Ein Schiff, das nie fährt und nie ankommt ist kein Schiff. Ein Seemann, der nur einen Hafen kennt, kein echter Seemann. Ein Schiff, auf dem ein Leuchtfeuer brennt, nennt man Feuerschiff. Einige wenige die bemannt sind gibt es noch, zumeist aber liegen sie unbemannt an seefahrtswichtigen Positionen vor Anker, dort wo man einen Leuchtturm nicht gründen kann. Wer auf einem solchen Schiff als Matrose landet, ist am ehesten vielleicht noch zu vergleichen mit einem, der auf einer Bohrinsel abgesetzt wird. Nur der Job ist hier ein anderer. Die Tage sind gleichförmig, bis auf Wetterunbillen unprätentiös, ein Gefühl der Gefangenschaft kommt auf. Da hofft man schon mal auf einen Schiffbrüchigen den es vorbeitreibt um die lähmende Routine zu brechen und auf die Verpflegung, die am liebsten gut ist und das es einen Koch gibt, der für Abwechslung am Gaumen sorgt …
“Die Mahlzeiten teilten die Tage in berechenbare Stücke auf; Bruchteile des Lebens, die sie aufgabelten, wortlos kauten und hinunterschlucken, sodass sie in jenem dunklen Labyrinth verschwanden, in dem auch alle früheren Tage ihres Arbeitslebens zu einem Brei fast unkenntlicher Erinnerungen verdaut worden waren.”
Mathijs Deen Der Schiffskoch
Der Schiffskoch von Mathijs Deen
In seinem Seesack, den er sich fest auf den Rücken gebunden hatte, zuckte es verräterisch. Zum Glück aber hatte das Ziegenböckchen, wohl vor Schreck, das Blöken eingestellt. Zuviel Aufsehen wäre das auch gewesen, schon gleich zu Beginn. Erst musste das Versorgungsschiff, das den Mannschaftstransfer bei stürmischer See abwickelte wieder abgelegt haben, bevor er sein vierbeiniges Geheimnis aus dem sprichwörtlichen Sack lassen durfte …
Die Planken schwankten, die Wellen schlugen hoch, und nicht nur die Zwiebeln rollten vom Tisch in der Kombüse, als ein dicker Pott bedrohlich nah längsseits ging. Zorn wallte auf obgleich dieses Manövers, in den Matrosen, die die große Fahrt kannten und die ihr hinterher sehnten. Wieder so einer, der ihnen zeigen wollte wo ihr Platz war …
Auf diesem Schiff ohne Hafen darf man so einiges erwarten und wird doch überrascht. Wir treffen einen Mann mit Vergangenheit, der sein Haus am Deich verlassen hat, für ein Zuhause auf Zeit. Auf ein Ziegenböckchen und eine Handvoll Männer, die rau sind wie die See. Knien auf einem Dachboden vor einem Kochbuch.
Dieses Schiff ohne Schraube, ohne Motor, ohne Ruder, das in der Dünung dümpelt und vergebens an seiner Ankerkette zerrt ist jetzt sein Zuhause auf Zeit. Im Maschinenraum rumpelt ein Dieselgenerator, er produziert den Strom für das Leuchtfeuer, für ihre Positionslichter, er sorgt für ein klein wenig Annehmlichkeit an Bord der Texel. Dieser Generator, und ihr Koch.
Gulai kambing, Ziegenschmortopf auf indonesisch, das ist es, was aus dem Böckchen werden soll, das er an Bord geschmuggelt hat. Die frischen Kräuter dafür lagern im Kühlfach. Das Curry duftet herrlich. Aber bevor so ein Tier im Topf landet muss es sein Leben lassen, weshalb man dem kleinen Hüpfer auch keinen Namen geben darf, soll. Wie auch immer. Einer muss halt dann auch das Messer ansetzen. Der kleine Ziegenbock aber hat inzwischen Seebeine bekommen und dann ist auch noch der Koch krank. Seine Malaria holt in sich.
Das Böckchen ist da. Das Böckchen ist weg. Die Aufregung ist groß. Es geht rund. Und wie. Und ich amüsiere mich.
Dann kommt ein Feind auf leisen Sohlen und ein Matrose findet seinen Mut. Nebel dringt durch jeden Spalt und schließt das Feuerschiff ein, macht es unsichtbar, schluckt jedes Licht. Das Brüllen des Nebelhorns soll andere Schiffe auf Abstand halten. Die Mannschaft aber weiß, kommt es zu einer Kollision, ist man besser nicht unter Deck in einem engen Raum wenn das Wasser kam …
Es wird sich erinnert und sogar ermittelt. Gelitten und zusammen gehalten. Man meint sich gegenseitig zu kennen, sogar besser als man sich selbst kennt, aber was weiß man wirklich über einen anderen? Vielleicht noch das er Tabletten nimmt, gegen Dämonen kämpft, die sonst seiner sieht, aber warum …
Mathijs Deen, geboren 1962 in Hengelo, niederländischer Journalist und Schriftsteller, erhielt 2018 für sein literarisches Schaffen den Halewijnpreis, mit einem Kurzgeschichtenband war er für den AKO-Literaturpreis nominiert. In der Kürze liegt die Würze und bei Deen stimmt das zu 100%. Sich kurz zu fassen und dem Leser gleichzeitig zu vermitteln, das es an nichts fehlt ist eine hohe Kunst, das er sie beherrscht stellt er hier für mich eindrucksvoll unter Beweis. Dafür das im Deutschen jede Silbe sitzt hat ganz wunderbar Andreas Ecke, geboren 1957 in Wuppertal gesorgt. Der humorvoll lakonische Ton, den beide hier anschlagen, hat mir sehr gefallen.
Deens Seebären sind kautzig, an ihren Ecken und Kanten kann man sich schön reiben, die Geschichte selbst ist kurios und da wo es um’s Essen geht sinnlich. Man riecht und schmeckt die Gewürze, die hier durch die Kombüse ziehen und ich könnte schwören, über meinen E-Book-Reader hab ich die ein oder andere Dampfschwade wabern sehen!
Meine Leseseele und ich waren auf Kurzurlaub während dieser wunderbaren 112 Seiten. Schöne Meer-Methapern, und eine wogende Satzfülle bereichern diese originelle Geschichte. Nichts ist gewiss, alles ist klar und die Figurenzeichnung großartig gelungen. Die Umgebungsbeschreibungen zu Land und zu Wasser sind eine sprachliche Wucht. Ich hab sie so sehr gemocht, hätte nur zu gerne noch einen Nachschlag genommen. Keine Kalorie hätt’ ich gezählt. Was für ein Fest!
Schiff ahoi, Geheimtipp voraus, kann ich da nur sagen, gebt auf Euch acht, denn wer meint, nur wer in einem Hafen ankommen könne, der sei auch auf See gewesen, und vor Anker gäbe es keine Gefahr, der ist auf dem sprichwörtlichen Holzweg:
“… wir sind hier mehr auf See als alle anderen zusammen. Wir leben auf See, die anderen sind nur auf dem Wasser zu einem Hafen unterwegs, zu einem Ort, an dem es keine See mehr gibt. Für sie ist die See eine Unterbrechung für uns ist die See eine Bestimmung.”
Textzitat Mathijs Deen Der Schiffskoch
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