*Rezensionsexemplar*
Mittwoch, 12.02.2020
Offiziell kommen etwa 0,6 Pistolen, Revolver und Gewehre auf 100 Japaner. Klingt unglaublich? Dachte ich auch. Bei uns in Deutschland, sind es statistisch 30 Feuerwaffen auf 100 Einwohner. Im direkten Vergleich dazu tragen etwa 90 % der Amerikaner eine Schusswaffe. Die Idee hinter der krass niedrigen Zahl der Waffenbesitzer in Japan ist so simpel wie effektiv: Je weniger Waffen im Umlauf sind, desto sicherer ist das Leben in der so reglementierten Gesellschaft. Und die Rechnung ging auf. 1992 begann die japanische Regierung nicht nur die Gesetze im Kampf gegen ihre Yakuza, die organisierte Kriminalität zu verschärfen, sondern auch die Waffengesetze für ihre Bürger. Das seinerzeit gültige Gesetz aus dem Jahr 1958 galt schon als streng, und gründete auf einer nicht minder strengen Tradition aus dem Jahre 1683.
Will man heute in Japan eine Waffe erwerben, braucht es Ausdauer, denn man muss nicht nur einen psychologischen, einen Gesundheits- und einen Drogentest absolvieren, sondern auch einen Tageskurs belegen, mit anschließendem Schiesstest. Bei dem nur besteht, wer eine 95%ige Trefferquote erreicht. Zudem werden Familienangehörige und auch Arbeitskollegen des Kaufinteressenten überprüft. Alle drei Jahre läuft die so erworbene Lizenz dann wieder aus und muss inkl. aller Tests wiederholt werden, will man seine Waffe legal behalten. Handfeuerwaffen bleiben dabei gänzlich verboten, es sei denn von Berufswegen ist der Gebrauch notwendig, nur Flinten und Luftgewehre sind Privatpersonen erlaubt. Die Polizei darf dabei eine Lizenz auch gänzlich versagen, nach Waffen suchen und diese konfiszieren. Darüberhinaus ist die Anzahl von Waffenläden streng limitiert und Munition kann man nur kaufen, wenn man die gebrauchten Hülsen vom vorhergehenden Kauf wieder mitbringt. Dies führt bisweilen zu seltsam anmutenden Szenen nach Schießübungen, wenn danach alle wie wild ihre Patronen suchen. Im Ergebnis aber hatte es dadurch in 2014 nur noch 6 Tote durch Schusswaffengebrauch in Japan, in den USA waren es im gleichen Jahr 33.599 Tote!
Wer jetzt glaubt, dann morde es sich in einem Land mit Schwert-Träger-Tradition leichter mit einer Stichwaffe. Der liegt auch hier in Japan daneben. Messer- und Schwertbesitz sind ebenfalls streng reglementiert, die Klingenlänge eines mitgeführten Taschenmessers darf sechs Zentimeter nicht überschreiten. Dies gilt im übrigen auch für Touristen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Fuminori Nakamura in seinem gefeierten Debüt-Roman Der Revolver mit der Faszination der verbotenen Frucht “Waffe” …
“Der Revolver war wie ein unzähmbares, eigenwilliges Wesen. Und ich ahnte, dass ich diesem mächtigen, fordernden Wesen nicht mehr lange würde standhalten können und es nur durch den erlösenden Schuss bändigen konnte.”
Textzitat Fuminori Nakamura Der Revolver
Der Mann war fraglos tot. Um seinen Kopf herum hatte sich eine dunkle Lache gebildet und am Rand dieser Blutlache lag er: DER REVOLVER. Warum er danach griff, die blutgesprenkelte Waffe an sich nahm, sie achtsam säuberte, polierte und mit nach Hause nahm, sie dort auf ein eigens gekauftes weißes Tuch bettete, war rational nicht erklärbar. Wie magnetisch hatte er sich von ihr angezogen gefühlt. Die Schönheit dieses Revolvers, seine handwerkliche Perfektion, hatte bis in sein Innerstes gewirkt.
War er unterwegs, wollte er zurück zu ihm. Immer wieder schob er sich in seine Gedanken. Erst als er in den Fernsehnachrichten die Meldung über den Leichenfund am Arakawa sah, begann ihm zu dämmern, was er da getan hatte. Die Polizei ging von einem Mord aus. Ein Kopfschuss hatte diesen Mann getötet und die Ermittler suchten nach der Tatwaffe. Hatte er Spuren am Fundort der Leiche zurück gelassen? Er, der er völlig unbeteiligt war, an dem was dort geschehen sein musste, war jetzt der, der die Tatwaffe besaß und für die Polizei war der Besitzer der Waffe offenbar auch des Mordes schuldig …
Fuminori Nakamura, japanischer Autor, geboren am 02. September 1977 wird als literarisches Wunderkind gehandelt, auf sein Schreiben Einfluss hätten, nach eigener Angabe, Frank Kafka und Dostojewski ausgeübt. Er lebt in Tokio und hat in Japan bereits mehr als ein Dutzend Romane veröffentlicht, viele davon sind preisausgezeichnet. In deutscher Übersetzung sind drei von ihm erhältlich. Der erste ins Deutsche übertragene ist Der Dieb 2015, dann folgte Die Maske 2018 und zuletzt 2019 sein Debüt Der Revolver.
Eingedenk der scharfen Waffengesetze die in Japan herrschen und das auf illegalen Waffenbesitz Gefängnis steht, macht es einen umso kribbeliger, wenn man hier Seite um Seite umblättert. Die Todesstrafe wird in diesem Land ebenfalls noch verhängt, handelt wer dies vor Augen hat anders als anderen Ortes?
Es schwelt hier in Nishikawa, der Hauptfigur dieser Geschichte, anfangs fällt es mir schwer mich in ihn hinein zu versetzen. So ist das wohl mit Obsessionen anderer, die man selbst nicht teilt, denke ich, dann aber erfahre ich ein wenig mehr über ihn und ich beginne zu begreifen. Der Autor hält uns kurz mit Informationen, aber schon das Wenige reicht aus und es entsteht ein Bild, das sogar Mitgefühl in mir zu wecken vermag.
Nakamura ist dabei sprachlich präszise, ja beinahe kühl, akkurat, kristallklar und schnörkellos unterwegs. Umdrehung für Umdrehung zieht er dabei die Eskalationsschraube an. In seiner Schlichtheit liegt das Drama. So zeichnet er nicht nur das Bild einer verirrten Seele, sondern das einer Gesellschaft, für die Disziplin Pflicht ist. Regeln wie Nahrung zu sein scheinen. Er konfrontiert seinen Helden von außen und von innen. Die Geister, die ich rief, oder sind es doch meine inneren Dämonen gegen die ich kämpfe? Die Ereignisse münden in einer Zwangsläufigkeit, die mich schaudern lässt. Dann nimmt Nakamura das Tempo raus und ich bin erleichtert, was aber nur kurz währt, denn am Ende, ich meine das Ende, hat er mich bei aller Furcht vor dem was da auf mich wartet, bei allem Atem anhalten auch noch völlig überrumpelt.
Beeindruckt lässt er mich zurück, nach nur 185 gelesenen Seiten. Wie reduziert und zugleich fesselnd man doch schreiben kann! Nie hätte ich gedacht, dass mich Zielstrebigkeit einmal so in Angst und Schrecken versetzen könnte …
“Ein Mensch wird das erreichen, wofür er sich entscheidet.”
Textzitat Fuminori Nakamura Der Revolver
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