Dark Town (Thomas Mullen)

Freitag, 15.03.2019

Beim Lesen des Klappentextes habe ich es schon geahnt … Das wird nicht funktionieren, mit mir, der Toleranz und diesen Typen! Der Punk ist dann bei so mancher Szene, bei so einigen Sprüchen, auch tatsächlich in mir abgegangen.

Die Hautfarbe als Maß aller Dinge, der Mensch, der in dieser Verpackung steckt – uninteressant, an den Rand gedrängt, verachtet und schlimmeres …

Willkommen in Dark Town, im Reich von Intoleranz und Verachtung, wo Feindseligkeit, Spott und Hohn zum Tagesgeschäft gehören …

Dark Town (Thomas Mullen)

Tatort Atlanta – ein Hexenkessel in Mitten der Prohibition, im April 1948.

Man half Ihnen nicht nur nicht, man behinderte und attackierte sie offen. Die ersten acht afroamerikanischen Streifen-Polizisten bei der APD, dem Altlanta Police Department wurden von ihren weißen Kollegen mit Affenlauten verunglimpft. Man machte sich auch gerne mal einen Spaß daraus auf offener Straße mit dem Streifenwagen auf sie zuzuhalten. Unterstützungsrufe überhörte man geflissentlich und ohne jegliches Unrechtsbewußtsein.

Sie waren vorrangig den Stadtvierteln zugeteilt, in denen überwiegend afroamerikanische Bewohner im Wortsinne hausten. Ein Fahrzeug vertraute man ihnen nach wie vor nicht an, sie mussten zu Fuß gehen, aber Uniform durften sie tragen und –  Schußwaffen (!) was für den weißen Anteil der Zivilbevölkerung noch immer ein “no go” war.

Nicht selten verweigerten aufgegriffene Weiße ihnen Ausweispapiere, Gehorsam und Respekt, so auch in dieser Nacht, als die beiden Officers Box und Smith einen Fahrer stellten, der einen Laternenmast gerammt hatte und offenbar alkoholisiert war. Eine verletzte afroamerikanische Frau saß auf dem Beifahrersitz, teilnahmslos, ja apathisch wirkte sie und floh doch kurz darauf, nachdem der Fahrer ausgestiegen war, als hätte sie nur auf den passenden Moment gewartet, in die dunklen regennassen Gassen. Die Nacht sollte sie nicht mehr lebend hergeben …

“Bleib immer höflich zu weißen Menschen und schau ihnen nicht in die Augen, verschwinde so schnell du kannst, damit sie dir nichts böses antun können”. Das hatte seine Mutter dem kleinen Horrace eingeschärft und es fiel im jetzt wieder ein, als der weiße Mann, mit den leeren blauen Augen vor ihm in die Hocke ging und ihn direkt anschaute …

Ein Sträfling auf der Flucht … Wie nur war sein Partner darauf gekommen, dass er sich in diesem Haus versteckt halten könne? Er hatte keine Ahnung, getrennt hatten sie, als Vertreter der Polizei, das Haus betreten, Dunlow durch die Vordertür, er durch die Hintertür. Jetzt sah er genau in die Mündung einer Pistole und auch wenn die junge Frau zitterte, so wirkte sie doch entschlossen. Er zögerte nur kurz, dann riss er den Topf mit der kochend heißen Maisgrütze vom Herd und schleuderte ihn in ihre Richtung. Wie flüssige Lava verteilte sich die Masse auf ihrem Gesicht, der Topf fiel zu Boden, es löste sich ein Schuß …

Thomas Mullen, geboren 1944, us-amerikanischer Schriftsteller lebt mit seiner Familie in Atlanta/ Georgia. Seit 2006 hat er fünf erfolgreiche Romane veröffentlicht, Darktown erschien im Original 2015.

Ihm gelingt es hier ausgezeichnet seinen Kriminalfall modern zu erzählen und ihn dabei gleichzeitig in seinem historischen Kontext zu belassen. Beides geht sich sehr gut aus und macht diesen Kriminalroman damit zu einem ganz besonderen Stück für mich, zu einem echten Sittengemälde. Mullen entwirft einen clever ausgeklügelten Spannungsbogen, düster, gemein und brutal gewandet. Läßt die Fratze verbohrter Ideologien, Rassismus und Fanatismus immer wieder durch seine Silben blitzen.

Unter den Polizeibeamten des APD befanden sich auch zahlreiche Kriegsveteranen, die im Zweiten Weltkrieg gedient hatten. Die auch in Deutschland im Einsatz gewesen waren, dort Konzentrationslager befreit und geräumt hatten. Ihre Nächte hatte dieser Krieg mit Albträumen bevölkert, sie zu Schlafwandlern gemacht. Schwarze und weiße Soldaten hatten hier Seite an Seite gekämpft, im Namen der Gerechtigkeit. Nach ihrer Heimkehr wollte man davon jetzt aber nichts mehr wissen? Bei den Paraden in Atlantas Innenstadt griffen sich sogar Lynch-Mobs die afroamerikanischen Soldaten und prügelten sie auf offener Straße vor aller Augen zu Tode …

Atmosphärisch dicht setzt Mullen immer wieder auch die Schwüle Atlantas als unterstützendes Stilmittel ein, ebenso wie den Blick auf die Vergangenheit der einzelnen Männer.

Verschüttetes Benzin und alles verzehrendes Feuer. Rau und brutal ist seine Szenerie und dann wieder rührt er an Wunden, die in der Seele der Südstaaten bis heute nicht verheilt scheinen, hinterläßt uns wütend und nachdenklich.

Das muss ein Krimi erstmal schaffen!

Wir begleiten mit ihm die beiden “Negro” Streifenpolizisten Box und Smith bei ihren Ermittlungen, die mit einem harmlosen nächtlichen Aufgriff eines betrunkenen Autofahrers beginnen, durch ihre Tage und Nächte. Werden bespuckt, beschimpft … Erleben Gottlosigkeit und ganz spezielle Verhörtechniken im heißesten Raum des Gebäudes bei der APD, die aus jedem ein Geständnis herausholen. Mit den Niggern unter den Straftätern brauchte man ja auch nicht allzu achtsam umzugehen. Hier steht man mit hinter der Scheibe im Observationsraum und kann es nicht fassen!

Wir finden uns wieder zwischen Lebenslügen, falschen Loyalitäten, christlichen Werten, generationenübergreifendem Mißbrauch. Zwischen alten Feinden und neuen Verbündeten wo man sie nie und nimmer vermutet hätte. Finden Integrität und Rückendeckung bei einem Kollegen, der sich nicht korrumpieren läßt, als wir schon aufgeben wollen.

Hier fletschen Nachts auf Patrouille Hunde die Leftzen. Wie zwei Terrier verbeissen sich auch die beiden schwarzen Cops Smith und vor allem Lucius Box in den Fall der ermordeten schwarzen jungen Frau, deren Leiche auf dem Müll gefunden wird, sie ermitteln auf eigene Faust weil keiner ihnen Glauben schenken will. Lassen sich nicht abschütteln, das obwohl ihnen nicht gerade viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Dürfen sie doch keine Weißen befragen, nur Negros, und auch die müssen ihnen nur antworten, wenn sie denn wollen. Und doch finden sie eine Spur, die bis in die höchsten politischen Kreise führt, ein Kongressabgeordneter kommt ins Spiel, also doch?! kein normales Gewaltverbrechen?

Eine Vertuschungsmaschinerie vom Feinsten startet, die von einer im Untergrund agierenden Truppe von Ex-Polizisten gestützt wird, denen es nichts ausmacht wenn Blut an ihren Händen kleben bleibt. Man schreckt auch davor nicht zurück die dunkelhäutigen Kollegen dabei auf das Übelste mittels falscher Beschuldigungen zu diskreditieren. Wer glaubt am Ende schon einem “Negro-Officer”, soll er doch seinen neu gewonnenen Job verlieren, die Tinte auf den Einstellungspapieren ist ja eh noch nicht trocken …

Verdrehte Tatsachen, unterschlagene Beweise und Mauern aus Schweigen gilt es zu knacken. Schläge, Tritte und Demütigungen folgen auf Beleidigungen und Unterstellungen bar jeder Tatsache, bar jeglichen Beweises. Von der Unschuldsvermutung hat man hier offenbar noch nichts gehört. Jedes Wort des Verdächtigen ist ein Wort zuviel, jeder Satz wird missgedeutet. Das hier ist keine schlampige Polizeiarbeit, das hier hat Methode.

Dieser Kriminalroman ist eine Millieustudie wie sie bunter, kraftvoller und bildhafter nicht sein könnte. Spannend und verstörend gut gelesen in der Hörbuch-Fassung (gekürzt) vom “Chef im Ring” David Nathan.

Was soll man über diesen Routinier, der jeden Stoff am Kragen packt und zu einem Erlebnis macht noch sagen? Vielleicht, dass er hier, der auf der Stadt liegenden Schwüle sogar eine Stimme gibt? Eine, die durch jede Ritze dringt. Sein polternder Dunlow hat mich echt das Fürchten gelehrt, hinter dem Lenkrad im Auto habe ich mehr als einmal den Kopf eingezogen. Beklemmend gestaltet er die nächtlichen Runden, die Verhöre gnadenlos, so schafft er es dieser Geschichte noch einen Tick mehr Authentizität mit zu geben. Voll-Profi – halt. Großes Hör-Kino!

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    17. März 2019

    Liebe Mikka, hab vielen Dank für Dein nettes Lob. Die Lesung ist gekürzt, ja, aber mir hat nichts gefehlt. Die englische, ungekürzte Fassung ist offenbar deshalb länger als die deutsche gekürzte Hörbuch-Version, weil wir im Deutschen doch mehr Worte verlieren, wenn wir etwas sagen. Fand ich auch erstaunlich. Dir wünsche ich spannende und empörende Unterhaltung, gleich für welche Version der Geschichte Du dich entscheidest. LG von Petra

  2. Mikka
    15. März 2019

    Hallo,

    das Buch steht schon länger auf meiner Liste der Bücher, die ich unbedingt lesen, beziehungsweise als Hörbuch hören möchte! Ich liebe David Nathan als Sprecher, was eigentlich für das deutsche Hörbuch spricht, aber laut Audible ist die deutsche Fassung gekürzt. Deswegen tendiere ich dann schon wieder mehr zum englischen Hörbuch!

    Merkwürdigerweise ist die deutsche angeblich gekürzte Fassung allerdings fast drei Stunden länger als die englische ungekürzte – so viel kann dann ja in der deutschen Fassung eigentlich nicht fehlen. Vielleicht doch David Nathan?

    Eine wunderbare Rezension, die einen sehr guten Eindruck bietet!

    LG,
    Mikka

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