Das Böse es bleibt (Luca D’Andrea)

Sonntag, 20.05.2018

Nein, meine Heimat sind nicht die Berge, wie die, in die Luca D’Andrea hineingeboren wurde. Ich bin gebürtig aus Idar-Oberstein, der Stadt der Edelsteine und des Schmucks. Bereits im 15. Jahrhundert wurden hier an der Nahe, an ihren Nebenflüssen und Bächen in über 183 Schleifen Edelsteine verarbeitet. Als sich die heimischen Achat-Vorkommen erschöpften, viele Arbeiter ihr Einkommen verloren, setzte damals eine regelrechte Auswanderer-Welle in Richtung Brasilien ein, dort gab es noch Vorkommen und versierte Handwerker waren rar. So verschwanden in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nach und nach die Schleifen aus dem Landschaftsbild in meiner Heimat.

Das Handwerk der Edelsteinschleifer, Lapidäre und Goldschmiede, ist jedoch bis heute für die Stadt und ihre Industrie prägend. 1974 wurde im Stadtteil Idar die weltweit erste und bis heute auch einzige Misch-Börse für Diamant-und Farbedelsteine gegründet. Die funkelnden, kostbaren Steine werden hier gehandelt, in den Betrieben der Stadt von kundigen Händen geschliffen und in alle Welt vertrieben. Räuberpistolen um die glitzernden Kostbarkeiten werden sich da natürlich auch erzählt. Sie handeln von Einbruch, Diebstahl, Raub und Überfällen. Ob auch Ehefrauen unter den Tätern sind, wie in diesem Krimi wurde mir bislang nicht überliefert, aber wer weiß …

Das Böse es bleibt

Der kleine Samtbeutel mit den Saphiren lag weich in ihrer Hand, als sie den Tresor wieder schloß und das Bild wieder schützend davor gleiten ließ. Der Inhalt dieses Beutels würde ihre Eintrittskarte sein in ein neues Leben. Es war Zeit dieser Welt aus Schutzgeld-Erpressung und Hehlerei, der ihr Mann vorstand, zu entkommen. Mit klopfendem Herzen entschied sie sich zur Flucht, wohl wissend, das ihr Mann seine Augen und Ohren überall hatte und ihr nicht viel Zeit bleiben würde.

Durch das sich schnell verdichtende Schneegestöber floh sie jetzt in die Nacht, verfolgt von den Schatten ihrer Vergangenheit und, da war sie sich sicher, sehr bald schon von den Häschern ihres Mannes. Am Ende der Serpentinenstrecke dann die folgenschwere Entscheidung, sollte sie nach links oder rechts abbiegen? Als ihr Wagen ins Schlingern geriet und die Bäume in nicht enden wollender Zahl auf sie zu rasten wußte sie – sie hatte sich falsch entschieden. Der kleine Fiat und Marlene kamen in dieser Winternacht 1974 von der Straße ab und überschlugen sich …

Luca D’Andrea, der italienische Schriftsteller und Oberschulprofesser aus Bozen hatte bereits in seinem ersten Roman, „Der Tod so kalt“, der sich wochenlang auf den Bestenlisten hielt, die

Stimmung der Südtiroler Bergwelt grandios eingefangen.

Diesmal erzählt er, ebenfalls vor der Kulisse seiner Heimat Südtirol, von Killern, Opfern und Gaunern. Die Geschichte nimmt mit einem Autounfall ihren Anfang und verlagert sich dann größtenteils auf einen einsamen Berghof zwischen Schweine, Schnee und Eis. Ein Hof, in dessen Keller man eher nicht hinabsteigen will. Tut man es, stößt man auf Schädel, Knochen und auf einen Berg alter, handgeschriebener Familienbibeln.

„Auge um Auge – Zahn um Zahn“ …

Eine Geschichte von Befehl und Gehorsam, von Denunzianten, Spionen und Kollaborateuren, Schuld und Rache. Von der Mafia, ihren Bossen und Opfern. Von Schmuggel und Bestechung. Das organisierte Verbrechen hält seine Hand über alles und alle. Zieht an den Fäden seiner Marionetten und läßt sie tanzen, töten und taumeln.

„Knusper, knusper, Knäuschen. Wer knuspert an meinem Häuschen?“ Märchenhafte Metaphern verwendet D’Andrea diesmal um dem ewig Bösen Gestalt zu geben. Er läßt uns buchstäblich dem schwarzen Mann im Wald begegnen.

Klein, bösartig und grausam. Marlene läßt er von Kobolden träumen. Aus der Erde kamen sie, in Höhlen hausten sie. In ihren Träumen peinigten sie sie, schickten ihr Erinnerungen an Herrn Wegener, ihren Ehemann, dessen Deckname in der Welt der Syndikate bezeichnenderweise „Kobold“ ist.

Waren seine Monster in „Der Tod so kalt“ noch prähistorisch, sind sie hier eher nach grimmschem Vorbild gestaltet. Aus liebenswerten Wichteln werden bei D’Andrea abgezehrte Kindersklaven, die in asiatischen Minen nach Edelsteinen schürfen um skrupellose Verbrecher reich zu machen.

Blut klebt an deren Händen, das Blut der Kinder die sie mit Gewehrkolbenschlägen zum Schuften antreiben bis zur völligen Erschöpfung. Die Mafiosi agieren in diesem Kontext als gewissenlose Kobolde, die Terror, Macht und Zwang ausüben.

Unschuldige, klapperdürre Brüder müssen tatenlos mit ansehen, wie der eigenen Schwester durch den Vater Gewalt widerfährt. Tatenlos, schutzlos und machtlos. Sie fallen dem Wahnsinn anheim, werden zum Verräter am eigenen Vater, der einst Vorbild und Leitfigur war. Die Beziehung zur kleinen Schwester bleibt indes prägend für sie, ihre Stimme bleibt in ihnen präsent. Halluzinationen verschmelzen mit der Realität. Auftragskiller konkurieren mit Serienmördern.

„Der Tod so kalt“ war ein Ausnahmekrimi für mich, deshalb hatte ich mir diesen hier, seinen zweiten, schon zeitig vorgemerkt. Meine Erwartungen waren hoch, der Autor selbst hatte die Messlatte auf diese Höhe gelegt. An den Spannungsaufbau, das Sagenhafte, das Geheimnisvolle seines ersten Romans reicht „Das Böse es bleibt“ für mich leider nicht heran. Die famose Grundstimmung seines Erstlings, die ihn mehr als einen Krimi sein ließ und in mir auch heute noch, beim Gedanken daran, eine seltsame Beklemmung auslöst, kann er hier nicht erzeugen. Der Handlungsstrang war mir bisweilen etwas zu verworren, die Motive unklar. Wohl wissend, dass es auf Gottes Erde genug Verrückte gibt, deren Tun und Handeln wir Übrigen nie werden nachvollziehen können …

Matthias Köberlin – Schon gut, ich gestehe! Gestehe, dass ich mich in seine Stimme, seine Art des Vortrages verliebt habe. Hoffnungslos und rettungslos.

Bereits bei den ersten Tönen dieses Hörbuchs kriecht mir eine Gänsehaut an meinen Armen entlang aufwärts, die diesmal allein seiner Stimme geschuldet ist. Als Sprecher hält er uns die Steigbügel und hebt uns hinein in die Handlung. Laut und polternd kann er uns zusammenfalten, schwenkt kurz darauf wieder um und betont mit einer Sanftheit, die uns das Blut stocken läßt, die Konsequenzen die unser Handeln haben wird, und wir wissen, das wir da gerade auf ganz dünnem Eis balancieren …

Köberlin ist für mich ein absoluter Mehrwert für jede Geschichte. Er liest klassische Romanstoffe à la Donna Tartt ebenso souverän wie einen solchen Krimi, aus dem er alles heraus holt. Bravo!

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