Das dritte Licht von Claire Keegan

Wild zerzaust und schmutzig, mit fadenscheiniger Kleidung, sieht sie aus. Als sie ankommt. Wie ein Kesselflicker-Kind. Diesen Begriff muss sie schon öfter gehört haben, warum sonst würde sie sich so bezeichnen?

Ihr Vater ging, ohne Abschied, kein Wort davon, wie lange sie hier bleiben sollte. Sogar ihre wenigen Habseligkeit, die Wechselwäsche, hatte er vergessen hier zu lassen. Als könne er sie nicht schnell genug loswerden. In einem Jahr würde man nicht mehr darüber reden, hatte sie aufgeschnappt, als die Erwachsenen sich nach ihrer Ankunft unterhielten. Ihre Mutter war wieder schwanger und noch ein Kind satt kriegen war nicht möglich. So viel hatte sie begriffen. Auf sie konnten sie offenbar auch als erstes verzichten.

Warm und still und sauber. Der Duft eines Rhabarberkuchens liegt in der Luft. Er wird frisch aus dem Ofen gehoben, mit Sahne! übergossen.

Fühl dich wie zu Hause. Hört sie. Dabei ist zu Hause doch ganz anders. Nicht? So ganz anders. Zu Hause kennt Hunger, Schelte und Missachtung. Frieren, Kindergeschrei und Pflichten.

Ein heißes Bad, Hände die schützen und verwöhnen. So ungewohnt, dass ihr die Worte fehlen es zu beschreiben. Also lässt sie einfach geschehen. Ungläubig, wie umsichtig und freundlich Mrs. Kindsella mit ihr umgeht. Wie aufmunternd Mr. Kindsella mit ihr spricht.

Claire Keegan, ist eine irische Schriftstellerin, geboren 1968 in der Grafschaft Wicklow, die sich mit ihren preisausgezeichneten Kurzgeschichten in die Leser:innenherzen geschrieben hat. Zuletzt erreichte Ihre Erzählung Kleine Dinge wie diese 2022 die Shortlist des Booker Prizes. Zuvor erschien ihre Geschichte Das dritte Licht, in deutscher Übersetzung von Hans-Christian Oeser erstmals 2013 im Steidl Verlag. Keegan gab ihrer im Original 2010 veröffentlichten Geschichte den Titel Foster. Sie erschien seinerzeit im US-Magazin New Yorker und wurde zur besten Erzählung des Jahres gekürt.

Der Oscar für den besten fremdsprachigen Film ging in diesem Jahr an Im Westen nichts Neues und an Edward Berger. Unter den vier Nominierten befand sich auch der irische Film The Quiet Girl. Genau, keine geringere als Claire Keegan lieferte hierfür die Erzählvorlage. Wir dürfen uns auf den Start am 16. November 2023 in den deutschen Kinos freuen, der Steidl Verlag hat in diesem Jahr eine von der Autorin neu überarbeitete Fassung veröffentlicht und seit dem 08.09.2023 ist auch eine ungekürzte Hörbuchfassung Ihres ausgezeichneten Textes erhältlich. Für den BonneVoice Hörbuchverlag, bei dem ich mich für dieses Besprechungsexemplar herzlich bedanke, liest ganz hervorragend:

Laura Maire, geboren am 11. Oktober 1979, deutsche Schauspielerin, Synchron- und Hörbuchsprecherin. Sie wurde 2011 für ihre Lesung von Nichts von Janne Teller in der Kategorie Beste Interpretin mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet. Ihre Stimme klingt jung, ist erfüllt von diesem atemlosen Staunen seiner kleinen Heldin und empfängt mich herzlich in dieser Geschichte. Mit viel Empathie und Lebendigkeit gestaltet sie den Text und sie passt stimmlich ganz wunderbar zu dieser kindlichen Hauptfigur. Ihre Lesung ist auf den Punkt, so wie die Geschichte selbst warmherzig und ich bin froh, mich für das Hören entschieden zu haben!

Worum geht es inhaltlich? Ein verwahrlostes, vernachlässigtes Mädchen, ihr Alter weiß man nicht so genau, sie scheint aber noch nicht eingeschult zu sein, wird von ihrem Vater bei entfernten Verwandten abgeladen. Wie ein Haustier, an dem man das Interesse verloren hat. In dem Haushalt, der sie aufnimmt, hat sie plötzlich reichlich zu essen, sogar Naschwerk, stößt an liebevolle Grenzen und Zärtlichkeit. Sie fällt wie Alice im Wunderland durch ein Kaninchenloch und kann was ihr geschieht zunächst gar nicht fassen. Meint schon in diesem Sommer zwischen Rhabarber, heißen Bädern und frischer Bettwäsche das Glück gefunden zu haben, ein Glück auf unbestimmte Zeit, denn niemand spricht davon, wie lange sie hier bleiben muss oder darf, da kommt alles anders.

Claire Keegan erzählt durch die Augen eines Kindes, das mit großen Augen erlebt, wie es sein kann, wenn man umsorgt wird, Liebe und Zuwendung erfährt. Das fleißige, stille Mädchen entdeckt diese neue Welt für sich mit Neugier und Wissbegier, saugt alles auf wie ein Schwamm und wächst langsam aber stetig an dem was es lernt und in seine neuen Pflichten hinein.

Die Geschichte spielt in der abgelegenen irischen Grafschaft Wexford, in einem Sommer Anfang der 80er Jahre, auf der Farm von Edna und John Kinsella, wo es keine Geheimnisse gibt, höre ich Mrs. Kinsella sagen und doch gibt es da etwas, das hinter der Fassade dieser vermeintlich so heilen Welt schlummert. Etwas das die Macht hat alles zu zerbrechen …

To foster a child” meint ein Kind in Pflege zu nehmen oder zu geben. Damit fasst der Originaltitel Foster den Kern der Erzählung in einem Wort zusammen. Der deutsche Titel greift dagegen einen hellen Schlüsselmoment, einen Glücksmoment der Geschichte auf.

Ein Sommerabend. Ein Spaziergang am Strand. Lichter am Horizont. Kristallklares, kühles Wasser, ein Zinkeimer, der auf der Oberfläche treibt, eine Hand die danach greift. Angst und Sorge. Glück im Unglück.  

Als meisterlich verknappt habe ich Claire Keegans Erzählen empfunden und ich bewundere, wie man das schaffen kann. Das Leser:innen zum Einen nichts vermissen und zum Anderen nur zu gerne noch einen Nachschlag hätten. So ist es mir ergangen. Ich wäre gerne noch länger geblieben, in diesem Sommer und darüber hinaus, habe aber auch ebenso gerne den letzten Satz gehört und bin fein damit, was mir Keegan bis hierher verraten hat. Sie erweist sich als exzellente und genaue Beobachterin, stattet ihre kleine Protagonistin mit einer großen Feinfühligkeit aus und ihre Novelle mit etwas unterschwellig Lauerndem. Alles klingt zu schön um wahr zu sein. Damit erreicht sie eine Grundspannung, die eine so starke Sogwirkung entfaltet, dass man sich als Zuhörer:in des Geschehens nicht mehr losreißen will. Die Geschichte ist erfüllt von Zartheit und Güte. Sie erzählt von Vertrauen und Zutrauen. Ist die Geschichte zweier Welten. Eine Geschichte davon, wie Familie sein kann. Eine Geschichte die leuchtet.

Das Hörbuch eines Sommers, wie gemacht für den Herbst, für Couch, Kuscheldecke und Tee. Aufwühlend und mitfühlend zugleich. Für mich war es die erste Begegnung mit einer Erzählung von Claire Keegan, aber sicher nicht die letzte. Ihre Erzählperspektive, ihre Sprache, ihre so gekonnte Kurzgefasstheit, haben mir sehr, sehr gefallen.

Viele von Euch werden diese Geschichte schon kennen, wenn Ihr das tut, ist das Wiederhören mit ihr, mittels dieser Hörbuchfassung, und mit Laura Maire ein Geschenk. Kennt ihr die Geschichte noch nicht, dann entdeckt bitte jetzt diese Perle. Wie schön, dass Sie durch die Verfilmung und die Vertonung aktuell wieder mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit erfährt.

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