Wo drei Flüsse sich kreuzen (Hannah Kent)

Samstag, 14.10.2017

Langsam verstummen die Gespräche um mich her, verlaufen sich die übrigen Wanderer zwischen den teils haushohen Lavabergen. Spitz und drohend, verwunden und verwunschen ragen sie vor mir auf, ihre Spitzen scheinen die Wolken zu berühren, die “Dimmuborgir” die “Dunklen Burgen”, wie sich der isländische Name ins Deutsche übersetzen läßt. Hier so sagen die Isländer,  wohnen sie, die Elfen und Trolle. Fest verwurzelt ist hier in Island der Glaube an die Gegenwärtigkeit dieser Wesen. Ich schleiche mit angehaltenem Atem voran. Da, dieses Wispern, war das wirklich der Wind? Kühler scheint es mir plötzlich zu werden, kaum das ich um diese Ecke bin, mich fröstelt …

Gefallene Engel. Im Gefolge von Luzifer sollen, einer gaelischen Legende nach die “rebellischsten” Engel den Himmel verlassen haben. Als die Tore des Himmels weit offen standen, verließen ihn aber auch noch andere Engel, solche die Luzifer nicht folgen wollten. Nach der Warnung der Erzengel, der Himmel würde bald entvölkert sein, gehe diese “Flucht” so weiter, wurden die Himmelstore geschlossen. Für alle, die hinaus gelangt waren, blieben die Tore für immer verschlossen. Die so ausgeschlossenen Engel verblieben so unter uns Menschen und wurden zum Feenvolk …

Wo drei Flüssen sich kreuzen (Hannah Kent)

Irland, 1825

Martin war tot?! Die Männer hatten ihn mit hängenden Köpfen herein und in ihr Schlafzimmer gebracht. Nora hatte stumm daneben gestanden, nur Fragmente von dem, was die Männer ihr erklärten, waren zu ihr durchgedrungen. Herz – Graben – Kreuzung. Dem Brauch gemäß hatten sie bereits nach dem Priester geschickt, kümmerten sich die Nachbarn um die Waschung des Leichnams und organisierten die Totenwache, einen Klagegesang. In dieser ersten Nacht nach Martins Tod versammelten sich alle in der engen Kate von Nora am Feuer, Kerzen brannten, heute wollte sie niemand allein lassen und doch war sie es ab jetzt. Allein mit diesem unseligen, Kind. Diesem Balg, ihrem Enkel, den ihr Martin so geliebt hatte. Das mit seinen mittlerweile vier Jahren noch keinen einzigen Schritt getan hatte, nicht sprach, lieber ständig aus Leibeskräften schreiend rothaarig und milchgesichtig da lag.

Die Freunde und Nachbarn hatten zu flüstern begonnen, das Wort “Zeichen” schnappte Nora auf. Die Männer die ihn gefunden hatten verstummten als sie näher trat. Was hatten sie gesehen, hatte etwas auf Martins Tod hingedeutet?

Ein harter Winter war über das Tal und seine Bewohner gekommen. Den Tod von Martin hatten alle noch nicht verwunden. Kerngesund und kraftstrotzend wie er war, konnte er doch nicht einfach so umfallen und tot sein? Viele Kühe hatten aufgehört Milch zu geben, das was man aus ihren Eutern noch herausquetschte, ließ sich nicht mehr buttern. Eine Niederkunft, die mit einer Totgeburt geendet hatte. All das, in so kurzer Zeit geschehen, wertete man als Zeichen, als Zeichen dafür, dass das Böse längst eingezogen war unter ihren Dächern. Nahezu alle im Tal hielten mittlerweile Noras Enkel für ein “Kuckuckskind”, das ihrer Tochter von den Feen untergeschoben worden war. So missgestaltet, unansehnlich, unausstehlich wie der Kleine war. Den bösen Blick musste ES haben, dieses Wechselbalg. Mit Brennesseln, Digitalis und allerlei anderen Tinkturen rückt man dem Kind fortan zu Leibe. Die Dorf-Heilerin, diese Grenzgängerin zur Anderswelt, die ihre Gabe den Feen verdankt, dann doch eingebunden …

Kronzeugin der Anklage. So richtig war Marie nicht klar, was das zu bedeuten hatte. Verstanden hatte sie aber, dass sie ihren eigenen Hals nur vor dem Galgen bewahren konnte, wenn sie einen Eid schwören und aussagen würde. Ungelenk hatte sie ihre Aussage mit einem Kreuz unterschrieben, so war es nun also besiegelt. Verängstigt und zittert stand sie jetzt auf, den starrenden Blicken der Geschworenen ausgesetzt, man gab ihr eine Bibel in die Hand und ließ sie schwören. Jetzt also würde es beginnen, dabei hatte sie nicht Schicksal spielen wollen, zu keiner Zeit. Dort wo die drei Flüsse sich kreuzten, dort war es gewesen, wo das Unfassbare geschehen war …

Hannah Kent werden einige von ihrem ersten Roman her kennen. “Das Seelenhaus” wurde 2013 veröffentlicht, davor bereits 2011 in ihrer Heimat Australien ausgezeichnet. Damals hatte sie den Stoff für ihren Roman einem Tatsachenbericht aus Island entnommen. Auch diese Geschichte gründet sie auf einer wahren Begebenheit, was die Tragik, die Verkettung der Ereignisse enorm verstärkt.

Der neue Priester im Tal, ein religiöser Eiferer, kämpft mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, gegen den heidnischen, tief verwurzelten Glauben seiner Gemeindemitglieder. Es vermischen sich der heilge Zorn derer, die der alten Heilerin schon immer feindlich gesonnen waren, mit dem derjenigen, die in diesem Winter jede Hoffnung verloren hatten …

Abgebrannt, abgeurteilt, dem Volkszorn hilflos ausgesetzt. Die Atmosphäre in diesem abgelegenen Tal in Irland um 1825 fängt Kent sehr anschaulich ein. Diese heraufbeschworene Stimmung ist es auch, die mir besonders gefallen hat. Das karge Leben, geprägt von Armut, Hunger und Aberglauben meint man mit Händen greifen zu können. Was ist man bereit zu glauben, was war man damals bereit zu glauben? Alles was der Verstand nicht fassen konnte, sich nicht erklären ließ, musste mit der Anderswelt zusammenhängen.

Wer apathisch war, oder geistig verwirrt, dem wurde schnell Besessenheit unterstellt. Teufelsaustreibungen, die ihre Opfer bis auf’s Blut quälten und an den Rand des Todes brachten waren an der Tagesordnung. Wir, die wir in einer Welt von Röntgenapparaten, MRTs und Laborbefunden leben, sind um einiges aufgeklärter. Als Patienten sind wir mündig und doch suchen auch wir heute vielfach Heilung und Zuflucht bei alternativen Methoden. Nennen es Homöopathie, Akkupunktur, Meditation. Dies soll uns Schmerzen dämpfen, uns mit unserem Ich, unserer Mitte wieder verbinden.

Im ersten Drittel der Geschichte war ich mir noch sicher, wo das Gute aufhört und das Böse beginnt. Hatte alle Figuren eingeordnet, wußte wer auf welcher Seite stand. Dann nagten die ersten Zweifel an mir. Konnte es sein, was nicht sein durfte? Ich war geneigt, die Seiten zu wechseln. Doch etwas hielt mich zurück. Das hat Frau Kent prima hingekriegt, sie hat mich die Perspektive ihrer Figuren einnehmen lassen, mich dabei ihn ihre Geschichte verstrickt. Ihr “Seelenhaus” habe ich als Island-Fan jetzt sofort auf meine Wunschliste aufgenommen.

Hörbuch-Fassung:

Vera Teltz, geb. 1971 ist als Synchronsprecherin ein Profi. Ihre Stimme lieh sie bereits Hollywoodgrößen wie Helena Bonham Carter und Maggie Gyllenhaal. In Produktionen wie “Pirates of the Caribean” und auch in James Bonds “Skyfall” wirkte sie dabei mit. Im Bereich Hörbuch scheint sie mehr für die eher düsteren geheimnisvollen Stoffe besetzt zu werden. Kein Wunder, flüstert sie doch für uns aus den Schatten. Haucht dieser Geschichte mit wispern Atem ein, erweckt die Szenerie im Irland der 1825er Jahre für uns zum Leben. Sie hat mir in diesem Roman außerordentlich gut gefallen. Ich habe sie auf meinem Zettel, Frau Teltz …

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