Warum habe ich ihn eigentlich noch nicht gefunden? Den Mut, um einmal in einem Kloster Ferien zu machen? Allein und doch nicht allein. Irgendwo abgeschieden sein vom Rest der Welt. Jemanden zum Reden finden wenn man ihn sucht. Jemanden zum Schweigen haben wenn man ihn braucht. Wie oft habe ich daran schon gedacht und ich war noch nicht weit in dieser Geschichte hier gekommen, da schob sich dieser Gedanke wie von selbst aus dem Hinter- in den Vordergrund, obwohl und das gleich vorweg, die Heldin hier unfreiwillig in einer Art Abgeschiedenheit landet, aber nicht in einer klösterlichen …
Andrin von Martina Altschäfer
Die Sonne brannte gnadenlos und ihre Wasserflasche war rasch geleert. Die Füße schmerzten in den Wanderschuhen. Sie musste sich eine Blase gelaufen haben. Ach was, nicht nur eine, so wie sich das anfühlte. Welcher Teufel hatte sie nur geritten und hatte sie aus dem Bus aussteigen lassen? Gut, dass der Fahrer hatte umkehren wollen weil, die Strecke über den Pass nach Italien durch einen Erdrutsch oder Steinschlag (wodurch genau hatte sie sich nicht behalten), unpassierbar sei, hatte bei ihrer Entscheidung keine unerhebliche Rolle gespielt. Sie wollte nicht mit dem Rest der Reisenden die schon vom Zug in diesen Bus umquartiert worden waren, weil schon ein Tunnel gesperrt werden musste, in irgendeinem mittelmäßigen Hotel geparkt werden.
Sie solle acht geben, das Wetter schlage schnell um hier in den Bergen, hatte der Fahrer ihr beim Aussteigen noch nach gerufen und sie hatte ihn verlacht. Strahlend blau war der Himmel da noch gewesen. Jetzt zogen bedrohlich dunkle Wolken auf und es dauerte nicht lange da goss es wie aus Kübeln und krachend entlud sich erster Donner an den Berghängen. In Windeseile war sie bis auf die Haut durchnässt und so alleine wie hier inmitten dieser Felswüste hatte sie sich noch nie gefühlt …
Lächerlich. Dieser Kunde war einfach nur lächerlich und sie hatte es satt. So satt. Sie würde es ihm sagen und den Auftrag hinschmeißen, oder besser noch, sie sagte es gleich ihrem Chef und Verleger. Für solche Projekte war sie nicht zu haben. Sie verdiente sich im Grunde ja gerne ihre Brötchen als Ghostwriterin, aber dieses Exemplar eines Auftraggebers war einfach nur unerträglich. Unerträglich anmaßend und er erwartete von ihr, dass sie seine Lebensgeschichte für ihn so hinbog wie er sie gerne haben wollte. Wie er sich nur zu gerne in ihr sehen wollte. Meilenweit von der Wahrheit entfernt. Ihr Chef war “not amused” als ihm sein bestes Biographen-Pferd im Stall den Bettel hinwarf und er bot schnell so einiges auf, um sie wieder an den Start zu kriegen. Wie wäre es mit einer Reise nach Italien? Auf seine Kosten versteht sich, er hatte doch dort ein Haus. Ein schönes. Beste Lage. Dort könne Sie alles in Ruhe überdenken. Nur nichts übereilen. Widerstrebend hatte sie sein Angebot angenommen, war dann erst in den Zug, dann in den Bus und jetzt offenbar vom Regen in die Traufe geraten …
Martina Altschäfer, geboren 1960 studierte Bildende Kunst und Germanistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, sowie Freie Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Andrin ist ihr Romandebüt und auch für das Roman Cover und das Vorsatzblatt zeichnet die Autorin gestalterisch verantwortlich. Ihre Geschichte legt sie sprachlich modern an, eine leise Ironie und Lakonie schwebt über ihren Sätzen und mit ihrer Hauptfigur bin ich schnell warm geworden. Nach den ersten Zeiten schon war ich gespannt in welche Richtung sich diese Geschichte wohl entwickeln würde. Um ehrlich zu sein, hatte ich gleich zu Beginn schon eine konkrete Erwartung und hätte Martina Altschäfer sie mir erfüllt, wäre ich enttäuscht gewesen. Sie versteht es allerdings mich zu überraschen und besonders dafür mochte ich ihren Roman.
Und ihn hätte ich auch gerne kennengelernt, diesen Andrin und seine Frau auch. Bei Ihnen wäre ich auch gerne zu mir gekommen, bei ihnen sein ist wie Ferien im Kloster nur mitten in der Natur. Hier, wo man dem Himmel so nah ist und sich selbst auch.
“Viele Dinge, die mich in dieser Zeit dringend hätten beschäftigen müssen, entglitten mir auf angenehme Weise, schwebten sanft wie Seifenblasen davon und schickten höchstens bei günstigem Licht in dem verwirbelten Muster ihrer schlierigen Haut einen flüchtigen Gruß.”
Textzitat Martina Altschäfer Andrin S. 182
Hier oben am Berg sind die Gästezimmer aufgeräumt, schlicht aber nicht unkomfortabel. Von der Badewanne aus kann man nachts die Sterne und die Berge sehen. Eine Ruinen-Siedlung liegt malerisch an einem See, und ganz vereinzelt flanieren glückliche Kühe durch die Landschaft.
Es hat Idioten hier und kluge Wegbegleiter. Die Betten sind aus Zirbenholz und garantieren angenehme Träume. Die ganze Ausstattung des geheimnisvollen Örtchens Vogelweh zeugt von gutem Geschmack und einem gewissen Wohlstand. Wie der Hausherr wohl dazu gekommen ist? Und sowohl das Wasser als auch die Eier, die die Hühner hier legen, haben es in sich. Kristallklar und berauschend das eine, die anderen bunt und doppeldotterig.
Das Wetter will nicht werden, der Pass wird nicht freigegeben und so wird aus einer Übernachtung eine zweite für unsere Heldin und dann kann sie doch auch gleich genauso gut hier bleiben um zu arbeiten. Der Schreibtisch im Gästezimmer direkt am Fenster wirkte von Anfang an schon wie eine unausgesprochene Einladung. Aber mit dem Schreiben will es irgendwie nix werden …
“Kaum war der Rechner aufgeklappt, und hochgefahren, schaute auch schon der gute Wille vorbei. Bedauerlicherweise war er stets in Eile. Er legte nicht einmal den Mantel ab, selbst wenn ich ihn dazu aufforderte und ihm anbot, den Sessel freizuräumen, damit er es sich bequem machen konnte. Er kam ins Zimmer, lüpfte kurz den Hut zum Gruß, um sich im nächsten Moment bereits wieder zu verabschieden.”
Textzitat Martina Altschäfer Andrin S. 157
Von Dichtigkeitsprüfungen, vom Fliesenlegen, Siphons und Ablaufventilen. Ein Schnellkurs in Sachen Überlaufmuttern, das Anpacken auf allerlei Baustellen sorgt für Abstand.
Hier fungieren Rinder als Seismographen. Leben Köche ihre Leidenschaft aus, nutzen Gastgeber 14 Grad kaltes Wasser und ein morgendliches Bad in einem Bergsee als Jungbrunnen.
Althöfers Text ist was die Beschreibungen anlangt, von dem was hier auf den Tisch kommt, äußerst sinnlich. Wer bitte kommt auf die Idee Kleeblüten zu karamellisieren oder aus Flechten Mehl zu mahlen? Im Roman ist es Uta, Andrins Frau, Kräuterkundige, die Dessert-Königin, die eine ganz besondere Rezeptsammlung hütet. Nur bei ihr gibt es dieses hellgrüne, zartschmelzende Mooseis und eine Beerenernte die sich gewaschen hat. Da lief mir nicht selten das Wasser im Munde zusammen. Mindestens genauso genossen habe ich, wie sich die Hauptfigur hier auf das Wesentliche zurück besinnt, auf die simplen Dinge, die einfachen Genüsse. Was wir nicht alles verpassen, nur weil wir nicht achtsam genug dem nach schmecken was wir im Mund haben. Ich fühle mich ertappt und gelobe im Stillen Besserung. Überhaupt ist die Ernte hier üppig, die Früchte sind riesig, ich fasse es nicht. Was düngen die hier?
Sind es nicht oft es die unerwarteten Begegnungen die uns am meisten geben? Einmal nur unverplant sein. Sich dem Leben überlassen, ganz ohne Zwänge. Das klingt in meinen Ohren wie ein wahr gewordener Traum und die Heldin dieser Geschichte lernt hier wie das geht. Beinahe beneide ich sie schon ein wenig, um die Lehrmeister die ihr die Autorin an die Seite stellt, dann aber beschleicht mich doch zunehmend ein ungutes Gefühl.
Ganz langsam. Aber sicher. Hier kann es doch nicht wirklich mit rechten Dingen zugehen und damit meine ich nicht nur das Trinkwasser, dass sich hier offenbar in die andere Richtung dreht. Woher hat denn meine Schriftstellerin bitte plötzlich die Kraft Zementsäcke zu schleppen? Dann erfahre ich von diesem Unfall und von ein paar anderen Ungereimtheiten, will meiner Helden schon zurufen, “ich glaube du verschwindest hier besser”, da rumort es erneut im Gebirg …
Wo endet die Realität und wo beginnt der Traum? Sprachlich stelle ich mir bei Martina Altschäfer diese Frage nicht. Sie formuliert mit einer traumwandlerischen Sicherheit, und so schön! Humorvoll ist sie dabei, und einen Hauch von, nennen wir es Schicksal, lässt sie durch ihre Seiten wehen, dabei ist ihre Geschichte auch noch überaus unterhaltsam und sie lässt mich mit einem Ende zurück, das mich noch einmal stutzen lässt. Ich würde mal sagen, Geheimtipp voraus!
Mein Dank geht daher an den Mirablis Verlag für dieses Rezensionsexemplar und erneut an Dich, liebe Birgit, schon wieder hätte ich einen wunderbaren Roman ohne Dich nicht entdeckt!
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