Schwerer als das Licht (Tanja Raich)

Oft habe ich mich schon gefragt. Wann hat das angefangen? Wo bin ich falsch abgebogen? Wäre es anders gekommen wenn … Wenn was? Unumkehrbar. Angekommen am point of no return schaue ich über meine Schulter. Der Weg zurück ist nicht mehr erkennbar. Verstellt. Es ist zu spät. Für alles und nichts.

Ein Paradies unter Palmen. Das könnte es sein. Ist es aber nicht. Nicht mehr. Selbst das Meer bäumt sich in dieser Geschichte auf. Schäumt. Vielleicht vor Entsetzen. Vielleicht aus letzter Kraft. Wer weiß das schon.

Schwerer als das Licht von Tanja Raich

Eine Frau. Allein. Auf einer Insel. In den Tropen. Eine Robinsonade. Vielleicht. Um sie herum ist Vergehen und Vergessen. Alles was grün ist und gut stirbt. Verdorrt. Nur die Schatten wachsen noch. Sie kämpft. Um ihr Überleben. Mit unsichtbaren Feinden. 

Zu Beginn regnet es noch Blüten. Leuchtend und duftend. Strandet das Meer noch jeden Tag voller Leben an dieser Küste. Jetzt spült es nur noch die Leichen seiner Bewohner an.

Alles verschwimmt. Die Erinnerung. Die Zeit. Was ist wahr? Was Traum? Hat es das je gegeben? Duft. Schönheit. Frieden. Gemeinschaft. Gesang. Vögel am Himmel. Schmetterlingsflügel. Sanftheit. Diesen Mann. Zweisamkeit.

Jetzt war sie immer auf der Hut. Immer auf der Jagd. Fleisch bleibt ihr die einzige Nahrung. Manchmal Fisch. So lange es noch Lebendiges gibt. Da draußen. Sie muss schlachten, häuten. Krähen picken das letzte von den Knochen.

Unaufhörlich schlägt ihre Axt auf Stämme ein. Rutscht ab. Trifft. Ein Bein. Fieber und Eiter. Wahn und Furcht. Die Tage. So kurz. Die Nächte. So dunkel. Nicht einmal Augen leuchten mehr in ihr. Still ist es jetzt. So still.

Tanja Raich, geboren 1986 in Meran, studierte Geschichte und Germanistik, lebt heute in Wien, schrieb sich 2019 mit ihrem Debütroman Jesolo auf die Shortlist für den Österreichischen Buchpreis. In ihrem zweiten Roman Schwerer als das Licht nimmt sie mit fragmentarisch bruchstückhafter Erzählweise ein dystopisches Szenario in Angriff, lenkt dabei den Blick ihrer Protagonistin auf das Hier und Jetzt, die Vergangenheit, die Zukunft, auf Fremdheit und Gemeinsamkeit. Dies aus der Mitte ihres Mikrokosmos’ “Insel” heraus. Dieser Lebensraum ist ihrer Heldin dabei Freund und Feind zugleich.

Ich schneide mich an glasklaren Sätzen. Es ist diese Stimmung, die mich von Anfang an für Raichs Erzählung eingenommen hat. Die düster ist und gleichzeitig wunderschön. Widersprüche streiten sich in mir. Von Anfang bis Ende.

Der Schatten war immer schon schwerer als das Licht“, schreibt Tanja Raich und ein ganzes Bilderbuch arbeitet in mir. Die Bilder darin sehen aus wie die eines Surrealisten. Sie sind endzeitlich, beängstigend, beklemmend und wahnhaft. Immer ist da dieses Irrlichtern. Dann ein Lichtschein, das Aufkeimen von Hoffnung, ein Blütenregen aus der Vergangenheit, der mich aufatmen lässt. Kurz, dann hat er mich wieder. Dieser namenlose Schrecken. Er ist hinter mir her. Es hat wieder Schritte auf dem Dach. Augen in der Dunkelheit. Trommeln die rufen, dann verstummen.

Meine Festung. Wird sie standhalten? Längst sitzen die Krähen in Scharen auf den Pfählen. Abwartend. Wie kalkulierend.

Poetisch und aufgesättigt mit einem Bilderreichtum, der mich atemlos durch die Seiten vor sich her treibt, der mir viele Deutungsmöglichkeiten öffnet, lässt Tanja Raich ihre Hauptfigur allein. Allein mit mir. Es gibt irgendwann nur noch sie und mich. Allein gegen die anderen. Die im Verborgenen agieren. Sich zeigen wie innere Dämonen. Ich strecke die Hand aus. Halte Ausschau. Sie sind fort.

Vor dem Abgrund stehen. Den Untergang kommen sehen. Hilflos. Bang, sich beständig fragend, was geschieht wohl als Nächstes …?

Mittlerweile atme ich beim Lesen nur noch stoßweise. Beiße mir auf die Lippen. Was war wann? Was ist wirklich geschehen? Was ist nur Einbildung? Meine namenlos bleibende Heldin. Wird sie am Ende aufwachen und alles war nur ein Traum? Ein Albtraum? Hoffentlich.

Erwartet alles. Es wird übertroffen werden. Erwartet nichts und ihr werdet staunen. Die Nacht über durchlesen oder tagsüber die Wäsche, das Essen vergessen. Versprochen. Vollkommen unerwartet hat sie mich hier eiskalt erwischt, die Tanja Raich. Am liebsten würde ich mit Adjektiven nur so um mich werfen, sie zitieren bis ich müde bin, könnte dieser Geschichte wohl aber auch dann nicht annähernd gerecht werden.

Ganz wunderbar fand ich, das dieser Text nicht übersetzt werden musste. Wir können so den Originalsound genießen. Der unfassbar ist. Unfassbar gut und nicht zu fassen. Für mich. Dabei wir hier auf den Punkt formuliert. Rasiermesserscharf. Nichts dem Zufall überlassen. Oder vielleicht doch. Die Spannung bis zum Anschlag angedreht. Bis mir Hören und Sehen vergeht.

In ihrem Text, der wirkt wie eine Metapher mit Überlänge, poetisiert Raich, um dann wieder drastisch zu beschreiben, es pulsiert, dieses Trommeln. Ich halte meine Ohren zu. Kann es aber trotzdem noch spüren. Tief in meinem Bauch.

Stimmen flüstern zwischen den Zeilen. Geschichten geistern umher. Wispern von Göttern, die die Gestalt von Kindern annehmen, die mit hoher Stimme Lieder anstimmen, die Glas zum zerspringen bringt.

Seelen wandern. Es ist leicht zu töten. Sie kommen. Aber wer SIE sind erfahre ich nicht.
Tausend Tode sterben. Nur der Durst ist noch schlimmer als der Hunger. Es beginnt wo es endet. Wehret den Anfängen.

Unheimlich. Tanja Raich hat mir gehörig Angst eingejagt, mir die Sprache geraubt mit ihrem Dschungelkammerspiel. Mich im Unklaren gelassen. Mir Hoffnung gemacht. Mich fallen lassen. Hat mir zugeraunt: Vertrau mir. Mich dann fiebrig gemacht. Mich gezwungen. Mich kurz zu fassen. Damit ich nicht zu viel verrate. Aber ich will doch! So sehr. Laut rufen: Bitte lesen! Bitte zulassen das es weh tut. Es muss so. Vertraut mir.

“Sie sagen, in den Bäumen ist unser Ursprung zu finden. Sie sind älter als alles, was lebt, sie haben alles vor uns gesehen und werden alles überdauern. Ihre Wurzeln reichen tiefer, als wir graben können. Dort legen sich die Geister zur Ruhe.”

Textzitat Tanja Raich Schwerer als das Licht

Mein Dank geht an den Blessing Verlag für das Besprechungsexemplar.

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