Der Knabe im Moor (Annette von Droste-Hülshoff)

Kurz noch einmal innehalten, bevor mich beruflich der Weihnachts-Streß einholt. Privat hab’ ich ihn längst abgeschafft, verblüfft es mich Jahr für Jahr aber immer noch ungebremst, wie überraschend für viele doch Weihnachten kommt. Der Kühlschrank noch leer, es fehlt gar das Geschenk für die Ehefrau noch am Heiligabend – so manch einer scheint diesen Druck gar zu brauchen – wer weiß?

Es ist schon ein paar Jährchen her, da verschlug es uns erstmals Ende November zum Durchatmen in’s Biospärenreservat Hoch-Rhön und bald schon schlurften wir bei einem Spaziergang unsicher im Nebel über einen aus Block-Bohlen ausgelegten Weg. Eiskalt, feucht, rutschig und ich durchaus angstvoll. Es raschelte und knisterte allenthalben, unsere Fotos sahen danach aus, als hätten wir sie aus einem alten Edgar Wallace Film rausgeschnitten. Diese Stimmung, bang, gruselig und magisch zugleich fängt ein Gedicht wunderbar ein – hört mal:

Der Knabe im Moor (Annette von Droste-Hülshoff

  • O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
  • Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
  • Sich wie Phantome die Dünste drehn
  • und die Ranke häkelt am Strauche,
  • Unter jedem Tritt ein Quellchen springt,
  • Wenn es aus der Spalte zischt und singt! – 
  • O schaurig ist’s übers Moor zu gehn,
  • Wenn der Röhricht knistert im Hauche!
  • Fest hält die Fibel das zitternde Kind
  • Und rennt, als ob man es jage;
  • Hohl über die Fläche sauset der Wind –
  • Was raschelt drüben im Hage?
  • Das ist der gespenstische Gräberknecht,
  • der dem Meister die besten Torfe verzecht;
  • Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
  • Hinducket das Knäblein sich zage.
  • Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
  • Unheimlich nicket die Föhre,
  • Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
  • Durch Riesenhalme wie Speere;
  • Und wie es rieselt und knistert darin!
  • Das ist die unselige Spinnerin,
  • Das ist die gebannte Spinnenlenor’,
  • Die den Haspel dreht im Geröhre!
  • Voran, voran! Nur immer im Lauf,
  • Voran, als woll’ es ihn holen!
  • Vor seinem Fuße brodelt es auf,
  • es pfeift ihm unter den Sohlen,
  • Wie eine gespenstische Melodei;
  • Das ist der Geigemann ungetreu,
  • Das ist der diebische Fiedler Knauf,
  • Der den Hochzeitsheller gestohlen!
  • Da birst das Moor, ein Seufzer geht!
  • Hervor aus der klaffenden Höhle;
  • Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
  • “Ho, ho, meine arme Seele!”
  • Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
  • Wär’n nicht Schutzengel in seiner Näh’,
  • Seine bleichenden Knöchelchen fände spät
  • Ein Gräber im Moorgeschwehle.
  • Da mählich gründet der Boden sich,
  • Und drüben, neben der Weide,
  • Die Lampe flimmert so heimatlich,
  • Der Knabe steht an der Scheide.
  • Tief atmet er auf, zum Moor zurück
  • Noch immer wirft er den scheuen Blick:
  • Ja, im Geröhr war’s fürchterlich,
  • O schaurig war’s in der Heide!

(Bildquelle: Pixabay)

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