, der berühmtesten Dirigenten der Welt. Glücklich müsste er sein. Nicht? Frau und Tochter hatte er, die nur zu gerne auch als Glück empfinden würde.

Dieses Gefühl aber hatte er mit seiner ältesten Tochter an die Diphtherie verloren. Damals in dem Haus am See. Seither und danach war die Müdigkeit nicht mehr von ihm gewichen. Lange hatte er nicht arbeiten können, kein Ton wollte ihm mehr einfallen, immer hatte er gemeint am Fenster den Zipfel des Kleides seiner Tochter vorbei huschen zu sehen …

Der berühmte Gustav Mahler. Gesund gefühlt hatte er sich noch nie in seinem Leben. Schon als Schulbub plagte ihn die Migräne. Ein unruhiges Herz und ein gereizter Magen gesellten sich neben anderen Plessuren über die man nicht sprach, wegen der er aber fast schon verblutet wäre dazu. 

Zehn Jahre Direktor der Wiener Hofoper. Er hatte sie umgekrempelt. Ihren Spielplan, das Orchester diszipliniert. Die Wiener in Erstaunen versetzt. Klein und zappelig wie er war. In Amerika, an der Met wollte er das auch erreichen und scheiterte an finanzkräftigen Mäzenen. Ein Höllenhund am Pult, so erlebten sie ihn, die Musiker der Orchester dieser Welt. Er hielt sie allesamt für kunstfern, für phlegmatisch.

Paris. Rodin formt eine Büste. Etwas das bleibt. Ein Streit entbrennt zwischen Mahler und seiner Frau. Genau über diese Büste von ihm und über Paris, eine aus Mahlers Sicht überzuckerte Stadt. 

Einen anderen Menschen wirklich sehen, ihn annehmen und verstehen. Nicht wie einen schönen Gegenstand betrachten. Alma Mahler beginnt zu trinken, fühlt sich unverstanden, findet einen Liebhaber. Im Sterben begriffen sieht man klarer. Kann Siegmund Freud noch helfen? Eine Reise nach Holland soll das zeigen.

Eine traurige, eine poetische, eine wehmütige, eine wunderschöne Geschichte. Kurz gefasst und weitschweifig zugleich, denn ihre Seele hat weite Schwingen. Sie begleitet einen Mann, einen großen Geist, einen unermüdlichen Arbeiter, auf seinem letzten Wegstück, der viel in sich hinein gehört hat, allen Schmerzen in sich nachgespürend. Was sein Körper ihm antat, empfand er als Zumutung, das Leben mit ihm als beschwerlich und trotzdem setzte er sich darüber hinweg und erschuf großartiges. Mit einer unglaublichen Grundspannung hat Seethaler seinen Text aufbereitet, warmherzig und empathisch erzählt er von Mahlers Erfolgen und von seinem Scheitern. 

Sehnsucht nach Klarheit. Nach Einfachheit. Husten. Blutsprenkel auf Notenpapier. Ein Leben wie im Fieber. Das ist hier wörtlich zu nehmen. Ein Handel. Ein Aufbruch. Nach Amerika. Von New York und von einem letzten Konzert mit den Philharmonikern. Ein letzter dirigierter Satz. Eine Einkehr, eine Umkehr, eine Heimkehr. Seethaler komponiert seinen Text so leicht, beinahe ätherisch schwebt dieser sein “letzter Satz”, vor mir in der Luft. Gierig sauge ich jede Silbe ein …

“Während man einen Ton noch schwingen hört, ahnt man schon sein Ende.”

Textzitat Robert Seethaler Der letzte Satz

Angesichts dieses wortgewandten Teams Seethaler/Brandt komme ich mir uninspiriert und stümperhaft vor in/mit meinem Versuch diesen Roman und seine Hörbuchversion zu fassen. Seethaler verdichtet seine Geschichte auf beeindruckende Art und Weise. Nichts fehlt, auch wenn man gerne noch einen Nachschlag hätte. Allen die gerne in schönen Sätzen schwelgen möchte ich sie empfehlen. Allen, die die leise Töne mögen, Geschichten die mit ruhiger Hand erzählt werden und die in uns schwingen können …

Robert Seethaler, geboren am 07. August 1966 in Wien, österreichischer Schriftsteller, at it’s best! Sein Roman “Ein ganzes Leben” gehört bis heute zu meinen liebsten Texten. Seiner sprachlichen Klarheit wegen und wegen seines Helden. Dieser hier nimmt schon einmal Platz auf meiner diesjährigen Jahres-Bestenliste. In seinem aktuellen Roman umspielten mich warme Wortwogen, nachdenklich, sanft und genauso versteht er sie auch vorzulesen:

Matthias Brandt, geboren 07. Oktober 1961, Schauspieler und mein Bücherflüsterer gibt hier den Takt vor. Ein Takt aus kunstvollen Satzpausen und ausgehauchten Wortenden. Getragen und mit der für ihn so typischen melancholischen Grundnote in der Stimme, darf ich ihn in dieser genialen ungekürzten Hörbuch-Fassung 2 Stunden und 50 Minuten lang genießen. Er liest genauso wie ich ihn mag. Einfach einem jedem Satz kann er Gefühl einhauchen, gleich ob es der letzte oder der erste ist. Wenn er erzählt, ist es immer so, als rezitiere mir jemand mein Lieblingsgedicht. Es klingt lange in mir nach, er bewegt mich so, wie keiner das sonst vermag. Auch hier und diesmal.

“Man kann über Musik nicht reden, wenn man Worte dafür findet ist sie schlecht.”

Zitat Robert Seethaler Der letzte Satz

Alles was ich noch darüber sagen könnte, wie Matthias Brandt liest und wie Seethaler schreibt, verbietet sich deshalb genau aus diesem Grund. Bleibt nur mich zu verneigen, als der Vorhang hier hinter der letzten Silbe fällt und das tue ich jetzt. Stumm. Mit feuchten Augen.

“Nichts auf der Erde kann ewig gehen. Nichts unterm Himmel bleibt ungesehen.”

Zitat Robert Seethaler Der letzte Satz

Mein Dank geht an tacheless/roof music für dieses Rezensionsexemplar.

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