Herzland (Téa Obreht)

*Rezensionsexemplar*

Sonntag, 26.04.2020

“Verdammt, was für ein Land. Riesige Weiten Nichts, der Geruch nach Pferden und Regen, der Himmel graugrün, und all das junge Blut dieser Welt aufgewühlt vom Gerede über Sklaverei, Eigenstaatlichkeit und Sezession. Kaum hatte ich meine Stiefel auf diesen Boden gesetzt, wusste ich, ich wollte nicht mehr übers Wasser zurück, nie wieder.”

Klappentext Téa Obreht Herzland

Na, darf ich euch heute entführen? Dafür müsst Ihr aber erst ein Pferd besteigen oder auf einen Planwagen klettern. Ihr dürft keine Angst vor Klapperschlangen haben und, okay, das Wasser könnte uns unterwegs auch knapp werden. In diesem Glutofen, der acht Monate im Jahr geschürt wird. Hey, nicht ohne eine Kopfbedeckung mitkommen, sie ist überlebenswichtig, man kann hier einen Hitzschlag kriegen, das geht ganz schnell. Schatten hat es hier wenig bis gar nicht, unbarmherzig brennt die Sonne, meine trockenen Lippen beginnen schon aufzuspringen. Dafür aber warten Begegnungen auf uns mit Menschen, die ehrlich und aufrichtig sind, die ein einfaches, ein hartes Leben leben und grandiose Landschaften hat es hier, wo der Westen wild ist, die Ebenen weit sind und der Horizont unverstellt.

Moment. Die Tierspuren dort am Ufer könnten zu einem Wesen gehören, das uns nicht wohlgesonnen ist. Das meint zumindest Toby. Keiner glaubt ihm und auch ich zweifle. Was ist das da am Horizont? Ich schwinge mich besser mal wieder in den Sattel, so wie es aussieht, kann Nora Lark, Tobys Mama, nämlich jede Unterstützung brauchen, die sie kriegen kann …

Herzland von Téa Obreht

Arizona, in den 1890ziger Jahren.

Emmett, ihr Mann, war jetzt seit Tagen fort und ihre beiden älteren Söhne hatten dem Jüngsten schon gesagt, er komme wohl auch nicht mehr zurück. Ihr gingen allmählich die Antworten aus, während ihre eigene Sorge, es könne ihm etwas schlimmes zugestoßen sein und der Durst zunahmen. Ihre Vorräte hatte er aufstocken wollen und das Wasser, wie schon so oft war er aufgebrochen. Das verbliebene Wasser hatte sie sorgfältig rationiert. Sich jeden Tropfen vom Mund abgespart, um jetzt festzustellen, dass ihr Vorrat bis auf wenige Kellen aufgebraucht war und von Emmett immer noch keine Spur. Sie schickte Josie ins Brunnenhaus um kurz darauf und einen Aufschrei später selbst mit der Flinte im Anschlag dort zu stehen. Ein Einbruch. Das Regenwasserfass war umgestoßen, das letzte Rinnsal versickert, am Boden der Kadaver eines toten Vogels, jetzt waren sie also nicht nur auf sich gestellt, sondern auch ohne Trinkwasser …

Lurie ist Waise, ein Einwandererkind mit Wurzeln im Osmanischen Reich, ein Revolverheld, dem man hinter vorgehaltener Hand hinterher flüsterte. Einst Kleinganove, jetzt ein Gesetzloser und auf der Flucht. Untergetaucht in einem Trupp der U.S. Army, als Kameltreiber, als Wasserträger. Ihm ist nicht zu trauen. Glaubt der Sheriff. Glauben alle. Glaube ich. Zunächst …

Ich stoße in diesem Roman alsbald auf zwei Parallelgeschichten. Ob sie sich wohl berühren werden? Unterschwellig habe ich schon nach einhundert gelesenen Seiten das Gefühl, sie bewegen sich aufeinander zu und mir schwant dabei nichts Gutes … 

Téa Obreht, geboren 1985 in Belgrad, wird als eine der wichtigsten jungen Stimmen der internationalen Literatur gehandelt. Sie lebt seit 2011 in den USA und ihr Debütroman Die Tigerfrau wurde 2011 für den National Book Award nominiert, sie gewann mit ihm den Orange Prize for Fiction.

Eine satte, eine bunte, eine richtig herrlich wild-westige Geschichte ist ihr hier gelungen und die Erzählstimme von Téa Obreht ist wirklich ganz wunderbar. Ich habe mich gefühlt wie im Kino vor der Großbildleinwand, habe Landschaft, Szenerie und Geschehen genossen, vom ersten Buchstaben an. So muss eine gute Abenteuergeschichte sein. Unvorhersehbar, mit drohendem Unterton, besiedelt mit Schurken, Bösewichten, Intriganten und dem Glauben an das Gute.

Nach einem Einstieg, der mich wie ein Gewitter umschlossen hat, nahm sich Obrehts Geschichte erst einmal Zeit bis sie sich entwickelte. So wie beim Reisen der Weg das Ziel ist, sind hier Wort, Satz und Sprache der Pfad auf dem ich gerne unterwegs war. Bei Hitze, Staub und Dürre.

Gut, Angst vor Schlangen und Indianern darf man nicht haben, hier in der Einsamkeit der Prärie. Besser man hat auch immer eine Flinte zur Hand und sitzt fest im Sattel. Unerschrockenheit kann hier lebensrettend sein und all das ist, hat Nora. Die Heldin dieser Geschichte. Fest ist sie, in ihrer Überzeugung, ja unerschütterlich, anpackend und ein echtes Gewächs dieser Gegend. Mittlerweile. Denn sie entstammt ihr nicht. Wurde hier eingepflanzt. Der Wunsch ihres Mannes Lehrer zu werden, sich etwas eigenes aufzubauen, ein Haus, ein Leben, haben sie hierher verschlagen.

Jetzt besaßen sie eine Zeitung, den Armago Sentinel, und mit ihr waren sie nicht nur zwischen die Fronten geraten, sondern auch in die Pleite. Eingeworfene Scheiben, aufgebrachte Leser, mit der Meinungsfreiheit war das offenbar so eine Sache hier und mit der Viehzüchtervereinigung legte man sich besser auch nicht an. Eine Wahl stand an und Fake News schüren des Volkes Zorn.

Dann gibt es noch diesen Arzt. Also der ist mir ja nicht geheuer! Er tut so jovial und Nora vertraut ihm anscheinend blind. Warum? Da muss es ein Erlebnis geben, das beide verbindet, das in der Vergangenheit liegt. Ich bleibe da dran. Ausgerechnet er macht ein Angebot, das sie unmöglich ausschlagen kann, aber doch muss? Ah ja, von dem Sheriff der einst selbst ein Schurke war will ich erst gar nicht reden …

… und hab ich eigentlich schon von Josie erzählt? Nein? Sie kann Geister sehen. Die Toten folgen ihr, dafür kann sie nichts, sie nehmen Kontakt zu ihr auf  Sie ist eine Verwandte von Noras Mann, und weil sie sonst niemanden mehr hat, außer ihren Schatten, nehmen die beiden sie in ihrem Haushalt auf. Sie hält Séancen ab, zumindest bis zu diesem einen Todesfall, den man mit ihren Prophezeiungen in Zusammenhang bringt, dann ist Schluß  …

Zwei vermisste Söhne und ein Blutbad später, wird eine ungeheuerliche Anschuldigung erhoben, und ein Verdacht der schwer wiegt ausgesprochen. Zwei Geologen und eine Expedition mit ungewissem Ausgang startet, auf der Suche nach kostbaren Edelsteinen, gezahlt werden soll mit Diamantsplittern, soweit die Theorie. Praktisch aber, können Geister in einen fahren und sie können ihr Wollen hinterlassen. Oh ja!

Hier zwischen dem Präriesalbei ist das Land einsam, weit und wunderschön. Die Siedler die hierher kamen wussten, es gehört anderen, das die es verteidigten war insoweit also kein Wunder. Die Apachen, die Sioux, die Crowds, ihre Riten schreckten ab, waren grausam. Nahmen sie doch ihren Gegners die Skalps ab und nicht nur die …

Dieses Buch mit seinen 508 Seiten kriege ich nie fertig habe ich erst gedacht. Dabei lag es nicht an ihm, sondern an mir. Ich steckte mittendrin, dann hat mich eine Leseflaute voll erwischt. Als wäre ich vom Pferd ins Koma gefallen, Corona-Sorge und Ablenkung wohl. Ich glaube es war so bei Seite 230, da habe ich mich wieder aufgerappelt, hab den Staub aus meinen Kleidern geschüttelt, bin erst noch eine Weile zu Fuß hinter meinem Pferd hergestolpert, dann wieder aufgesessen und hab Nora wieder beigestanden, weil Sie es einfach verdient. Weil sie für die Gedanken, die in meinem Kopf kreiseln nichts kann. Sie hat ihre eigenen Sorgen. Schließlich bleibt ihr Mann verschwunden und auf dem Hügel, in der Nähe ihres Hauses taucht ein Mann auf einem Schecken auf. Was will der hier?

Filmreif erzählt Obreht und das “Sie werden nicht enttäuscht sein”, von Barack Obama diesen Roman betreffend, stimmt auf’s Wort. Eine tolle, abenteuerliche Geschichte, für alle die, die Abwechselung suchen abseits ihrer gewohnten Lesepfade. Denen hält Obreht die Steigbügel, öffnet ihnen die Tür in ein Land voller Gefahren und Unwägbarkeiten. Zu einer Zeit, einer Epoche, in der das Leben noch nicht ausrechenbar, nicht vorhersehbar war. Ein Land wie eine Einladung, eine Verheißung, alles und nichts ist hier möglich, im Herzen der neuen Welt. Dazu Obrehts Sprache, die all das einfängt wie mit einem Lasso, die wunderschöne Sätze formuliert und so erzählt, als hätten uns die Stromschnellen eines wilden Flusses mit sich gerissen.

“Das Schicksal der Prärie war in dem Moment entschieden, in dem der erste Mensch auf einen passablen Hügel stieg, einen Blick übers Land warf, das sich endlos in jede Richtung ausdehnte, tief Luft holte und sich sagte, all das sei allein für ihn, für seine einsame Seele bestimmt. Und die sagte: Das ist das Erhabene schlechthin, und ich bin der Einzige, der es versteht.”

Textzitat Téa Obreht Herzland Seite 428
Verfasst von:

2 Kommentare

  1. Petra
    29. April 2020

    Liebe Silvia, ich habe mir Tigerfrau “hinter die Ohren geschrieben”. Dieser Roman war an meinem Leseleben bisher vorbeigegangen. Schön, dass er Dir so gut gefallen hat und beste Unterhaltung beim Ausflug ins “Herzland” wünsche ich Dir. LG von Petra

  2. Silvia
    26. April 2020

    Hallo Petra,
    Tigerfrau gefiel mir sehr, sehr gut.
    Dieses Buch steht deshalb auch auf meiner Wunschliste.
    Ich habe seit Anfang März auch eine Lesekrise. Ich lese zwar, aber nicht viel. Inzwischen geht es etwas besser, aber ich konnte mich einfach nicht auf ein Buch konzentrieren.
    Viele liebe Grüße
    Silvia

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