Das Versprechen (Damon Galgut)

Erste Sätze sind wichtig. Sätze, wie dieser hier:
“Als der Blechkasten ihren Namen sagt, weiß Amor, dass es passiert ist.” Sie verraten nichts und alles. Zeigen sich von ihrer besten Seite. Umgarnen uns. Locken uns in einen Text. Geben uns ein Versprechen. Das Versprechen auf gute Unterhaltung. Auf Spannung vielleicht. Auf Figuren die uns ans Herz wachsen könnten. Auf einen Schauplatz, den wir im wahren Leben nie betreten würden. Auf ein Land, dass eine Heimat sein könnte und weit entfernt. Auf eine Familie, die der Halt ist, den wir suchen:

Das Versprechen von Damon Galgut

Amors Ma war tot. Ihre Tante holte sie von der Schule ab und sie packte im Wohnheim des Internats hastig ihre Sachen zusammen, nachdem der Lautsprecher sie plärrend bei ihrem Namen gerufen hatte. Ihre Tante brachte sie nach Hause. Wo alle warteten. Worauf nur? Es war schließlich schon passiert. Unumkehrbar. Unumstößlich. Undenkbar. Ihre Ma war tot.

Weiße, behandschuhte Hände am Lenkrad. Gebäck auf der Rückbank. Gebacken für das weiße Südafrika. Ein Haus, blechbedacht, aus rotem Backstein, nicht ihr zu Hause. Sie war hier. Trotzdem.

Vielleicht war Armor ja begriffsstutzig geworden nachdem der Blitz sie getroffen hatte (kein Witz, das mit dem Blitz!). Vielleicht war sie aber einfach nur ein Kind, das daran glaubte, dass ihre Familie ein Versprechen, das die Mutter vor ihrem Tod gegeben hatte, auch halten würde. Es galt Salome, ihrer Hausangestellten. Ihr sollte ein eigenes Haus gehören. Ein Haus, mehr eine Hütte, die auf dem Grund und Boden ihrer Farm stand. Ma wollte es ihr schenken, aber das Gesetz verbiete es, sagte Amors Bruder. Den People of Colour war es verboten Land zu besitzen …

Damon Galgut, geboren am 12. November 1963 in Pretoria, südafrikanischer Schriftsteller und Dramatiker, der heute in Kapstadt lebt, gewann mit diesem Roman den Man Booker Prize 2021. Das steht schon mal für sich.

Seine Multi-Perspektivwechsel tun das auch, sie krempeln immer wieder das Gerüst des Romans um. Den Zugang zu seinem Personal erschwert er mir dadurch etwas, immer wieder habe ich nach Amor der Leitfigur getastet, fühlte mich von Galgut auf Abstand gehalten. Als sehr kühl empfand ich auch die Übersetzung von Thomas Mohr. Erst im weiteren Verlauf des Romans sollte ich mich damit versöhnen können.

Amors Mutter Rachel stirbt im Alter von vierzig Jahren an Krebs, gepflegt hat sie eine langjährige Hausangestellte, die in einem kleinen Haus, gefühlt ewig, auf der Farm der Swarts mit ihrem Sohn lebt. Eben dieses Haus hat ihr die Tote aus Dankbarkeit versprochen. Was im Nachgang weder die schon erwachsenen Kinder Astrid und Anton, noch ihren Ehemann zu interessieren scheint. Nur Amor, Teenager und gerade dreizehn, als die Mutter 1986 stirbt, drängt die Familie nicht wortbrüchig zu werden.

Ein Versprechen und viele Todesfälle. Bei der einen Beerdigung aus Kapitel eins bleibt es nicht. Geburten und Todesfälle halten sich, begleitet man eine Familie über die Zeit, ja nicht immer die Waage und meist brechen alte Wunden und Zerwürfnisse im Kielwasser eines Begräbnisses wieder auf. So auch hier. Unversöhnlich gibt man sich, innerlich gefangen und mit eigenen Gespenstern kämpfend. So wie Anton, der während seines Wehrdienstes töten muss, desertiert und das nicht verwinden kann. Der, als der Vater, ein trockener Alkoholiker, der nach dem Tod seiner Frau zu Gott gefunden hat, an einem Schlangenbiss stirbt, mehrfach aufgefordert, ja bedrängt werden muss, an das Bett des Sterbenden zu treten. Amor scheint verschollen, ihr Bruder schafft es nicht einmal ihr die Todesnachricht den Vater betreffend zuzustellen.

“Wie ist es so kompliziert geworden? Früher bedeutete Zuhause nur das eine und nicht diese Vielzahl, dieser Sturm von Dingen, die einander bekriegen.

Textzitat Damon Galgut Das Versprechen

Eine Geschichte endet. Andere Geschichten werden sie überschreiben meint Galgut. Jedes Wort ausstreichen. Vielleicht.

Diese Swarts sind anstrengend, meint eine der Nebenfiguren und ich stimme zu. Es schmerzt mich aber auch mitzuerleben wie diese Familie zerfällt. In aller Konsequenz und Stück für Stück zerlegt Damon Galgut sie in ihre Einzelteile. In ihre Leerstellen. Fünf Familienmitgliedern widmet er dafür je ein eigenes Kapitel. Lässt sie erzählen, unabhängig von einander. Über einander. Sie bleiben dabei auf Abstand zueinander, weil sie offenbar nie gelernt haben sich mit Wertschätzung und auf Augenhöhe zu begegnen. Galgut schreibt seinen Protagonisten Neid und Gier auf die erste Seite in ihrem Wertekatalog. Sie selbst erleben sich da allerdings ganz anders …

Vor vielen Jahren bin ich selbst in Südafrika gewesen, der Wohlstand versteckte sich hinter hohen Mauern und Zäunen und als Tourist in Kapstadt sollte man am Abend nicht alleine los. Mandela war da längst frei, die Townships vor den Toren der Stadt aber immer noch kilometerlang und überbevölkert. Die Schere zwischen Arm und Reich scharf aufklaffend. 

Diese Stimmung transportiert Galgut konstant und besonders durch kleine Alltagsaussagen und Handlungen, so sparsam, das er sich sogar die Einrahmung der Dialoge durch Anführungszeichen spart. Weniger auf die mutigen, heldenhaften, eher auf die feigen und die, die an den längeren Hebeln sitzen, genau auf sie hat Galgut einen Blick geworfen. Wohlfühlbücher sind anders, klingen anders aus. Zumeist aber auch nicht auf diese Weise nach. Ja, ich bin froh diese Geschichte wieder verlassen zu können. Galguts Figuren sind mir bis auf Amor grundunsympathisch. Sehen sie sich doch als Opfer, handeln aber als Täter.

Hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist das Setting des Romans. Ich hatte mir ein bisschen mehr landschaftliches Afrikagefühl erwartet, bei der Aussicht dort eine Farm zu betreten. Der Schauplatz selbst bleibt finster und seltsam ärmlich, er ist kein Ort an den man zurückkehren möchte, heimkehren schon gar nicht. Es fehlt ihm auch an Seele, als sei sie mit dem Tod der Mutter gewichen.

Sehr drastisch zeichnet Galgut die unter dem Teppich schwelenden Konflikte dieser Familie nach. Amor wächst auf in einem Land das dabei ist sich zu befreien, das den langen Arm des Apartheid-Regimes endlich abschütteln will, als 1994, acht Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, Nelson Mandela zum Präsidenten gewählt wird. Wie diese junge Demokratie zu handeln ist weiß man noch nicht und in dem hier privat gegebenen Versprechen spiegelt sich auch die Vordergründigkeit so mancher politischer Zusage, die die Gesellschaft (noch) nicht einzulösen bereit ist. 

Als bedrückend empfand ich den Grundton dieses Roman, die Covergestaltung in all ihren Grautönen umfängt diese Tristesse. Beklemmend zu lesen ist, was mit Beziehungen geschieht wenn man sich nicht mehr bespricht. Was es mit einem selbst macht, wenn sich ein Gegenüber Gesprächen standhaft verweigert. Sich Spannungen so nicht mehr auflösen lassen. Wie machtlos man sich da fühlt, wie isoliert. Im Großen wie im Kleinen bleibt der Wille zur Verständigung wichtig und ein Mindestmaß an Empathie, auch dafür steht dieser Roman für mich.

Mit Galguts Sprache habe ich wie erwähnt zu Beginn gehadert und mit dieser Übersetzung. Letztlich geht es sich aber aus, das Autor und Übersetzer nach meinem Empfinden sprachlich ruppig, manchmal brüchig, die Gedanken und Dämonen er Swarts einfangen. Weil es konsequent ist, denn alle diese Biografien haben Brüche. Leonard Cohen singt “there is a crack in everything, that’s how the light gets in …“. Durch unsere Risse dringt aber auch unser Leuchten nach außen. Ich finde das passt auf Galguts Amor sehr gut. Besonders als der Kreis in der Geschichte sich schließt. Ihre Suche nach Gerechtigkeit endet mit einer Handlung die manchem Leser:in vielleicht als zu konstruiert und weich gespült vorkommen mag. Ich hingegen verstehe Amor jetzt, das wonach sie fast vierzig Lebensjahre lang gesucht hat. Sie, die am Ende mit allen offenen Rechnungen alleine dasteht und die nach einer Nahtoderfahrung als Kind wohl zum ersten und vielleicht auch einzigen Mal echte Fürsorge erlebt hat. Die ihre Arme fest um sich schlingt um ihre Risse zu bedecken …

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