Das Rauschen der Nacht (André Hille)

Ehrlich währt am längsten und Lügen haben kurze Beine. Da sind sich der Volksmund und die Lebenserfahrung einig. Früher oder später kommt alles immer raus. Ähnlich verhält es sich mit Verschwiegenem. Das gilt vor allem für das, was man vor dem eigenen Partner zu verbergen sucht. Irgendwann fliegen einem die Konsequenzen um die Ohren und dieser Roman hier fühlt sich für mich so an, als würde die Hauptfigur verzweifelt versuchen einen Deckel auf einem Topf mit kochendem Wasser zu halten, um zu verhindern das er druckvoll überkocht, kein Wunder das ihm besonders in den Nächten die sprichwörtliche “Muffe” geht …

“Wir bauten an unserem Leben, Tag für Tag, und irgendwann schirmte einen dieses Gebäude von allem ab, was sich lebendig anfühlte.”

Textzitat André Hille Das Rauschen der Nacht

Das Rauschen der Nacht von André Hille

Ein Geräusch hatte ihn geweckt. Ein Klopfen an der Scheibe, laut und deutlich. Mit einem Satz war er aus dem Bett. Druck auf dem noch vom Joggen schmerzenden Knöchel. Doch da war niemand. Die Tür zu den Kinderzimmern war angelehnt, ruhige Atemzüge waren zu hören. In seinem Kopf dröhnte die Stille des Hauses. Ein Ton, ein summender, hatte sich in seinen Ohren festgebissen. Dies war schon die zweite Nacht, die ihn nicht schlafen ließ. Die Mängel am Haus, der drohende Gerichtsstreit, die heutige Auseinandersetzung, die unterschwellige Drohung seines Partners, die er sehr wohl gehört hatte. Das bevorstehende Wochenende unter den Investoren in Berlin. Er hatte Angst, mir ist das klar, Jonas auch?

Etwas soghaftes hat diese Geschichte an sich. Es zog mich durch die Seiten, obwohl ich den Protagonisten dafür gehasst habe, dass er sich sobald es eng wird in die Arme einer anderen Frau flüchtet. Als sei das das Normalste auf der Welt nach zehn Jahren Ehe, zwei gemeinsamen Kindern und Misserfolg mit dem eigenen Start Up. Ist das wirklich so einfach? Flüchtet “Mann” sich tatsächlich sofort dorthin wo Lust und Leidenschaft Ablenkung versprechen? Platz da, weg da mit Verantwortung und Gemeinsamkeit? Vielleicht war es ja dieser Zorn der mich durch die Sätze getrieben hat, weil ich wissen wollte ob Birte seine Frau nicht auch ihr Recht auf Eigenständigkeit geltend macht, auch im Job, neben ihrer Rolle als Mutter. Das nämlich spricht er ihr ab, weil sie als Journalistin für “Bezahlbeiträge” ihr Einkommen sichert und das frisch gebaute Eigenheim auf dem Land Baumängel aufweist, die beide mit einem jahrelangen Rechtsstreit zu überziehen drohen.

Es mangelt nicht an Querschlägern in Hilles Roman, und wie sie so auf das Paar, respektive seinen männlichen Helden einprasseln, der seiner Frau lieber verschweigt wie es wirklich um seine kleine Firma steht die ihren Hauptinvestor zu verlieren droht, das ist nicht von schlechten Eltern. Durch sie erhält der Roman seine Dynamik, eine der ich mich nicht entziehen konnte.

Selbst ein “Landei”, und der mit Liebe zum eigenen Garten gesegnet und als Hobby-Maulwurf, verstehe ich nur zu gut, was das Land mit einem macht. Gerade jetzt in Pandemie-Zeiten ist es für mich ausgesprochen wohltuend aus meinem mit reichlich Kontakten eingesegneten Job hierher nach Hause kommen zu können. Es erdet mich nach Jahren immer noch ungemein und so lange ich angstfrei Reisen konnte, vermisste ich auch Theater und andere kulturelle Zerstreuung, die ich mir dann gönnte nicht. Die hat es nämlich am Land eher nicht oder nur selten. Besonders anspruchsvollere ist dünn gesät. Aber wer kann schon alles haben?

André Hille, geboren 1974, Gründer der Autorenschule “Textmanufaktur”, Literaturagent und Uni-Dozent, lebt mit Frau und drei Kindern in der Nähe von Bremen. Mit “Das Rauschen der Nacht” hat er uns jetzt seinen ersten eigenen Roman vorgelegt. Schreiben ist sein Metier, das spürt man in jedem seiner Sätze, die er poetisch ausformuliert und aneinander reiht.

Den Text stilistisch nicht überladen, das schafft er für mich auch. Er bleibt bei all der sprachlichen Ausgewogenheit sehr gut lesbar und durchaus konsumig, ohne platt zu sein. Präzise, sehr szenisch ist er, Gedanken und Körperwahrnehmungen seines Hauptprotagonisten beobachtet Hille sehr genau und modern sind die Knüppel, die er seinen Figuren zwischen die Beine wirft und zahlreich sind sie, die Hürden, die sie zu überspringen haben. Nix is’ fix sozusagen. Schon um die nächste Tagesbiege kann es ganz anders kommen und das tut es auch. 

Heile Welt geht anders. Im Hille-Kosmos kommt es richtig Dicke für die Hauptfigur und ich fand spannend zu entdecken, wie sie das wohl meistern wird. Stück für Stück zerpflückt Hille einen Alltag, der unbeschwert geradeaus laufen könnte. 

Ich erfahre von Belastungsproben, ernüchternden Anwaltsbesuchen, Gutachten und Seitensprünge. Aber auch vom Spaß den es macht mit Kindern auf Bäume zu klettern. Ein Traum von einer einträchtig zusammenlebenden Familie mit Haus auf dem Land. Eine Idylle die Risse bekommt und im wahrsten Sinne des Wortes bröckelt hier schon der Putz.

Die Schwiegereltern ein Lehrerehepaar im Ruhestand leben den krassen Gegenentwurf zu Jonas und Birte. Fragen auch offen, wie lange das mit der Selbstständigkeit denn noch so gehen soll … Ich denke noch, das muss Jonas doch spießig finden, dann sagt er, hier fühle er sich aufgehoben. Das bürgerliche Idyll und die Gesprächskultur der Schwiegereltern, findet er der “Möchte-Gern-Erfolgsmensch” beeindruckend? 

Eine durchgreifende, eine allesverändernde Entscheidung ist von Nöten um aus der Hamsterradschleife zu entkommen. Sollte dieser Entscheidung nicht aber doch erst einmal ein beratendes Gespräch mit seiner Frau voran gehen?

Hilles Geschichte besteht aus vielen Schichten, sie ist wahrlich vielschichtig und unter ihrer Oberfläche brodelt es früh. Es baut sich ein Druck auf, der den Thrill dieses Romans für mich ausgemacht hat. Der mich durch die Seiten jagt wie der Herbstwind und wenn ich das Buch niederlegen muss, freue ich mich schon darauf, es wieder zu Hand nehmen zu dürfen. Auch weil er mich aufbringt, dieser sein Protagonist. Was tut er sich leid …

Kindergeburtstage, Jeremias wird drei, vs. Teepausen. Trotzphasen und Gequengel, dann lieber doch Flucht auf das Gästeklo und dort Mails checken? Zwischen Filterkaffee und Vollkornstreuselkuchen wird der Schwiegervater angepumpt. Der seine Möglichkeiten nun aber auch langsam erschöpft sieht, nachdem er ihnen schon ihr Grundstück geschenkt (Wert ca. achtzigtausend Euro) und weitere zehntausend für ein neues Auto zugeschossen hat. 

Jonas trifft sie, seine Entscheidung und ich schüttle nur noch mit dem Kopf.  Jetzt wird er mir doch zu bunt der Herr Unternehmer. Er jagt einem Ziel hinterher, das nicht das seine ist, wann will er das denn bitte mal merken? Wo ihn seine Nächte schon nicht mehr zur Ruhe kommen lassen und er dieses Grundrauschen nicht mehr los wird? 

Wir wissen erst zu schätzen was wir haben, wenn wir es verlieren. Hoffentlich nicht, aber dieser Jonas hier schon. Der Mann braucht einen Weckruf und den kriegt er dann auch … Hille reduziert die Geschichte auf den Blickwinkel von Jonas, dadurch kommt man ihm sehr nah. Egal ob man ihn mag, oder nicht. Ob man nachvollziehen kann was er tut, oder nicht. Gewünscht hätte ich mir, das dieser Roman der mich auf hohem Nivea gut unterhalten hat, dass er etwas mehr in mir nachklingt, das er etwas mehr Betroffenheit in mir auslöst und weniger “midlife crises” spiegelt. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen? Ich spinne mal noch ein paar Gedanken an seinem offenen Ende entlang …

“Die Zeit ist gnadenlos. Sie geht über alles hinweg, alles wird unter ihr gleich.”

Textzitat André Hille Das Rauschen der Nacht

Dieser Roman passt irgendwie auch seltsam gut zu dem heutigen Tag. Ein Tag, an dem die Welt den Atem anhält. Amerika hat gewählt, und hier wie im Roman bleibt zu hoffen, dass nicht ein Ego dem besten Ergebnis im Wege stehen möge …

Mein Dank geht an den Blessing Verlag für dieses Rezensionsexemplar.

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