Zum Glück bin ich kein Literaturkritiker, kein Journalist, der eine Geschichte in ihre Einzelteile zerlegen, verstehen und bewerten muss, um ihr dann ein Etikett anzuheften und sie einer Strömung zuzuordnen. Popliteratur. Das hat das Feuilleton aus diesem Roman heraus gelesen, in ihn hinein interpretiert. Was mich angelockt hat, wie der Honig eine Biene. Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2020, befand er sich in der Top 5, der Preis ging dann aber an Lutz Seiler. In “Der Zeit” wurde gar darüber spekuliert, das eine neue literarische Jugendbewegung von diesem Roman ausgehen könne.
So und jetzt sitze ICH hier, nach dem ich das letzte Kapitel hinter mir gelassen habe und überlege. Wie es mir mit dieser Geschichte ergangen ist, was ich in ihr entdeckt habe. Inhaltlich nicht viel was mir gefallen hat, muss ich leider sagen. Vielleicht habe ich die Geschichte auch nicht verstanden. Egal. Zum Glück bin ich ja Hobby-Leserin. Darf empfinden und nachspüren, muss nicht sezieren, darf mich einfach nur abgeholt fühlen wollen. Was hier nicht ohne Einschränkung geklappt hat.
Allegro Pastell von Leif Randt
Ich habe viel erfahren über die beiden Hauptfiguren, Jerome Daimler und Tanja Arnheim, mehr als mir lieb ist, und doch sind sie mir seltsam fremd geblieben. Vielleicht bin ich ja für diese Geschichte auch zu alt, zuviel Landei oder beides. Auf jeden Fall aber war ich genervt. Über weite Strecken war ich sogar wütend. Auf die beiden, auf alles. Warum?
Weil die beiden Protagonisten permanent mit sich selbst beschäftigt waren. Soviel Nabelschau … Houston, wir haben ein Problem, wenn das wirklich das Spiegelbild einer ganzen Generation ist. Ich hoffe, es ist ein Zerrbild. Sehr.
“Was hast Du denn genommen und legst Du noch nach? Es steht Dir, Du bist eindeutig offener”. Solche und ähnliche Wortwechsel machen mich sprachlos. Es wird “gedenglischt” was das Zeug hält, alles ist entweder “nice” oder “cute”, Affären und Sex gehen auch via Social Media. Streit gibt es nicht, selbst dann nicht, wenn es um Trennung geht. Man bewegt sich aufeinander zu, voneinander weg und einfach alles wird reflektiert und analysiert. Irgendwie. Wie auch immer.
Eine Liebesgeschichte? Ist es nicht. Auch wenn es um die Liebe geht. Irgendwie. Wie auch immer. Und um ein Pärchen, das sich trennt. Warum? Keine Ahnung. Denn eigentlich haben beide verdammt viel füreinander übrig. Im Grunde. Wenn da nicht diese ständige Hinterfragerei wäre.
Jerome der Enddreißiger, mit Miet-Tessla und ausgeprägtem Hang zu Ordnung und Klarheit, und Tanja. Die ein eher entspanntes Gemüt hat, obwohl das nicht in der Familie liegt. Ihre Schwester leidet seit Jahren an einer Depression. Die Mutter irgendwie auch, ist ja aber Therapeutin, kennt sich also aus, und ist der Meinung es sei alles gut so wie es ist.
Beide, also Jerome und Tanja, sehen gut aus (glaube ich) führen eine Fernbeziehung, die sich in und zwischen Berlin und Maintal abspielt. Kontakt halten sie u.a. über E-Mails, durch die wir uhrzeitlich genau von Randt gelotst werden. Sie teilen “Rauschprotokolle” mittels Kurznachrichtendienst, wenn sie getrennt voneinander in einem Club waren, dort Extasy, LSD, Kokain, Pilze oder was anderes eingeworfen haben. Das aber bitteschön immer ganz bewusst und so als gehöre es zum guten Ton! Die Erfolgs-Autorin und der Web-Designer, haben sich dann nach neun Monaten leid. Beide finden neue Partner, nicht das nicht auch zwischendrin schon andere “gedatet” hätten, und vermissen sich doch. Ich bin so meilenweit davon entfernt mich in diese Leben einfühlen zu können wie es nur geht. Die beiden habe Probleme! Echt jetzt. Weil Tanja wird bald Dreißig und das ist schon eine Herausforderung. Nicht?
Wenn es darum geht Oberflächlichkeiten zu spiegeln, dann ist das hier gelungen. Wenn die Generation der Ü-Dreißigjährigen Großstädter so lebt, oder überwiegend so lebt, dann bin ich da eindeutig raus. In Sachen Techno-Club-Besuche, Sex-Partys und Drogen kann und will ich nicht mitreden. Ist es wirklich so wichtig welche Filme man schaut, geschaut hat und welche T-Shirts man trägt? Wodka-Shots und detailgetreue Schilderungen In-Outfits betreffend stimmen mich auch nicht mehr milde.
Unter Zuhilfenahme einer Power-Point-Pro-und-Contra-Präsentation wird geklärt, ob man ein gemeinsames Kind behalten will. Wie bitte?
Alles immer schön kontrolliert, jede Entscheidung wird bewusst getroffen und zuvor auf den Prüfstand gestellt. Zu allem hat man eine Meinung, das wird diskutiert, auf hochintellektuellem Niveau versteht sich. Dem Zufall kann man nichts überlassen. Ist das wirklich so? Wenn ja, dann hat Leif Randt das messerscharf beobachtet und eingefangen.
“In der Folge hatten sie leicht pathetischen Sex auf der Couch, bestimmt von der Überzeugung, dass sie nun etwas fraglos Gutes für ihren Geist und ihren Körper taten. Jerome glaubte in einem Moment sogar, dass sie durch ihren Akt an einer energetischen Verbesserung des gesamten Planeten mitwirkten.”
Textzitat Allegro Pastell Leif Randt
Hähh?! Okay, gut jetzt. Schreiben kann Randt. Sein moderner Ton und seine Ausdrucksweise haben mir gefallen. Seine Sätze sind wie geworfene Messer. Scharf und sie treffen ihr Ziel. Im Roman das jeweilige Gegenüber (meist in Schriftform) und auch meine Magengrube. Das Lebens-Gefühl der als “Millennials” titulierten, die heute zwischen 37 und 22 Jahre alt sind, geboren also zwischen 1981 und ’86, die sogenannte Generation Y, zeichne er exakt nach. Lese ich. Bei den Kritikern vom Fach.
Generation Y (ausgesprochen “why”), soll verweisen auf das generelle Hinterfragen, welches in dieser Generation außergewöhnlich ausgeprägt sei. Nachtigall, ick hör dir trappsen. Passt. Volltreffer sogar, lauscht man Randts Schilderungen. Ich muss mich da abwenden. Für mich ist das nicht auszuhalten.
Warum bin ich trotzdem dran geblieben an dieser Geschichte? Weil ich so ungeheuer hohe Erwartungen und konstant die Hoffnung hatte, da muss doch noch was kommen, was auch mich packt. Und dann kommt er, dieser Schluss. Dieses Ende. So abrupt, so konsequent, so ehrlich. Wie aus dem Nichts. Na klar, in Form und Gestalt einer E-Mail. Einer E-Mail von Tanja. Die hat mich echt angefasst. Wider Willen. Wie in einem Flash-Back erlebe ich einzelne Roman-Szenen noch einmal. Es fühlt sich so an, als gehe ein Ruck durch die ganze Geschichte. Von rückwärts nach vorwärts. Hut ab, dafür!
Leif Randt, geboren 1983 in Frankfurt, der Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim studiert hat und als Schriftsteller heute in Berlin lebt, wurde für zwei seiner Romane (2011+2015) bereits mit Preisen verwöhnt.
Er liest Allegro Pastell selbst ein und mein erster Eindruck war, damit hat er sich keinen Gefallen getan. Als zu gleichförmig, ohne Höhen und Tiefen, fast als leidenschaftslos habe ich seine Lesung erlebt. Wie kann es denn an Leidenschaft im Vortrag fehlen, wo das doch seine eigenen Worte sind? Habe ich mich gefragt. Keiner weiß schließlich besser als er, welches um die nächste Satzbiegung kommen wird. Dann, nach ein paar Stunden Hörzeit, keimte in mir ein Verdacht auf und er bestätigt sich zuletzt auch. Diese unterkühlte Sachlichkeit, die Abgehacktheit im Ausdruck passt auf den Punkt zu seiner Prosa und zu den Gedankengängen seiner Protagonisten. Alles stimmig. Auch wenn die Geschichte gehört oder gelesen nicht jedermann, und auch mir, szenisch wie inhaltlich nicht immer gefallen hat. Das Leben ist so, nicht alles gefällt, nicht mit allen ist man einer Meinung, nicht mit allem geht man einig. Gut so …
Mein Dank geht an tacheles! roof music für dieses Hör-Exemplar.
Schreibe den ersten Kommentar