Der Zorn der Einsiedlerin (Fred Vargas)

Donnerstag, 03.01.2019

Mit Spinnen ist das so eine Sache. Die einen fliehen schreiend vor ihnen, andere rücken ihnen mit dem Staubsauger zu Leibe. Dann gibt es die “Tarantel-Fraktion”, die sie zum Anschauen dekorativ im Terrarium hält.

Bei mir ist es so, je größer sie werden, oder je kleiner und zahlreicher, desto schwieriger wird es, würde ich mal sagen. 

Es sei denn ein, sehr großes Exemplar ist auf eine Art und Weise ruhig gestellt die mich fasziniert, so wie dieses hier, dass mir in den letzten Ferien in Bilbao vor dem Guggenheim Museum begegnet ist, schaut mal. Es bewegt sich nicht, ist aber deshalb kein Stück weniger eindrucksvoll:

Um eine besondere, eine giftige Spezies dieser Gattung, geht es im neuen Fall der französischen Lady of Crime Fred Vargas. Wie sieht’s aus, traut Ihr Euch? Riskieren wir einen gemeinsamen Blick?

Der Zorn der Einsiedlerin (Fred Vargas)

Paris. Diese Stadt war sein Gift. Direkt nach der Landung, aus Reykjavik kommend, hatte Adamsberg rasende Kopfschmerzen. 

Wegen ihr war er ihr, oder nein, eigentlich wegen ihm – sein Chef hatte ihn aus Island zurück beordert, wo er nach dem letzten Fall hängen geblieben war. Die Frau eines Anwalts war überfahren worden. Das zweimal. Das Genick und die Beine hatte man ihr mit einem SUV gebrochen. Im Bericht, den ihm die Kollegen schon hatten per Kurier zukommen lassen stand, sie hätte einen Geliebten gehabt. Einen Araber, Hausmeister im Nachbarhaus. Er war dringend tatverdächtig.

Jetzt stand ihr Ehemann vor Adamsberg und der Kommissar musterte ihn, diesen großgewachsenen, elegant gekleideten Mann, der gefasst, aber missmutig wirkte und der, das war Adamsberg gleich aufgefallen, schwarze Ränder unter den gepflegten Fingernägeln hatte. Das war nicht nur ein Missklang in der sonst so stimmigen Erscheinung des Mannes, es weckte bei dem geschulten Polizistenauge sofort EINE Assoziation: Was hatte dieser Mann buchstäblich vergraben und wo?!

Zwei der drei alten Männer, die durch das Spinnengift umgekommen waren hatten eines gemeinsam, sie waren als Kinder im gleichen Waisenhaus herangewachsen. War das der Zusammenhang nachdem sie suchten? Adamsberg folgt der Spur und stößt auf einen Arzt, der seinerzeit die Kinder im Heim betreut hatte. Verblüfft erfährt er durch den Arzt von der “Einsiedler-Spinnen-Bande”. So nannte sich sich eine übergriffige Gruppe von acht Jungs damals im Heim und deren erklärtes Ziel war es gewesen, andere zu unterdrücken, zu demütigen und zu quälen und zwar – genau, unter körperlicher zu Hilfenahme der besagten Einsiedlerspinne.

Sie hätten des nächtens Spinnen-Exemplare gesammelt und den anderen Kindern in Kleidung und Schuhe gesteckt. So sei es zu teils verheerenden Infektionen gekommen, die einen vierjährigen gar ein Bein, und einen fünfjährigen in der Folge seinen Fuß gekostet hatten. So schlimm hatte sich die Nekrose in das Gewebe gefressen, dass am Ende nur noch die Amputation geblieben war.

Das Penicillin als Wirkstoff steckte damals noch in den Kinderschuhen und die eh knappen Bestände des kostbaren Stoff reservierte man für die Soldaten in der Normandie, für verletzte Heim-Kinder blieb da nichts. Eine wirklich unappetitliche Geschichte tat sich da auf, die vor Gemeinheit, Brutalität und Sadismus nur so strotzte, denn offenbar hatten sich die Jungs von damals im Erwachsenenalter “weiterentwickelt” und sich später auf das “Mädchenschänden” verlegt. Der erste so angezeigte Fall konnte bis 1952 zurückverfolgt werden, die Jungs waren damals fünfzehn, ihr Opfer siebzehn Jahre alt gewesen. Ein aktueller Vergewaltigungsfall scheint jetzt ebenfalls in die Richtung dieser alten Clique zu deuten und gibt dem “Einsiedlerspinnen-Fall” plötzlich eine ganz andere Bedeutung. Ach, ja – ich vergaß – es gab auch wieder einen neuen “Gebissenen”, und die Nekrose hatte sich bei ihm bereits gefährlich ausgebreitet …

Mit Pragmatismus und konventionellen Ermittlungstechniken war diesem Fall nicht beizukommen, es war Intuition gefragt und seine war Adamsberg abhanden gekommen, er fühlte sich blockiert, wie blind, als wandere er durch einen dichten Nebel. Nicht ahnend, das das Wort Einsiedlerin für Adamsberg persönlich ein Schlüsselwort ist, sucht er das Gespräch mit seinem Bruder, der ihm schon öfter ein guter Ratgeber gewesen war. Und tatsächlich kann dieser ihm ein zwar schmerzvolles Fenster öffnen, wischt für ihn aber damit die Spinnweben und den Staub der daran klebt weg und verschafft ihm wieder freie Sicht, auf sich selbst und seinen Fall …

Fred Vargas, geboren 1957 ist seit Jahren die bedeutendste Kriminalroman-Autorin in Frankreich. Ihre Geschichten finden alle auch internationalen Zuspruch. Sie ist ausgebildete Archäologin und verpackt in ihren Plots gerne auch mal eine Portion Mystery, dockt mit ihren Handlungen an, vergangene Zeiten an. 2004 erhielt sie für ihr “Fliehe weit und schnell” den Deutschen Krimipreis. 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk und 2016 erneut den Deutschen Krimipreis in der Kat. International für “Das barmherzige Fallbeil”. Dies war tatsächlich auch mein erster Vargas, in der Hörbuch-Fassung mit Hannelore Hoger und ausgesucht damals wegen des Schauplatzes Island. Komplett kann ich ihr Schaffen also nicht beurteilen, nur ihre beiden letzten Veröffentlichungen einmal gegen das Licht halten und festhalten, dass ich gespannt war, was sie sich diesmal ausgedacht hat, rund um das tödliche Gift einer Spinne und um ihren Kommissar Adamsberg mit seinem Team.

Die Figuren, die diesen französischen Krimi bevölkern, sind wirklich allerliebst. Eine alte Dame, deren Hobby die Spinnen sind, hilft Adamsberg und seiner Brigade mächtig auf die Sprünge. Das auf eine herrlich schrullige, unverblümte und verbindliche Art. Diese Figur hat Vargas vielschichtig angelegt und so hält für uns Leser so manche Überraschung bereit …

Wir erfahren im Laufe der Ermittlungen, das Tauben eine Psyche haben, von skurrilen Hobbys, Lastern, Phobien, von Zitat-Manien, das Einsiedler-Spinnen nicht freiwillig beissen und noch die ein oder andere Alltagsweisheit mehr. Lernen über Meeutik von Sokrates, sind mit einem Archäologen unterwegs, damit wir buchstäblich in der Vergangenheit graben können.

Muntere Dialoge, mit geschickt geworfenen Wort-Bällen lockern auf, das ist sehr kurzweilig, abwechslungsreich und macht Laune. 

Und es ist und bleibt knifflig, denn der Spinne ihr Gift zu entziehen ist nur mit aufwendiger Apparatur überhaupt möglich, wenn es denn überhaupt gelänge, wäre die gewonnene Menge je Spinne so gering, dass dieses am Rand des Extraktionsröhrchens sofort wieder antrocknen würde. Das Gift von rund sechzig Spinnen ist nötig um einen Menschen zu töten. Was hier passiert, konnte also eigentlich gar nicht passiert sein, rein wissenschaftlich und sachlich betrachtet. Und doch wird das
Spinen-Gift eindeutig bei den Toten nachgewiesen, und auch der Wundbrandverlauf ist typisch für diese Form von Vergiftung.

Eine coole Idee, perfide ausgeführt hat sich Fred Vargas da ausgedacht. Ein medizinisches, und/oder ein logistisches Rätsel will gelöst werden. So geht es in diesem Fall nicht nur darum, den oder die Täter dingfest zu machen, sondern darum erst einmal hinter die Methode zu kommen. Clever und ausdauernd agieren Adamsberg & Co.. Umsichtig und scharfsinnig wird kombiniert, mit einer sich leise einschleichenden Spannung, dann wieder auch herrlich unaufgeregt.

Mit dem mitteralterlichen Einsiedlertum der Inklusen, Frauen die eingemauert wurden, beschäftigt sich das Team begleitend. Erschreckend was sich damals abgespielt hat. Die Motive, die diese Frauen in solch todbringende Zellen getrieben haben, teils freiwillig, ist nach heutigen Maßstäben unfassbar. Meist waren sie Verbannte, selbst die Klöster verwehrten ihnen den Zutritt. Sehr häufig wurden Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren, auf diese Weise grausam ausgegrenzt …

Die Hörbuch-Fassung wird mit 10h 37min, gekürzt eingelesen von Volker Lechtenbrink. 2007 wurde er bereits als Bester Interpret mit dem Deutschen Hörbuchpreis für “Die Brücke” ausgezeichnet. Auf seine unverwechselbare Stimme, mit diesem hohen Wiedererkennungseffekt habe ich mich sehr gefreut, dies ist mein erstes Hörbuch von ihm und ich hoffe sehr, es werden noch weitere von dem mittlerweile 74jährigen Wahlhamburger, Schauspieler und Sprecher folgen können. 

Seine Stimme hat sooo einen angenehmen Crisp und ist ein echter Ohrenschmeichler. Mal naseweis, mal schelmisch, ein bisschen klugscheißern geht auch. Cet tres charmant, Monsieur Lechtenbrink! Merci bien!

Er liest herrlich entspannt, gut akzentuiert und man kann sich wunderbar zurücklehnen. Wenn man das jetzt so liest, könnte man meinen zu einem Krimi paßt das nicht, aber weit gefehlt – zu einem Adamsberg-Krimi von Vargas mit seiner französich genießerischen Grundgelassenheit paßt das für mich stilistisch perfekt. Euch gute Unterhaltung, wenn Ihr Euch für den Titel entscheidet!

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    7. Januar 2019

    Sehr gerne Dorothee! Freut mich sehr, dass Dich Matt Haig begeistern konnte. Er gehört zu meinen erklärten Lieblingen … LG von Petra

  2. Dorothee
    5. Januar 2019

    Na, das klingt ja wirklich spannend!
    Mit dem Band davor hatte ich meine Probleme…aber ich werde ihm wohl noch eine Chance geben!

    Danke sage ich hier noch für den Tipp “Wie man die Zeit anhält” von Matt Haig!!
    Ich habe es mir vorlesen lassen und bin total begeistert!

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