Starke Frauen in der Literatur. Über sie und von ihnen liest man viel zu selten findet Ihr? Dann ist es Zeit diese Autorin und ihre Hanna Krause kennenzulernen. Denn aus diesem Stoff werden Lieblingsgeschichten gemacht, mit solchen Worten Lieblingsheldinnen erdacht. Annett Gröschners Geschichte braucht keinen Anlauf, man ist sofort mittendrin und voll dabei im Leben von Hanna, die zwei halbe Schwestern hat und eine Ganze. Deren Mutter viel zu früh gestorben ist, da war sie erst vier. Der Schlag traf sie in der Küche. Hanna selbst durfte rechtzeitig sterben, so Gröschner, bevor sie das Leben nicht mehr verstand. Sechs Kinder hat sie geboren und zwei davon nicht beerdigen können. War Blumenhändlerin und Kranfahrerin, hat Wäscheberge gebändigt und Blumenbouquets gebunden, lieber Margeriten verkauft als Rosen. Zwei Kriege hat sie erlebt und dem Leben, das ihr manchmal im Weg stand, hat sie die Stirn geboten, es mit einem Mann, dem nur ein Bein geblieben ist geteilt.
Schwebende Lasten von Annett Gröschner
Nur einmal, Anfang der 1930er Jahre war sie über Magdeburg hinausgekommen, als Jugendliche und Haushaltshilfe für ihre Schwester Margarete und deren Gurkenkaiser hat sie da gearbeitet. Eigentlich hat sie immer nur gearbeitet. Die Hanna. Von Anfang an im Blumenladen ihrer Schwester Rose.
Dieser Aufenthalt in Berlin, war wie ein Aufwecken. Ihre Haare ließ sie sich modern und kurz schneiden, ihrer Halbschwester Rose, die sie an Mutters Stelle aufzog, standen hernach die ihren vor Zorn zu Berge. Beständig suchte sie Hanna zu reglementieren und jetzt strafte sie sie.
In Berlin lernte Hanna auch ihren Krause kennen. Karl, den Eisenbahn-Versicherungsvertreter, der so gut tanzen konnte und der so gut roch. Deshalb ließ sie sich auf eine Nacht mit ein, wurde prompt schwanger, heiratete ihn.
Ihr „halbe“ Schwester Margarete war nicht einverstanden mit diesem Karl, steuerte aber das Startkapital für Hannas eigenen kleinen Blumenladen bei. Hitler kam an die Macht, Karl begann zu trinken, mehr als gut für ihn war, verlor den Job, wurde ihr Gehilfe im Laden, fuhr Trauerkränze aus, machte die Abrechnung und ihre andere „halbe“ Schwester Rose sprach nicht mehr mit ihr. Hanna war jetzt Konkurenz.
Eigentlich hieß es das Fischeruferviertel, wo Hanna und Karl jetzt über ihrem Laden wohnten, aber alle nannten das ärmliche, dicht besiedelte Quartier nur das „Knattergebirge“. Umsatz machen war hier schwierig, die wenigsten hatten noch ein paar Groschen übrig und gaben sie wenn, dann nicht für Blumen aus. Die geschäftstüchtige Hanna allerdings hatte eine Idee.
Kleine Biedermeiersträußchen bot sie an, denen die ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie heim mussten zu ihren Frauen, nach einem ausgeuferten Kneipenbesuch, oder nach einem bei einer Dirne. Hanna nannte sie Versöhnungssträuße, verkaufte sie aus einem Korb am Arm, ging des Nachts durch die Straßen und Wirtschaften, sammelte nicht selten dabei ihren eigenen Mann auf, sicherte Ihnen so ein kleines Auskommen. Konnte schließlich sogar ein Bauhausschild bezahlen, dass jetzt über ihrem Geschäft prangte und stolz einlud in „Krauses Blumenhaus“.
Mit nur fünfundzwanzig Jahren wird Hanna das sechste Kind empfangen, zwei Abtreibungen und eine Fehlgeburt hat sie da schon hinter sich, Johannes und Elisabeth geboren und kein Geld für dieses neue Kind. Denn der Krieg ist jetzt endgültig auch bei ihnen angekommen. Sie muss den Laden schließen.
Luftschutzkeller und Luftschutzkoffer. Brennende Trümmer. Ihr Johannes geht im Feuer verloren. Dieser Krieg lässt sie mit dem Weinen aufhören. Ausgebombt, aufgefangen in einer Notunterkunft, dann ein Einzug in ein fremdes Leben, in eine leerstehende Wohnung, die noch angefühlt ist mit dem was den Vorbesitzern gehört hatte.
Kleidermarken und Trümmerfrauen. Bevor Hanna grübeln konnte, war sie schon wieder am Machen. Schutt und Scherben, man musste Hamstern gehen um über die Runden zu kommen. Als der Krieg vorbei war und alles darnieder lag, wusste Hanna Karl brauchte sie und sie konnte es auch ohne ihn schaffen. Wenn sie müsste. Jetzt aber arbeitete er erst einmal wieder. Karl, machte die Termine am Hochofen, die Schichtpläne, das vierundfünfzig Stunden die Woche. Meist schlief er sogar im Werk, weil der weite Weg zurück mit seinem Holzbein nicht zu schaffen war und aus der Blumenbinderin Hanna wurde eine Kranführerin. Gegen alle Widerstände, eroberte sie sich diese Männerdomäne, trotz und mit ihrer Höhenangst …
Detailreich nimmt uns Annett Gröschner mit, lässt uns Bombennächte und Bombentage erleben, Not, Elend und Mut, erzählt davon, wie Menschen zerfallen, wie andere aufstehen und weitermachen. Eine ganz feine Lakonie durchzieht dabei ihre Sätze, damit wiegt leichter was schwer ist. Dieser Sound ist es, den ich neben ihrer Heldin so gern mochte. Die Ereignisdichte und die so gelungen gezeichneten Szenen, die ein wahrhaftiges Zeitgemälde ergeben.
Annett Gröschner, geboren am 07. Februar 1964 in Magdeburg, studierte Germanistin, freie Jornalistin und Autorin, Mainzer Stadtschreiberin 2025, ausgezeichnet mit dem Literaturpreis von ARD, ZDF, 3sat und der Stadt Mainz, schrieb sich mit Schwebende Lasten auf die Longlist des Deutschen Buchpreises.
Kurzweilig, kenntnisreich und herzwarm ist diese Geschichte, die von Hysteriedarstellerinnen und Kinderwünschen, Lebensmut, Kreativität und Stärke erzählt. Rasch nahm sie mich für Hanna ein. Sie ist Zeitzeugnis und Spiegel, durch den wir in die Vergangenheit schauen können und, ich wiederhole mich, ich fand sie schlicht wunderbar. Wie kommt es, dass sie es nicht von der Longlist auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2025 geschafft hat?
So unerschrocken! Eingangs hab‘ ich’s schon verraten, ich habe eine neue Lieblingsfigur gefunden und eine Autorin, die ich ab jetzt fest auf dem Zettel habe, weil sie sich in mein Herz geschrieben hat.
So herrlich fand ich auch, das sie jedes ihrer Kapitel mit einer Blume beginnt, diese mit ihren Eigenheiten, Bedarfen und in ihrer Schönheit beschreibt. Da lächelte meine Gärtnerseele und nahm gleich noch paar Tipps mit.
Noch ein Tipp von mir: In der ARD Audiothek ist bei MDRkultur noch bis zum 08. April 2026, eine sehr empfehlenswerte Lesung mit Michaela Winterstein kostenlos verfügbar. Hört mal vorbei es lohnt sich so. Die in Leipzig geborene Schauspielerin liest grandios, gibt dem Roman und seinen Figuren Kontur, ihre Stimme werde ich ab jetzt im Kopf haben, wenn ich an „meine“ Hanna Krause denke.

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