Betreff: Falls ich sterbe (Carolina Setterwall)

Zerbrechlich ist das Glück dass wir alle haben, wenn wir einen Menschen lieben dürfen und von ihm wieder geliebt werden. Trauer ist für jeden anders und sie ist etwas sehr privates. Sie kommt und geht wie eine Welle, oft wenn man nicht auf sie gefasst ist. Man wird getriggert von Bildern, Gerüchen oder Bemerkungen, dann stürmen ganze Bilderfluten auf einen ein. Man bemüht sich um Abrenzung. Um Fassung und verliert. Meist. Häufig. Hofft. Das sie irgendwann überwiegen wird. Die Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, das man ein Wegstück gemeinsam hat gehn dürfen.

Phantomschmerzen beschreiben Menschen die ein Körperteil verlieren und es danach noch immer spüren können. Wenn wir einen Gefährten verlieren, erleben wir das ganz ähnlich. Es gibt Tage da spüren wir ihn noch obwohl er längst fort ist …

“Den Blick immer noch auf den Bildschirm geheftet, lässt du mich gehen, und ich tue es, ich gehe, zum allerletzten Mal gehe ich von dir weg. Ich glaube, dass wir uns morgen früh sehen werden. Das tun wir nicht. Wie sehen uns nie wieder.”

Textzitat Carolina Setterwall Betreff: Falls ich sterbe

Betreff: Falls ich sterbe von Carolina Setterwall

Auf der Bank nahe bei den Briefkästen hatte sie sich hingesetzt. Den Blick fest auf dem Betonboden vor sich gerichtet. Er war tot. Das hatte auch der Sanitäter bestätigt, der jetzt auf sie herab sah und beruhigend auf sie einredete. Tot. Einfach so. Nichts war einfach. Vor allem das Aufstehen nicht. Von dieser Bank. Vor dem Haus. Sie wollte nie mehr dort hineingehen. Lieber warten. Bis andere kamen. Sein Bruder, die Eltern. Die das Kommando übernahmen. Und die Polizei. Das gehörte zur Routine, wenn ein junger Mensch starb, sagten sie ihr und Fragen stellten sie. Nicht wenige. Jetzt saß sie in ihrer Küche während die Polizei den Medikamentenschrank sichtete, auf ihre amerikanischen Schlaftabletten stieß. Es waren viele. Dann kam der Gerichtsmediziner.

Tagsüber ließen sie sie nicht allein. Allein mit Ivan, der acht Monate alt ist als sein Vater stirbt. Sie hat viele Besucher, einer davon ist die Angst. Sie kommt immer in den Nächten, mit Schüttelfrost und Druck auf der Brust, einem unkontrollierbaren Zittern. Jede Nacht seit Aksel tot ist …

Carolina Setterwall, geboren 1978 in Sala/ Schweden, lebt mit ihrem Sohn in Stockholm. Nach einem Studium der Medien und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie als Redakteurin bei verschiedenen Verlagen und in der Musikindustrie erfährt man im Klappentext von ihrem Verlag.

“Let’s hope for the best” heißt ihr 2018 erschienener autofiktionaler Debütroman in der englischen Fassung, der am 08.07.2021 aus dem Schwedischen in Deutsche übersetzt von Susanne Dahmann, mit dem Titel “Betreff: Falls ich sterbe” auch bei uns erschienen ist.

“Es fühlt sich nicht so an, als hätte ich noch ein Zuhause.”

Textztitat Carolina Setterwall Betreff: Falls ich sterbe

Setterwall erzählt in der Ich-Form und auf zwei Zeitebenen, spricht oft ihren verstorbenen Partner direkt an. Ungeschönt beginnt sie 2014 mit dem Tag der alles veränderte, dann kehrt sie immer wieder zurück in das Jahr 2009 und in die Zeit als Carro ihren Aksel kennenlernte. Die Phasen der Trauerbewältigung wechseln sich ab mit den Anfängen einer Beziehung und man versteht so immer besser. Wie unterschiedlich sie waren. Gegensätze ziehen sich an, denke ich. Das nicht immer alles einfach war, das ihr Baby vielleicht zu früh gekommen ist, das sie nicht beide bereit gewesen waren für diese Veränderung in ihrer Partnerschaft.

Der Treiber war auf jeden Fall sie, schaut man auf diesen Kinderwunsch. Ihre biologische Uhr hörte sie laut ticken mit ihren fünfunddreißig Jahren. Lange quälende Gespräche gingen ihrer Entscheidung für ein Kind voraus und am Ende obsiegte sie, aber auch das Gefühl, ihr Lebensgefährte habe sich ihr gebeugt, er war nie überzeugt. Und dann ist ihr Ivan auch noch ein Schreikind, raubt ihnen Nerven und Schlaf, sie übernimmt die Rolle der besorgten Glucke …

Beide Zeitstränge dieser Geschichte nähern sich einander an und entfernen sich wieder voneinander, so wie es die beiden in ihrer Partnerschaft taten, zwei die einander auch Gegenpole waren. Wie sehr hat sie ihn in ihrer Beziehung sonst noch angetrieben, immer und immer wieder, kommt ihr deshalb Schuld am Tod von Aksel zu?

Zu Beginn lesen wir mit Carolina eine kurz gefasste E-Mail von ihrem Mann Aksel, die mit dem Betreff “Falls ich sterbe” titelt und sein Passwort enthält, damit Sie gut vorbereitet ist für den Fall der Fälle. Unvermittelt und ohne Zusammenhang erreicht sie diese E-Mail, die an Nüchternheit nicht zu überbieten ist, sie fassungslos macht und dann stirbt Aksel tatsächlich. Sie findet ihn morgens tot im Bett und sich inmitten eines wahrgewordenen Albtraums wieder …

Sie realisiert, so fühlt es sich an im Schock zu sein. Tags ist man wie gelähmt, unfähig Alltagsverrichtungen vorzunehmen und in den Nächten, die man mit offenen Augen erlebt kommen Angst und Panik. Davon erzählt Setterwall und von ihren ersten Schritten danach, vom Wunsch alleine klarzukommen, vom “andere Menschen brauchen”, vom Gebrauchtwerden. Von ihrem Geführ, das ihnen gemeinsame Zeit gestohlen wurde, die sie jetzt vermisst, als sie ohne Aksel weiter machen muss.

Wie lange kann man wach sein? Oder wie unfassbar es ist, wenn man nach einer Woche ohne Schlaf das erste mal wieder traumlos schläft. Alles gerät aus seinem Rhythmus. Aus den Fugen.

Ihr kleiner Sohn liefert ihr die Routinen, um die sie jetzt kreist. Sie beginnt zu lesen, Bücher über Traumata und Trauerbewältigung. Kann man sich aus einer Krise heraus studieren?

Manche Roman tun gut, andere tun weh. Dieser hier, macht auf erstaunliche Art und Weise beides. Er greift mit kalter Hand nach mir.

Berührend, traurig und zugleich hoffnungsvoll, ungeheuer authentisch erzählt, ist diese Geschichte. Sehr offen packt Setterwall ihre Gefühlswelt am Kragen und bringt sie zu Papier. Ich folge ihr atemlos durch die Seiten. Weiß ja was geschehen ist, muss und doch auch wieder nicht.

Wie viel Mut gehört zu einem Neubeginn? Wie viel Kraft mit Dankbarkeit Abschied zu nehmen, sich danach aufzurappeln?

Ich erfahre von einer Beziehung die unter Spannung stand. Vom Schatten darin ebenso wie vom Licht. Sprachlich glasklar ist sie geschrieben und auch mit harten Bruchkanten. Mit Sätzen, an denen wir uns schneiden. Ins eigene Fleisch. Sie wie ich.

Direkt und wie unter einem hellen Spot beleuchtet Setterwall dieses Leben, ihre Beziehung, die  Liebe darin, die Trauer, Vermissen, Sorgen und Bedauern. 

Ich mochte es sehr wie reflektiert Carolina Setterwall sich auseinandersetzt. Wie streng sie dabei auch mit sich selbst ist. Am liebsten möchte man ihr Erzählen ganz behutsam besprechen, damit das was sie auszudrücken vermag nicht zerbricht. Damit nichts verloren geht von dem was sie so treffend beschreibt. Damit der Schmerz und der Mut von Frau Setterwall auch durch meinen Beitrag hindurch zu spüren sind.

Meinen uneingeschränkten Respekt hat sie dafür WIE sie das alles in Worte fasst. Ungeheuer bewegend schreibt sie sich ihr Erleben von der Seele und ihre Übersetzerin Susanne Dahman, fängt ihre Worte auf, überträgt sie meisterhaft und empathisch für uns ins Deutsche. 

Mit einigem Unbehagen habe ich diesen Roman auch gelesen, mir immer wieder die Frage gestellt was wäre wenn der Blitz bei mir selbst einschlägt. Setterwalls Geschichte kommt mir sehr nah und auch wenn sie offenbar Glück im Unglück hatte, eine funktionierende Familie, sowie ein großer Freundes- und Bekanntenkreis hat sie aufgefangen, ihr den Alltag organisiert als sie es nicht konnte, was hilfreich war und sicher nicht selbstverständlich ist, haben mich ihre inneren Kämpfe aufgewühlt.

Der kommende Tag kümmert sich nicht um uns. Tut es nie. Die Sonne geht auf, die Sonne geht unter. Die Zeit vergeht stetig und unaufhaltsam wir bewegen uns mit ihr.

Einsamkeit hat viele Gesichter. Der Geruch eines anderen kann sehr lange in einem geschlossenen Karton überdauern und einen erschlagen, öffnet man ihn unvorbereitet. Ansonsten fehlt er. Der Geruch und auch die Geräusche des anderen. Sie vermisst man ebenfalls. Wo hört das Selbstmitleid auf und wo beginnt das selbstlose Vermissen?

Fragen, Prozesse, Entscheidungen. In welchen Kleidern soll der Verstorbene eingeäschert werden? Das gemeinsame Auto verkaufen, ja oder nein? Eine Trauerrednerin rührt am Innersten, während man keinen Trost zu geben hat, von selbst kein Gespräch mehr anstoßen kann. Während man lernt in Etappen zu denken. Das muss man. Ein Monat ist ein Meilenstein. Mit vielen letzten Malen und mit vielen ersten Malen. Dem Davor und dem Danach …

Mein Dank geht an den Verlag Kiepenheuer & Witsch für dieses Rezensionsexemplar.

Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    25. Juli 2021

    Sehr gerne und lieben Dank für Dein Feedback. Beste Grüße von Petra

  2. Dorothee
    22. Juli 2021

    Was für eine berührende Geschichte, etwas, wovor wohl jeder Angst hat! Auch ich hoffe sehr, dass ich mich noch lange nicht mit diesem Thema real auseinandersetzen muss!
    Danke für die Vorstellung!

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