Erwartungen. Träume. Mit ihnen starten wir in unsere Leben. Verlassen die Schule. Gehen in einen Beruf von dem wir als junger Mensch annehmen: Das ist es. Wenn es gut läuft, stimmt das. Wir verlieben uns. Binden uns. Investieren. Gefühl. Gemeinsame Zeit. Sind dankbar. Dafür. Wir wünschen uns Kinder. Noch mehr Gemeinsamkeit. Verlassen unseren Beruf. Wenn es gut läuft. Kommen Kinder. Wenn dieser Wunsch sich aber nicht erfüllen lässt. Was dann? Hält unsere Beziehung das aus? Halten wir noch zusammen? Uns? Alles?
Das leise Platzen unserer Träume von Eva Lohmann
Jule. Eine Frau auf dem Land. Um die Vierzig. Verheiratet. Unfreiwillig kinderlos. Studierte Literarturwissenschaftlerin. Jetzt Köchin. Aus Leidenschaft. Ehemalige Eisdielenbesitzerin. Ein altes Gutshaus. Schafgarbe und Margeriten, strahlend weiße Tischtücher. Bunt gemischte Gäste und Stühle. Ratatouille und Yoga Frauen, eine Katzenklappe die Schicksal spielt. Ein Haus auf dem Land, das ein Zuhause hätte werden können.
Hellen. Eine Frau in der Stadt. Um die Vierzig. Getrennt. Alleinerziehend mit zwei Kindern. Gefangen im Erledigungsdschungel, hat einen Fuß in der Tür im Leben eines Mannes, der diese Tür nicht weiter für sie öffnet. Ein Kerl, der sich alle Optionen offen hält. Wie bequem für ihn! Hat ihr Instalife, mit ihren Zwillingen als Komparsen, mehr zu bieten als ihr Reallife? Für mich sieht es so aus.
Hellen denkt viel an die Frau ihres Liebhabers. Die Bilder, die sie sich macht, das Meiste hat sie aus Schilderungen von ihrem David, sind wenig schmeichelhaft. Sie legt sich zurecht, wie sie am besten vor sich rechtfertigen kann, was sie da tut. Jules Ehe zu brechen oder war sie tatsächlich schon vorher zerbrochen? Zumindest behauptet das David. Sie will ihn ja nicht ganz. Nur ein bisschen. Ohne die Verantwortung. Das Teilen macht ihr nichts aus. Was ist sie für ihn? Ständig erzählt er von seiner Frau. Ihren Streitereien. Das sie ihn nicht mehr will. Körperlich. Trotzdem bleibt er. Warum?
Frau mit Katze oder Frau mit Kindern? Mir scheint dieser David will beides eigentlich nicht. Ich bin der Meinung, er sieht sich in der komfortablen Situation, sich aus beiden Welten dieser Frauen das Beste, quasi die Rosinen, herauspicken zu können. Während er sein Ding macht, Marathon läuft, sich eine Zweitfrau gönnt, kommt Jule langsam zu sich. Mistet erst akribisch ihren Kleiderschrank aus, befreit sich von Ballast. Atmet auf.
Aufschlag Hellen. Sie ist David Affäre. Wusste von Anfang an von seiner Frau Jule. Was sie nicht gestört hat. Es sollte schön unverbindlich bleiben. Zwischen ihr und dem Anästhesisten.
Jule weiß nichts von Hellen. Ahnt auch nichts. Lebt an David vorbei. Erinnert sich. An das was sie einmal hatten. Aneinander. Miteinander. Warum sie hierher gezogen waren auf’s Land. Wo sie angekommen ist. Aber irgendwie auch nicht.
Entschluss oder Entschuldigung? Da bin ich mir genauso wenig sicher wie Hellen, wie David das meint, wenn er SO von seiner Frau spricht. Da ist er, der Punkt, an dem sie hätte aufhören müssen. Aber sie tut es nicht. Was jetzt in der Geschichte folgt, ist so unausweichlich wie überraschend und hat mich mit großer Spannung lauschen lassen. Die Ohren weit geöffnet.
Eva Lohmann, geboren 1981, lebt und arbeitet als freie Autorin mit ihrer Tochter in Hamburg. Lohmann, wirft einen sehr genauen Blick auf das Leben von Jule und Hellen, die sich einen Mann teilen. Auf ihre Träume. Ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe. Auf ihre Leben, in denen vielen einfach so gekommen ist wie es musst. Auf die Zwangsläufigkeit. Der Roman Titel verrät schon, wir sind hier wohl eher nicht bei “Wünsch dir was” und doch geht es Eva Lohmann auch darum. Aufzuzeigen, dass es für eine Veränderung nie zu spät ist. Es aber Mut braucht. Sie zeigt sich als sehr gute Beobachterin und kennt ihre Figuren. Zeichnet sie lebensecht und sympathisch. Man fühlt sich in ihrer Mitte nie fremd. Hört ihnen zu. Gibt innerlich Ratschläge.
Schaut traurig auf das Schweigen, das zwischen David und Jule eingezogen ist. Wie sich am Tisch im Restaurant gegenüber sitzen ohne miteinander auch nur ein Wort zu wechseln. Erich Kästner hat dazu ein Gedicht geschrieben, Sachliche Romanze, diesen einen Satz hatte ich beim Hören dieses Romans immer wieder im Kopf:
Milimeterweise hatte sich der Abstand zwischen ihnen vergrößert, auf leisen Sohlen war schleichend verschwunden, was einmal der Klebstoff gewesen war, der sie zusammengehalten hatte. Ein Rest davon war immer noch da. Musste noch da sein, denn sie lösten sich ja nicht voneinander.
Eva Lohmann baut ihre Geschichte auf zwei Ebenen auf. Hellen richtet sich mit ihren Gedanken an die andere Frau, in der Ich-Form an Jule, spricht sie direkt an, als schreibe sie ihr einen Brief, den sie nie abschicken wird. In ihm vertraut sie ihr an, wie ihr Leben mit dem Mann einer Fremden aussieht, formuliert so, als wäre sie nicht die heimliche Geliebte ihres Mannes, sondern eine alte Freundin. Fühlt sich ihr verbunden.
Diese Erzählart hat mir sehr gefallen. Beide Frauenfiguren stehen fest in ihren Leben, auch wenn sie sich darin nicht wirklich wohlfühlen. Gerne würden sie ihre Situation verändern, aber es fehlt noch an der Idee wie das sein könnte. Das neue Anders. Ich mochte alle beide, wenn auch vielleicht Jule ein bisschen mehr. Ihre Kreativität und die Leidenschaft für andere Gutes zu kochen. Wie sie ganz selbstverständlich mit Akkuschrauber und anderem Gerät ihr Häuschen in Schuss hält. Vielleicht auch weil das Landei in mir da vieles wiedererkannt hat. Über den Gartenzaun hinweg.
Leichtfüßig plaudernd, kommt Lohmanns Geschichte daher, leicht könnte man da überlesen oder überhören, mit wieviel Liebe und Tiefe sie ihre Figuren gezeichnet hat, wäre da nicht diese ganz zarte Melancholie, dieses stete Bedauern und Vermissen in ihrem Text, das ihn wie eine Hintergrundmelodie untermalt. Sie trägt diesen Roman und hat ihn für mich besonders gemacht und ganz wunderbar warmherzig. Geschichten wie die von Jule und Hellen gibt es viele. Sie wurden auch schon vielfach erzählt. Aber nicht so!
Als wendungsreich, überaus kurzweilig, waschecht und lebensnah, habe ich diese Geschichte empfunden. Unter jedem Dach ein Ach, hat Hellens Oma immer gesagt, wie so viele Großmütter trifft sie damit den Nagel auf den Kopf. Perfekt und kummerfrei geht es nicht und nirgends zu, und unsere Moralvorstellungen verändern sich mit der Anzahl unserer Lebensjahre. Meint Eva Lohmanns Hellen. Ist das so? In jedem Fall ermöglicht uns die Lebenserfahrung mehr Verständnis für das Tun und Lassen anderer aufzubringen.
Da ist viel innerliches Nicken bei mir, wenn ich hier zuhöre. Mitgefühl und der Wunsch, das sich doch alles fügen möge. Irgendwie.
Wer lieber hören will kann auch das tun, für den Eisele Verlag liest die Eva Lohmann selbst und so empathisch wie nur sie es kann in rund fünf Stunden ihren ungekürzten Text ein und ich habe es sehr genossen ihre Stimme im Ohr zu haben. Sie weiß, was um die nächste Satzbiege lauert, kennt alle Klippen in ihrem Text, kann Pausen machen, damit man gedanklich Atem holen kann, bevor sie den nächsten Gedanken und herrlichen Satz nachschiebt. Ich habe mir sehr gerne von ihr vorlesen lassen, empfehle daher von Herzen auch die Hörbuch-Fassung. Also, wer die Wahl hat, hat die Qual entscheidet Euch, für das Lesen, oder das Lesen. Aber tut es. Bitte. Startet in diese wunderbar warmherzige Geschichte über Mut und Entscheidungen mit Tragweite, die versöhnlich ist, weil es eben oft anders kommt als man denkt. Eine Geschichte über das Ende eines Sommers, wie gemacht für einen heraufziehenden Frühling.
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