Es gibt Autor:innen für mich, da lege ich mich auf die Lauer. Ob und wann es wohl Neues von ihnen gibt? Meist bin ich schwer begeistert davon, wie wandelbar und zugleich auch berechenbar ihr Schreiben ist und liebe genau das. Wenn es um Geschichten geht, die sich nicht um eine Genre-Einordnung scheren und die mir phantasievoll Überraschendes auftischen, was ich fragslos sehr mag, lande ich verlässlich stets bei Jess Kidd und bei ihm: Stuart Turton.
Dystopisch und mit einer Endzeitstimmung beginnt diesmal sein neuester Streich, der in der Erstauflage mit zierendem Farbschnitt erhältlich ist.
Ein dunkler Nebel hat sich am Ende des Klimawandels und im Zeitraum eines Jahres, nach dem Ausbruch zahlreicher Supervulkane, über unsere Erde gelegt. Ein Nebel, der dafür sorgt, das alles sterben muss was ihn berührt. Nur eine Insel und ein Streifen von rund einem Kilometer Breite der ihre Küste umgibt, hat er bislang ausgespart.
Eine Überlebensgemeinschaft aus Flüchtlingen, unter ihnen drei Wissenschaftler:innen, fristen jetzt auf dieser griechische Insel ihr Dasein.
Als sich vor mehr als neunzig Jahren abzeichnete, dass der Nebel ihre Lebensräume unbewohnbar würde werden lassen, waren Gesellschaften und Staaten in Streit und kriegerische Auseinandersetzungen geraten. Es ging um verbleibenende Ressourcen und sicheres Terrain. Was nicht half. Im Gegenteil.
Das ausgerechnet dieses Eiland zum Fluchtort wurde, war kein Zufall, wie sich im Verlauf der Geschichte herausstellt, auch nicht, das ein Schutzschild, in Gang gehalten von der Wissenschaftlerin Niema Mandripilias, den Nebel hier auf Abstand hält und den letzten 122 Menschen das Überleben sichert. Oder nicht?
Stuart Turton, geboren 1980 in Widnes/England, studierte Englisch und Philosophie, arbeitete ein Jahr als Lehrer in Shanghai, in Dubai als freiberuflicher Reisejournalist, kehrte nach London zurück und landete mit seinem Debütroman, Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle direkt einen Hit. Der Roman avancierte zum Bestseller und wurde u.a. 2018 mit dem Costa First Novel Award 2018 ausgezeichnet. Ins Deutsche übersetzt hat ihn und auch Turtons Folgeromane Dorothee Merkel.
Der letzte Mord am Ende der Welt von Stuart Turton
Erschlagen. Von einem herabgestürzten Balken. So hatte Emory Niema, ihre Dorfälteste am Morgen vorgefunden. Ihr klügster Kopf war tot und was noch schlimmer war, mit ihrem Tod hatte sich der schützende Schild der ihre Insel umgab deaktiviert.
Emory bemerkt einen tiefen blutigen Riss auf Niemas Brust, der fraglos von einem Messer stammte. Offiziell heißt es, sie sei einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen sein. Ein Brand in einem Lagerhaus, den sie hatte löschen wollen hatte sie und sechs weitere Personen das Leben gekostet. Zweifel an der Todesursache werden laut und mehr und mehr Merkwürdigkeiten sind zu bemerken. Ein Mädchen, die Freundin von Emorys Tochter, gilt als vermisst. Die Ernte lag am Morgen verfault auf dem Acker, bereits eingebrachte Vorräte waren verschwunden und Abi ihre KI, hatte offenbar bei allen von ihnen nach der Sperrstunde des vorangegangenen Tages, die Erinnerungen gelöscht und sie ist es auch. Die ihnen jetzt ein Ultimatum stellt und damit ein Katz und Maus Spiel eröffnet.
In Miss Marple Manier beginnt Emory, beauftragt von einer weiteren Ältesten, Thea, mit der Suche nach dem Täter. Denn eine Obduktion ergibt, Niema wurde ermordert. Emory kombiniert á la Sherlock Holmes. Es verbleiben noch genau sechsundvierzig Stunden um den Mörder von Niema zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, scheitert sie, geht ihre Welt unter. Abi, ihre KI, die jetzt offenbar das Sagen hat und weiß wie man die deaktivierte Barriere gegen den Nebel wieder hochfahren kann, stellt diese Bedingung.
Was folgt sind noch mehr Streit, Lügen und Geheimnisse und es bleibt auch nicht bei diesen Leichen. Das ist schon ganz schön abgefahren, Herr Turton, der Geschichte jetzt einen SciFi Touch zu verpassen.
Behände wird hier über die Grenzzäune gängiger Genres gehüpft. Das seine Geschichten in keine Schublade passen, sich nicht so einfach etikettieren lassen, stellt Stuart Turton auch diesmal unter Beweis und auch wenn hier Kriminalroman drauf steht, lasst Euch nicht täuschen. Bei Stuart Turton darf man immer gespannt sein, muss auf Überraschungen gefasst bleiben, denn linear geradeaus erzählen ist etwas für die anderen.
Was passiert in diesem Dorf, auf dieser Insel, in den Nächten, in denen alle um Schlag 20.45 Uhr in einen tiefen Schlaf fallen, um morgens um 7 Uhr wieder zu erwachen? Emory weiß, die Ältesten können die Bewohner Nachts aufwecken und das tun sie auch und Keiner und Keine erinnert mehr was passiert ist. Einzig blaue Flecken und blutige Schrammen bezeugen still, dass man nicht nur geschlafen hat.
Die über allem schwebene Erzählstimme gehört tatsächlich zu Abi, einer KI. Erschaffen von Niema. Sie nimmt uns mit in eine Welt, in der einige wenige nicht altern und alle anderen an einem vorbestimmten Tag, genau im Alter von sechzig Jahren sterben.
Diese Alterslosen sind es, die alle Regeln aufstellen und auch über die Sperrstunde hinaus wach sind. Hier am Abgrund der Menschheit und sie schaffen es auch, dass die strikten Regeln ihrer kleinen Gemeinschaft nicht weiter hinterfragt werden. Bis jetzt und hierher, bis Emory diese Rolle zufällt. Fragen zu stellen.
So erfährt sie von einem Labor und Forschern, die bevor die Welt auseinanderfiel, auf genau dieser Insel, in unterirdischen Bunkern, Unfassbares entwickelt haben. Versiegelt und verschlossen ist all dieses Wissen jetzt unter der Erde und unerreichbar, hat doch der Nebel mit seinen gefräßigen Bestandteilen jede Spalte besiedelt, die einen letzten Weg hinein bedeuten könnte. Zahlreiche Experimente und Expeditionen ins Innere sind bereits gescheitert, haben Todesopfer gefordert. So die offizielle Sprache.
Geburtenkontrolle und wer Eltern werden will, muss sich bewerben. Kinder entstehen hier nicht mehr auf natürlichem Weg. Der ist lange schon aus der Mode.
Dieses Dorf ist eine Maschine und seine Bewohner ersetzbare Rädchen einer Gemeinschaftsmaschinerie. Jedes an seinem Platz. Alle Mittel zum Zweck.
Ein Countdown soll für Spannung sorgen, die Szenarien werden gegen Ende unwirtlicher. Größenwahnsinnige Pläne münden in einen eher verwässerten Showdown.
Stuart Turtons aktuelle Geschichte ist, Summa Summarum, leider seine bislang schwächste für mich. Sie bleibt weit hinter seiner Evelyn Hardcastle zurück, wenn es um den Wendungsreichtum geht und der Tod und das dunkle Meer hatte nach meinem Empfinden deutlich mehr Atmosphäre. Auch seine Figuren sind ihm diesmal zu stereotyp geraten, finde ich, er überzeichnet bis ins märchenhafte, wird gar pathetisch. Der Grad zwischen Guten und Böse verläuft schnurgerade, wer auf wessen Seite steht ist rasch klar. Was das Geschehen vorhersehbar macht und am Ende hat es zuviel Zuckerguß. Unnötiger Weise.
Wie gewohnt, trifft man auf bildhaft beschriebene Szenen, die Gleiches mantraartig wiederholen und etwas zu gefühlig geraten sind. Letzteres mag vielleicht an der Übersetzung liegen. Jedenfalls dachte ich mehr als einmal bei mir, ich hab’s gespannt, lasst gut sein. Ist mir bei Turton zuvor nie passiert.
Sprachlich ausgesprochen dialoglastig, auch naiv irgendwie, haben viele Sätze und Formulierungen auf mich gewirkt. Etwas unversöhnt, auch mit einer Handlung, von der ich mir mehr erwartet habe, bleibe ich zurück.
In der Hörbuchfassung tobt sich fast 14 Stunden lang die Theaterschauspielerin Astrid Schulz aus. Insbesondere an der Rolle von Clara. Mich nervte das derart, dass ich kurz vor dem Abbruch stand. Sie schauspielert stark, verstellt ihre Stimme unangemessen häufig, was häufig sogar albern wirkt, steht als Vorlesende dadurch mehr im Vordergrund als der Text, was der Story nicht gut tut. Für mich war das nix und ich habe ehrlich gesagt die unaufgeregte Art von Frank Stieren vermisst, der beide Vorgängerromane von Turton vorgelesen hat.
Springt, wenn Ihr neugierig auf den Autor oder auf meinen Lieblingstitel Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle seid gerne ab in meine Beiträge, die Links lege ich Euch wie gewohnt hinter die eingefügten Cover.
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