Kostbares Gänseblümchen, hältst die Haut uns rein, den Mund gesund. Ach Ringelblume, Du duftest und pflegst nicht nur äußerlich, unser Magen dankt, da braucht es keinen Bitter. Wer fiebert und Dich nicht kennt, liebste Lindenblüte, dem rate ich zu. Hat sich’s entzündet greift zu Mädesüß und was kaum jemand weiß, Ihr Blätter der Walnuss seid gut zur Leber, helft bei Rheuma und Gischt. Wem die Sonne im Gemüt fehlt, der kennt hingegen Dich gut, mein Bestes, mein Johanniskraut. Wohlbekomms liebste Minze, Dein Likör ist der Renner und Du meine wilde Kamille, bist ein wahrer Schutzschild. Achilles heilte mit Dir die Wunden seiner Krieger? Wie kann es da sein, dass wir Dich am Wegesrand übersehen beste Schafgarbe? Unübersehbar bist Du, und nicht nur das, prächtie Königskerze, erwischt uns ein Husten sei Du unser Balsam! Wer jetzt denkt, ich sei vom Buchnerd zum Kräuternerd mutiert, könnte Recht haben, der kennt aber sie hier noch nicht …
Der Duft der Dunkelheit von Anna Bolavá
Lindenblüten, Königskerzen, Ringelblumen, Minze, Löwenzahn. Bäume liebt sie, aber für die Kräuter tut sie alles. Ihr Dachboden ist randvoll mit ihnen. Dort breitet sie alle zum Trocknen aus. Bis sie soweit sind, dass sie sie verkaufen kann. Das und wie heilsam sie sind, hat sie von ihrer Großmutter gelernt. Jetzt ist sie alleine hier. Auf dem geerbten Hof, in einem Dorf, in der Nähe von Prag, wo jeder jeden kennt. Wo Mann und Frau sie beim unermüdlichen Sammeln argwöhnisch beobachten. Längst hätten sie sie vollständig als Sonderling abgeschrieben, wäre da nicht ihr Brotjob als Übersetzerin. Dem sie mit Respekt begegnen und der sie in regelmäßigen Abständen in die Hauptstadt führt. Die sie nicht mag, aber den Weg dorthin schon, mit dem Zug. Das aus dem Zugfenster auf die Landschaft schauen, die sich kaum verändert, bis sie die Stadtgrenze erreicht, das auch.
Sonst ist sie meist mit dem Fahrrad unterwegs. Am Abend oft mit nassem, wirrem Haar. Saust in die Pedale tretend, bei aufziehenden Gewittern durch den Ort, mehr einer Hexe als einer Fee gleichend. Für die wird sie gehalten, während Kopfschütteln und Misstrauen ihr folgen. Sie könne über Wasser gehen raunen sie. Sie spürt es wie ein Prickeln auf der Haut.
Anna Bolavá, geboren am 22. August 1981 in Strakonice, Südböhmen, studierte in Prag Bohemistik und veröffentlichte 2013 ihren ersten Gedichtband “Schwarzes Jahr“. 2015 erschien ihr Debütroman “Der Duft der Dunkelheit“, für den sie 2016 mit dem wichtigsten tschechischen Literaturpreis Magnesia Litera, in der Kategorie Prosa, ausgezeichnet wurde. Im Mitteldeutschen Verlag, dem ich an dieser Stelle für das Besprechungsexemplar herzlich danke, erschien dieser Roman erstmals 2022 in deutscher Übersetzung. Übertragen aus dem Tschechischen hat, ganz wunderbar Katharina Hinderer und ein pechschwarzer Seitenschnitt umfängt jetzt die Geschichte stimmungsvoll. Mit dem Zitat “Das Kräutersammeln im großen Stil ist nichts für Zartbesaitete” eröffnet die Autorin und noch lächle ich. Wie kann das sein? Dann denke ich an Digitalis und andere Pflanzengifte, die allzu Arglose schon das Leben gekostet haben. Wird es darauf hinauslaufen? Auf Gift. Frage ich mich nach den ersten gelesenen Seiten, durch die mich eine melodische, weiche Sprache führt.
“Hier oben kann alles Mögliche verloren gehen und ich merke es wochenlang nicht. Der Dachboden lebt sein eigenes Leben und entscheidet selbst, was er herausgibt und was er verschlingt. Es ist ein tückischer Ort, der glüht und atmet, und wenn er sich bewegt, dann raschelt es gewaltig …”
Textzitat Anna Bolavá Der Duft der Dunkelheit
Dann tauchen Geräusche auf. Nachts auf dem Dachboden. Ein Rascheln, ein lautes. Das selbst die Nachbarn am Ende der Straße noch hören und sie beschweren sich. Bei dieser merkwürdigen jungen Frau. Die täglich mit dem Fahrrad durch ihre Straßen flitzt und versucht, beinahe verschämt und im Verborgenen ihre Kräuter und Blüten zu sammeln. Die sie trocknet, verarbeitet, verkauft. Wie andere auch. Es ist ein Einkommen für sie, neben ihrem Job als Übersetzerin und doch ist es viel mehr als das. Sie weiß das. Sie wissen das und ich finde es bisweilen sogar gruselig. Nicht nur die Geräusche auf dem Trockenspeicher. Ist sie krank? Fanatisch? Sind das Visionen? Was vermischt sich da? Ich bleibe im Ungewissen und Anna Bolavá im Ungefähren.
Eine Haarsträhne in ihrer Hand. So dünn ist sie geworden. Ein Strich in der Landschaft, meinte die Dame im Übersetzungsbüro. Sie müsse essen. Was weiß sie davon, wie es ist nicht schlucken zu können und keine Zeit zu haben. Wenn alles blüht was gesammelt werden will. Im Juni.
Eine ganz eigene Stimmung liegt auf dieser Geschichte. Eine Stille und eine Einsamkeit, die mich anfasst. An Stellen, die nur selten berührt werden von Romanfiguren. Ich kenne sie nicht diese Frau und doch ist sie mir vertraut. Auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads nimmt sie mich mit, dorthin wo sich Bienen austoben, wo eine Blütenfülle herrscht die betörend duftet. Wir fahren freihändig, diese Momente der Unbeschwertheit. So wunderbar.
Dann wieder diese Abstürze. Schmerzen, Ohnmacht, Halluzinationen. Auf und Ab. Vom Dachboden. Über die Leiter. Zurück in das Leben anderer. Das sie nur am Rande berührt.
Als die älteste Linde im Ort der Blitz trifft ist es für Anna so, als habe sie eine Verwandte verloren. Nein, ihre Königin ist tot. Verkohlt und vom Feuer gezeichnet liegt er da, der starke Baumkörper, der ihr Halt und Zuflucht gewesen ist. Mehr als sie ahnt. Mehr als sie weiß. Die Hand auf der Rinde der alten Baumdame nimmt sie Abschied. Ich ahne bereits, nicht nur von ihr. Weine mit ihr. Um sie.
Was für ein Wechsel zwischen tagheller Freude und tiefer Verzweiflung. Wie ich das mochte! So gern. Der Erzählton dieser Geschichte ist melancholisch aber auch voller Leidenschaft. Geprägt von Routinen, die dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfen sind. Ihre Heldin, die sich den Schmerzen, die sie plagen nicht geschlagen gibt, die bis hin zur leichtsinnigen Selbstgefährdung geht um die von ihr gewählte Pflicht zu erfüllen.
Die Verbindung zur Welt gekappt. Ein magischer Sommer, flirrende Hitze, im Fahrtwind wehendes Haar, mit bloßen Füßen unterwegs im feuchten Gras, den Duft von wilder Kamille in der Nase. Akribisch wird gesammelt was zu heilen vermag, aufgegossen, getrocknet, verarbeitet und eingetauscht.
Brennesselblätter, Zinnkraut und Spitzwegerich.
Cut. Die Haare sind ab, direkt am Kopf. In aller Konsequenz wird das letzte feenhafte was man ihr zuschreibt getilgt. Das Ergebnis ist erschreckend und ermutigend zugleich.
“Diese jämmerliche Existenz vor mir im Spiegel rüstet sich zum Kampf und sie will ihn gewinnen. Eine derartige Entschlossenheit habe ich lange nicht mehr bei ihr erlebt.”
Textzitat Anna Bolavá Der Duft der Dunkelheit
Soghaft, rauschhaft hat mich dieser Text erfasst, ich erwische mich, wie ich immer wieder angesichts der detailreichen Erntebilder die Augen schließe und schnuppere. Betörend. Genießerisch gemeinsam mit der Protagonistin schwelge. Die Zeit anhalten. Wenn man das doch könnte. Für den Moment. Am Ende angekommen, öffnet sich die Geschichte wie ein Blütenkelch. Verrät nichts und verheißt alles.
Behutsam erzählt Bolavá, nähert sich ihrer Protagonistin sanft, bildet ihre fanatische, nerdige Ader ab ohne sie jemals bloßzustellen. Lässt einen Zauber auf ihr liegen und eine große Kraft. Lässt sie ihre Selbstbestimmung feiern. Einsam sein und vermissen. Eine ganz besondere Erzählung, die sich mehr als angenehm von dem unterscheidet was man sonst so auf den großen Büchertischen findet. Eine Entdeckung die sich lohnt, nicht nur für Pflanzenfans, sondern auch für solche poetischen Erzählens und für Leser:innen, die es so wie ich gerne mögen, wenn nicht alles zuende erklärt wird. Man selbst noch Gedankenfäden zum Weiterspinnen aufnehmen darf.
Mit großer Freude hat mein neugieriges Kräuterherz bei Anna Bolavá auch viele Ideen gefunden, so manch’ verschüttetes Wissen habe ich mir wieder neu angelesen, nebenher gegoogelt was wirkt und wie. Was eine überaus positive Nebenwirkung dieses großartigen Textes ist, vor dem ich als Eure pflichtbewusste Bücher-Apothekerin warnen muss und Vorsicht auch, dass Lesefieber könnte steigen, stellt also besser vorsorglich einen Lindenblütentee auf …
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