Alte Sorten (Ewald Arenz)

Wie gerne ich mit beiden Händen in der Erde grabe. Nein, Unkraut jäten ist nicht die langweiligste Arbeit der Welt, gut anstrengend ist es schon. Der Rücken zwickt, die Knie schmerzen, aber die Nase in der frischen Luft haben, wie ich es genieße, wenn ich pflanzen darf,  dabei ganz bei mir zu sein. Es wachsen zu sehen, vielleicht sogar ernten zu dürfen. Lieber Herbst, diesmal hat Du mir reichlich Brombeeren geschenkt, auch meine Lieblingsäpfel habe ich pflücken dürfen, und auch wenn ich keine Birnen in meinem Garten habe, die vergessenen, die alten Sorten sind auch mir die liebsten …

Alte Sorten von Ewald Arenz 

Ein Traktor am Rand eines Feldes. Ein Rad fest gefahren in einer Ackerfurche. Ein Mädchen und eine Frau. Liss die Bäuerin, die allein auf ihrem Hof lebt und Sally, die aus einer Therapie-Klinik geflohen ist. Eine zufällige Begegnung. Ein stiller Einzug in ein abgegrenztes Leben. Der Beginn einer Freundschaft. “Weg ist keine Richtung”, sagt Ewald Arenz und führt uns so in seine Geschichte, die mich, nicht nur wegen ihres Titels,  sondern auch wegen der besonderen Freundschaft um die es hier geht, mit all ihren Ecken und Kanten, Haken und Ösen, an Dörte Hansens Altes Land erinnert hat. Das ich so mochte …

Kommt, und wir werfen gemeinsam einen Blick auf unbeschwerte Sommer, klare Wintertage, aber auch auf Ängste und Sorgen. Auf belastendes Mitleid. Fürsorge und auf einen Ort, der ein Zuhause ist …

Der Wind strich durch die Äste im Obstgarten und Sally alias Sarah fühlte sich verhext. Das war ein Ort an dem sie immer hatte sein wollen, ohne es zu wissen und Liss musste eine Hexe sein, eine Hexe mit Birnen, nicht mit Lebkuchen. Sie sei bei einer Freundin hatte sie den Eltern in den Brief geschrieben, und sie hatte es auch so gemeint. Elisabeth war jetzt mehr für sie, als nur eine Zimmerwirtin und das Licht, das auf Sally fiel warf auch für Liss ein Spiegelbild zurück. Eines von ihr als junge Frau. Eines aus einer Zeit als sie noch nicht zurecht gebogen worden war für ein vorbestimmtes Leben …

Ewald Arenz, geboren im November 1965, Sohn einer Künstlerfamilie, ist deutscher Schriftsteller und Lehrer. Sein Roman Alte Sorten stand 2019 auf der Short-List für das Lieblingsbuch der Unabhängigen Verlage und das völlig zurecht, wie ich finde. Vielleicht bin ich auch mit die letzte, die diese Geschichte für sich erobert hat, unzählige Male habe ich den Titel zuvor als Empfehlung auf Social Media Profilen gesehen, auf der Spiegel-Bestsellerliste ist sie scheinbar unverrückbar zu Gast. Oft zucke ich dann eher zurück, derart gehypte Bücher haben mich persönlich schon oft enttäuscht. In diesem Fall aber bin ich froh, dass ich den zahlreichen überschwänglichen Stimmen gefolgt bin. Das ich Sally und Liss kennengelernt habe und den Erzählton von Ewald Arenz. Der mir ausgesprochen gut gefallen hat. Er ist sprachlich wunderbar, zu keiner Zeit platt, wälzt nicht nur Probleme, sondern löst auf. Schafft Nähe und Verbindung. Formuliert leicht und doch mit Anspruch, mit dem Anspruch auf einem besonderen Niveau zu unterhalten. Er findet Metaphern, die die Gefühlswelt seiner Figuren mit der Natur abgleichen und die mich aufhorchen lassen. Aufhorchen lassen und verstehen.

Wie gut das tut, wenn man so gesehen wird, wie man ist. Wenn man Fragen hört, die aus ehrlichem Interesse gestellt werden. Nicht aus Neugier. Ohne Vorwurf, wenn jemand zuhört, ohne zu werten. Arenz kennt seine Figuren, er kennt sie gut und er mag sie. So wie man eine Tochter, eine Enkelin kennt. So einfühlsam schreibt er über ihre Kümmernisse und Sorgen, über ihre Freude, ihre Vergangenheit …

Narben an den Beinen. An den Oberschenkeln, innen. Eine für Ben, eine für Mama, eine für…

Erntezeit. Weinlesezeit. Tage aus Sonne, gebadet in goldenem Licht, Wind und Freiheit, schreibt Arenz und ich atme durch. Tief ein, und langsam aus …

Im Wald sein. Der Stille lauschen. Überhaupt draußen sein. Den Vögeln zu hören. In aller Ruhe. Mit sich im Reinen. Der Weg dahin hatte Arbeit. Aber mit ein klein wenig Hilfe machbar. Eine Freundin wie Liss zu finden ist wie einen Schatz bergen.

Das Summen von Bienen in der Luft. Erinnerungen an meine Sommer als Kind, an das Honigmachen mit meinem Opa und dann kommt meine Lieblingsbirnensorte auch noch vor: Alexander Lucas. Arenz beschreibt sie so schön: “Vielleicht würde Sonnenlicht so schmecken, wenn es durch das Laub alter Bäume direkt auf die Zunge fiele.”

Eine Dorfkirche. Eine Beerdigung  Männer rechts, Frauen links in den Bänken. Auffällig, kaum jemand spricht mit Elisabeth und wenn, dann hämisch, angriffslustig, ausgrenzend. Welches alte Leid liegt hier noch begraben? Vielleicht weiß es ja die Anni? Alt wie Methusalem und fit wie ein Turnschuh, fährt sie noch immer mit dem Rad und sie scheint tief in einen hinein sehen zu können …

Ein ganzer Hain mit alten Obstbäumen, das ist sowas von nach meinem Geschmack. Was stöbere ich gerne auf Märkten nach alten Obstsorten, die längst aus den Supermarktregalen verschwunden sind. Ich mag was krumm ist und in meinem kleinen Garten hat es deshalb auch einen Baum mit Rotäpfeln, die legte meine Oma immer zwischen die Weihnachtsplätzchen …

Woher weißt Du das alles? Neugier trifft auf Erfahrung. Sally ist wach und gelehrig, wie ein Schwamm saugt sie alles auf und sie hat ein Gespür dafür, was Liss in ihrem Rucksack an seelischem Gepäck mit sich herum trägt, welches Geheimnis aber hält Liss so sorgfältig unter Verschluß? Sally stellt Fragen. Direkt und unverblümt, ihnen kann Liss sich nicht lange verweigern. Umgekehrt ist es genauso. Liss hat auch Sally geknackt wie eine Nuss, das dadurch, das sie eben keine Fragen stellt, sie scheint einfach zu machen, einfach zu leben, die einfachen Dinge zu lieben. Das imponiert Sally.

Die eine stark und verschlossen, die andere rebellisch und auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Magersucht, Depression, Suizidgefahr und jetzt Brot backen, Rad fahren, Honig machen, Schnaps brennen, Birnenschnaps natürlich. Lernen wie viel spannendes es im Alltag zu entdecken gibt, wenn man nur hinschaut. Wenn man jemanden hat, der einen lehrt. Der geduldig ist und ausdauernd. Die siebzehnjährige Sally entwickelt zum ersten Mal ein Zuhause-Gefühl. Die Hände im Teig, das Herz weit offen.

Eine warmherzige Geschichte hat Ewald Arenz uns geschenkt. Eine Geschichte, in die ich am liebsten mitten hinein gesprungen wäre, um ein Teil von ihr zu sein, um bei Liss und Sally zu sein, ihnen beizustehen. Ihre Verletzlichkeit, so greifbar, als wären sie Menschen aus Fleisch und Blut und nicht nur Wortgeschöpfe auf Bücherseiten. Zum Ende hin atemlos spannend, höre ich die Gedankenschreie, die Arenz seinen Protagonisten in den Kopf setzt, mitreißend und bewegend. Liss, Sally – ich mache ein bisschen Platz, auf dem Bücherbord für meine Lieblingsromane, fühlt Euch wohl hier, so wie ich mich in Eurer Mitte aufgehoben gefühlt habe …

Sabine Arnhold, geboren 1960, ist Schauspielerin und Synchronsprecherin. In vielen Produktionen der öffentlichen Rundfunkanstalten ist sie die Stimme aus dem OFF und jahrelang war sie die Standardstimme der Walt-Disney Zeichentrickfigur Daisy Duck. Fraglos steht das für ihre Wandelbarkeit und diese stellt sie auch in dieser Produktion unter Beweis. Sie hat mir die ungekürzte Hörbuch-Fassung von Alte Sorten in 7 Stunden 14 Minuten vorgelesen.

Gleich ob angemessen empört, verständnisvoll, hadernd, zweifelnd, nachdenklich, verblüfft oder glücklich, ihr Vortrag bleibt stets authentisch. Beide Figuren trifft sie auf den Punkt, auch den wunden, und versteht es, sie in meinem inneren Film berührend agieren zu lassen. Feinfühlig und mit einer liebevollen Genauigkeit ist sie in die Haut der Romanheldinnen geschlüpft. Eine wunderbare Hörbuchproduktion! Wie geschaffen für die Zeit um Erntedank.

“Der Himmel war von einem hohen, hellen Blau, das es so nur im Herbst geben konnte. Die Luft kühl und klar, aber voller Licht. Der Fluss, die Stadt, das wenige Laub an den Bäumen, alles war Farbe.”

Textzitat Ewald Arenz Alte Sorten

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