Abschaffung der Schwerkraft (Philip Saß)

Alles wird leicht. Das wäre schön. Humor ist wenn man trotzdem lacht, höre ich wen sagen, aber Heiteres oder niveauvoll Aufheiterndes is hard to find these days. Wo fange ich an? Will ich darüber schreiben, was mir hier in die Hände gefallen ist. Ich glaube hier. Mit einem Auszug aus diesem Gedicht, welches man in dem Gedichtband findet der die Schwerkraft abschaffen will. Weil die Jahreszeit fast passt. Also zu dem zitierten Gedicht. Weil wir alle auf den Frühling warten. Irgendwie. Irgendwo. Sehnsuchtsvoll, die Heuschnupfengeblagten unter uns eher bang, aber alles neu macht der Mai – so lautet schließlich sein Auftrag:

Mailied von Philipp Saß
feat. Ludwig Uhland

Die linden Lüfte sind erwacht,
die Welt vergeht vor Blütenpracht
und Frühlings-Hashtags trenden.
Auf Wolfsmilchwiesen stirbt Gequak:
Man weiß nicht, was noch werden mag, 
das Blühen will nicht enden.

Die Gräser wachsen hoch und dicht.
Der Mohn glüht rot. Die Birke nicht, 
sie sorgt bloß für Geflenn, denn
man niest dank ihr den ganzen Tag
und weiß nicht, was noch werden mag, 
das Blühen will nicht enden.

Unverschämt. Verschmitzt. Den Schalk im Nacken. Schwarzhumorig bis zum Anschlag. Ich sag nur <Grabrede auf einen Querdenker>. Faustdick hinter den Ohren, hat es hier mehr als ein Gedicht. Auch politisch wird es, wie könnte es denn anders sein, wenn ein Bleistift so gespitzt ist wie bei Philip Saß?

Es geht um nichts weniger als das Klima bei ihm, um Flüchtlinge und um den Krieg in der Welt. Was auch ein Thema bei Erich Kästner war. Da ist sie die erste Parallele. Ich werde noch weitere finden. Gespottet hat der Kästner auch manchmal, gekonnt mit Niveau und einem Zwinkern. Kommt da Saß ran?

Vielleicht. Oder ob sein Schreiben doch eher der Tradition von Ringelnatz folgt? Ich bin da keine Spezialistin, lese wenn es um Lyrik geht das was mir gefällt. So einfach ist das und auch so schwierig. Es fällt mir schwer zu sagen, ob es mir gefallen hat, was ich hier entdeckt habe. Etwas anderes erwartet hatte ich in jedem Fall. Vielleicht Gefälligeres. Nicht so viele Ecken und Kanten. 

Philipp Saß hat meinen Humor nicht immer getroffen. Auch wenn er ein zeitgenössischer sein mag. Als provokant habe ich viele seiner Verse empfunden, und angereichert sind sie mit umgangssprachlichen Begriffen, die unseren Zeitgeist wohl fassen, die aber eben auch Pointen am Ende stehen lassen, über die ich nicht lachen kann. Vielleicht auch nicht soll? 

Mag sein, dass es auch daran liegt, dass sich in seinen Zeilen das Sch…- Wort genauso finden lässt, wie “geil” und “fuck”. Ohne Scheu mixt er solche Kraftausdrücke in seine Reime und stürmt durch die von ihm gewählten Themen. 

Mit Versen über Filme wie Top Gun, Titanic, Fight Club, Fast and Furious und Ziemlich beste Freunde, wirft er einen Blick auf die Kunst. So überschrieben ist eines der Kapitel unter die seine Gedichte gestellt sind. Die anderen beiden, unter denen sie versammelt sind, heißen Gunst und Dunst. Was sich reimt, manchmal passt, auch als Klammer, manchmal nicht. Für mich.

Sprachlich polarisiernd porträtiert Saß unsere Zeit, auch wenn ich nicht jeden seiner Blickwinkel mochte,  sitzt da jeder Seitenhieb. Thematisch hechte ich mit ihm gefühlt einmal quer durch den Gemüsegarten. Neben der Kunst geht es u.a. um Rosenkohl, Fußball und Schreibblockaden, er dichtet davon, wie er sich eine dritte Hand bei Ebay bestellt, weil Hände kann man schließlich nie genug haben. Kritisch schaut er auf unseren Fleischkonsum und unseren Umgang mit der Fauna, während ich es erstaunlich finde, wie viele Gedichte und Gedanken in diesem schmalen Taschenbuch Platz haben. Es sind 122 lese ich, zähle sie nicht nach.

Nebenbei lerne ich einen verliebten Fischverkäufer und seine Gemüsehändlerin kennen. Von Spinnennetzfischern habe ich noch nie gehört, von Ladendiebinnen allerdings sehr wohl. Das Klassentreffen mit 30 hat es mir angetan, und seine Urlaubskritik. Sie betrifft die Lüneburger Heide, ich zitiere mal, so wird deutlich, warum ich genau hier innegehalten habe und den guten alten Heinz Erhardt ganz hinten im Ohr hatte.

Lüneburger Heide
Eine Urlaubskritik

Die Heide ist recht reich an Raum
(meist nutzt man ihn zum Wandern),
doch abgesehen von manchem Baum
arg arm an allem andern.

Mal blökt ein Schaf. Mal blüht ein Kraut.
Tourist, du hast mein Beileid:
denn falls das Schaf das Kraut bekaut,
dann gilt das schon als Highlight.

Du darfst nicht so vermessen sein,
mehr Action zu erhoffen:
Fällst du hier in ein Moor hinein,
so hast du's gut getroffen.

Genial! Ich bin versöhnt und als Saß mich mit seinem letzten Gedicht Envoi und mit den Worten “Vorbei. Geschafft. Wir haben’s überstanden. Jetzt gehn dem Buch endlich die Seiten aus” aus dem Band hinausbegleitet, lächle ich. Lese schmunzelnd auf dem Buchrücken noch einmal Skispringen. Clever gemacht. Hat er das. Der Herr Saß. Mich poetisierend in ein solches Wechselbad zu stürzen. Mich rätseln zu lassen, ob ich ihn hier und da richtig verstanden habe.

Mein Dank geht an den Verlag container press und an Andreas Schumacher-Rust für dieses Besprechungsexemplar und das Mich- Aufmerksam-Machen auf diesen Autor:

Philip Saß, geboren 1988 in Kiel, lebt in Dänischenhagen, schreibt komische Gedichte, weil irgendwer muss es ja tun, wie er auf seiner Website meint. 2019 wurde er mit dem Publikumspreis und 2022 mit dem Jurypreis beim <Großen Dinggang> ausgezeichnet. Was ein Preis ist, der im Genre Komische Lyrik verliehen wird. Seine Gedichte erscheinen in Magazinen wie Titanic, auch in Anthologien, z.B. beim Verlag Antje Kunstmann oder bei Reclam und jetzt auch zusammengeführt in diesem seinem ersten Gedichtband. Lest mal rein. Es ist echt “out of the box“. Versprochen!

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