Sonntag, 12.03.2017
Der Garten meiner Großeltern war überwiegend ein Nutzgarten. Im Sommer gab es immer etwas zu naschen, die Sträucher bogen sich von überreifen Beeren, die Mirabellen und Kirschen, und mein geliebter Cox Orange Apfel. Sogar einen kleinen Pfirsichbaum gab es, der leider in der Hunsrücker Kühle meist nur saure Früchte für uns übrig ließ.
Mit vor Dreck starrender Hose saß ich vor einem alten Autoreifen in dem mir mein Vater mein erstes Blumenbeet angelegt hatte. Gänseblümchen habe ich dort angepflanzt. Den heiligen Zorn habe ich gekriegt, als meine kleine Schwester ihnen die Köpfe abgeschnitten und sie als Dekoration für ihre Sandkuchen verwendet hat …
Meinen Opa sehe ich in meiner Erinnerung meist mit Bienenhut und Pfeife auf Kontrollgang durch sein Bienenhaus, und wie es im Keller vor Honig geduftet hat, wenn wir die Waben dann ausgeschleudert haben. Bei Gewitter haben wir oft mit den Nachbarn auf den Stiegen im Treppenhaus gesessen, die Haustür stand weit offen, jeder hatte eine Schüssel auf dem Schoß, entkernte Kirschen oder schnippelte Bohnen. Meine Großmutter beim Einschneiden von Sauerkraut in ihrer Küche, alles wurde eingeweckt, eingelegt und es schmeckte so gut …
Alle diese Erinnerungen hat ein Buch wieder in mir aufgewirbelt. Wie lange habe ich an diese Bilder aus meiner Kindheit nicht mehr gedacht? Wie lange habe ich so nicht mehr an meine Großeltern gedacht? Wie lebendig sind sie mir wieder geworden …
Winters Garten (Valerie Fritsch)
Eine Welt aus den Fugen, eine Welt am Abgrund. Wo gehören wir hin und zu wem, bevor der Kreis des Lebens sich für uns schließt?
Mit surrealen Bildern angefüllt und doch gegenwärtig real. Gefühlvoll, bewegend, aufwühlend und mitreissend. Liebe und Zusammengehörigkeit, Grenzen und Grenzüberschreitung und eine Gesellschaft wie wir sie uns sicher nicht wünschen.
Was für eine Sprachgewalt steckt in diesen knapp einhundertvierundfünzig Seiten! Unscheinbar und fast sachlich kommen Cover und Ausstattung daher. Nein, aus dieser Geschichte kann ich Euch nicht erzählen … Ich kann ihr mit meinen Worten nicht gerecht werden. Aufgewühlt und nachhaltig beeindruckt hat sie mich zurück gelassen, immer wieder lese ich einzelne Passagen nach. Wo hatte sich diese Geschichte nur so lange vor mir versteckt? Wie kann man so schreiben? Was wäre mir entgangen, hätte ich sie nicht gelesen! Lest ihn! Ich übergebe das Wort an diese Ausnahme-Autorin und an den Vogelzüchter Anton und seine Frau Frederike, an wilde Tiere. Schaut mit ihnen auf Dachgärten und in Hinterhöfe, vor und hinter die Kulissen überlasst Euch der Macht dieser Sprache, habt keine Furcht vor Ihrer Gewalt. Schwer sind die Nächte hier von Träumen, sinnlich die Bilder.
Valerie Fritsch hat ein Studium für angewandte Photographie absolviert und arbeitet als Photokünstlerin. Auch ihren Roman “Winters Garten” hat sie mit bildhafter Sprache ausgestaltet. Immer wieder entdecke ich, wie bei einem belebten Szenenfoto, neue Details. Soviel steht zwischen den Zeilen auf diesen nur 153 Seiten. Selbstverständlich wurde die Österreicherin für diesen Roman ausgezeichnet. Denn genau das ist er auch, ausgezeichnet! Von mir erhält sie den Preis Herzensbuch zusätzlich, es ist auf der Liste der Bücher gelandet, die ich in meinem Leseleben nicht mehr vergessen werden und die auch lohnen, das man sie ein zweites Mals liest.
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