Einatmen – Ausatmen! Auch die längste Anreise findet einmal ein Ende! Auch dann, wenn vergessene Zahnseide und Mietwagen mit High-Tech-Navis einem Irrfahrten bescheren.
Okay, gut. Es gibt sicherlich romantischere Liegeplätze für einen Kreuzfahrer, als den Containerhafen am Columbus-Kai in Bremerhaven, aber hey – hier an der Wesermündung spielen Riesen mit Schiffscontainern Lego das eine Pracht ist! Vollautomatisch laufen die riesigen Blechbüchsen an Stahlseilen über Kräne, die im Dunst aussehen wie eine dystopische Szenerie. Zur ihren Füßen sausen Stapler umher, klein wie Ameisen. Im Abendlicht, beim Auslaufen entschädigt dieser Anblick für so einiges was uns der Anreisetag beschert hat! So nah war ich noch nie dran an einem solchen Geschehen – ein Gefühl als müsse man nur einen Arm ausstrecken um die riesigen Kranarme zu berühren.
“Die Augen versagen vor Wind und vor Licht …! (Hermann Hesse) – der Gute paßt auch hier.
Als dann, Leinen los …
Morgen Mittwoch erwartet uns ein Seetag, bevor wir dann in der Normandie an Land gehen werden.
Mittwoch, 12.09.2018 Auf See – Ärmelkanal
Nachdem mich die Dünung am Vormittag schwindlig geschwappt hat, flaut am frühen Nachmittag der Wind ab und ich lausche auf die Wellen, die sich am Schiffsrumpf brechen, beobachte die vorbeiziehenden Frachtschiffe und Bohrinseln, die wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht am Horizont stehen. Ich lasse meine Seele baumeln, meinen Alltag hinter mir, hier acht Stockwerke über dem Meer.
Außentemperatur ca. 17 Grad, herbstlich frisch. Dick eingemummt halte ich auf unserem Balkon die Nase in die Seeluft. Über meinem Buch nicke ich immer wieder ein, mein Akku muss sich ganz schön geleert haben in den letzten Tagen und Wochen …
Damit hätte ich jetzt nicht mehr gerechnet. Nein, mit dem netten Gespräch beim Abendessen schon. Ein reiseerfahrenes Pärchen aus Berlin setzt sich zu uns, wir tauschen Erinnerungen an ferne Ziele aus und träumen gemeinsam von neuen Ufern. Mit einem Sonnenuntergang,wollte ich sagen, hatte ich nicht gerechnet. Auf Steuerboard nähern sich wie in Zeitlupe die weißen Klippen von Dover und wir dürfen nach stürmischem Start den ersten spektakulären Abendhimmel auf dieser Reise genießen. Flammendrot und mit wahrhaft dramatischer Bewölkung entläßt uns dieser in die Nacht an Bord.
Donnerstag, 13.09.2018 Le Havre – das Tor zur Normandie
Eine Stadt aus Beton und Stahl. Ein Mitreisender meint salopp, “Im Osten heißt det Platte, hier nennt man dit Jultur”. Recht hat er, die UNESCO sieht das so und hat bereits 1995 die Innenstadt von Le Havre, die an der 9km breiten Seine-Mündung liegt, auf ihre Welterbeliste gesetzt. Ob wir das nachvollziehen können, wollen wir heute überprüfen, wir sind auf eigene Faust unterwegs. Nachdem uns der französische Shuttle-Busfahrer über holpriges Kopfsteinpflaster vom Hafengelände gerattert und geschleudert hat, sortiere ich beim Aussteigen vor dem Rathaus erst einmal den Inhalt meiner Tasche und überlege nach welchem Zentrum sich wohl die schnurgeraden Boulevards ausrichten, die von kubischen, gleich hohen Gebäuden gesäumt sind. Als ich den Blick hebe, wird dieser angezogen von einem Bauwerk, dessen Formensprache so gar nicht hierher zu passen scheint.
Wie der Kühlturm eines Atom-Meilers schraubt es sich aus dem Platz. Der Grand Volcano, der Volksmund nennt dieses Bauwerk auch “Jogurtbecher”, liegt unmittelbar vor uns. Blendend weiß, natürlich aus Beton, komplett fensterlos, ist das umstrittene Gebäude des Star-Architekten Oscar Niemeyer, nach jahrelanger Baustelle, mittlerweile so wie der gesamte Platz komplett saniert. In seinem Inneren ist das Konzerthaus der Stadt untergebracht und er, oder es hat auch einen kleinen Bruder. Den Petit Volcano, direkt daneben, dieser beherbergt die Städtische Bibliothek. Klar, das ich da neugierig bin. Wie sieht es aus, Ihr Bücherwürmer unter meinen Mitlesern, wollen wir einen Blick hineinwerfen, man braucht auch keinen Ausweis um ins Allerheiligste vorzudringen. Leise sollten wir aber schon sein, um die, die versunken in die Schätze hier lächelnd, oder auch stirnrunzelnd sitzenden, nicht zu stören:
Still ist es hier, der dicke Beton des runden Gebäude-Rumpfes schluckt wohltuend die Verkehrsgeräusche von außen und die Gespräche im Inneren. Das Licht ist herrlich und fällt fast sämtlich von oben durch die komplett verglaste Dachöffnung ein. In den kreisrunden Innenbereich ragen gläserne Balkone, die sich wie Vogelnester an den grauen Wänden fest halten. Bunte, postmoderne Lese-Sessel laden zum Verweilen ein. Teils mit Tablets und Kopfhören ausgestattet, kann man hier die Welt der Bücher auch multimedial erleben. Sehr cool! Ich setze mich und staune. Schön, wenn das Lesen auf solche Art und für junge Leute, von denen es hier wimmelt, so wunderbar unverstaubt daher kommt.
Wir reissen uns los. Da wollten wir ja auch noch hin! Die L’ Eglise St. Joseph, liegt unweit der beiden “Vulkane”, nur einige Minuten sind es bis dahin zu Fuß.
Als Mahnmal errichtet, wuchtig und kantig, aus Tonnen von Beton und Stahl ragt ihr Turm auf, wurde so, weithin sichtbar, zum Wahrzeichen in der Skyline von Le Havre. Mich erinnert er an das Empire State Building, nur nicht ganz so hoch ist er. Eine katholische Kirche hätte ich in seinem Inneren (von außen betrachtet) eher nicht vermutet und doch ist sie genau das, mit diesem spornartigen Turm. Was für ein Bauwerk, das seine Schönheit erst innen preisgibt. Uns empfangen sie nicht gleich, erst nachdem wir etwas verweilt haben, stellen sie sich ein, die bunten Lichtflecken die über die Wände, den Boden und die Gesichter der Besucher huschen. Dazu gibt es Chorgesang, der sich sanft in die unfassbare Höhe des Turms aufschwingt. Ich zünde eine Kerze an, und muss mich setzen, um mit offenem Mund weiter zu staunen.
Eine Künstlerin hat nach der Errichtung durch den Architekten August Perret, zu ihm gleich mehr, durch das geschickte Arrangement von unzähligen Fenstern, es sind rund 1.300 einzelne Scheiben, die sich über die Fassade verteilen, im Inneren einen Zauber aus Licht und Farben geschaffen, der sprachlos und diese Kirche zu einem magischen Ort macht. Betrachtet man diese Fenster von außen, wirken sie unscheinbar, ja normal und farblos. Den Innenraum erleuchten sie je nach Lichteinfall jedoch mit den unterschiedlichsten Farben. In Bodennähe herrschen heute eher Orangetöne vor, in der Mitte wird es violett und im oberen Bereich, je näher unser Blick der Turmspitze kommt, zu der sich (unfassbar) eine Wendeltreppe wie der “starway to heaven”, einem Korkenzieher ähnlich hinaufschraubt, schimmert es grünlich. Die Stützpfeiler muten eher wie schwere Holzpfähle an, als wie Beton, kraftvoll stützen sie das steil aufragende Turm-Gewölbe.
Zu ihrem Erbauer, dem Architekten August Perret wollte ich ja noch etwas sagen, man nannte ihn auch den “Poeten des Beton”. Nicht nur die L’Eglise St. Joseph hat er gebaut, sondern gleich die ganze 150 ha große Innenstadt von Le Havre und sie damit auf die UNESCO Welterbeliste katapultiert.
Ein ehrgeiziges, nicht unumstrittenes Projekt, dem er sich da gestellt hat. Nach dem Krieg 1945 lag Le Havre nach zahlreichen Bombardierungen in Schutt und Asche wie viele andere Städte auch. Einen strategisch so wichtigen Hafen konnte man ja nicht verschonen …
Perret war es, der die Aufgabe der Wiedererrichtung in Angriff nahm und die Stadt, die heute modern und mit ihrer schlichten Gradlinigkeit punktet so unverwechselbar machte. Eine Stadt so ganz anders, als ich sie erwartet hatte. Nur wenige alte Gebäude sind noch erhalten. Unter Ihnen, zwar nicht unversehrt, dafür wirkt sie seltsam zerbrechlich, mit marodem Charme die Kirche Notre Dame de Le Havre.
Ich bummele zurück, Andreas ist schon vor gelaufen. Vorbei an hölzernen Marktwagen mit Bergen von duftenden Melonen, bestaune die Auslagen von zahlreichen Blumenläden, entdecke ein Geschäft mit hunderten Baskenmützen, stecke die Nase in einen randvollen Antiquitäten-Laden.
Hier, kann man es sich noch am Besten vorstellen, das hier alles begann wie man so sagt. Mit alles meine ich in diesem Fall den Impressionismus, denn Le Havre als Tor zu Normandie, gilt tatsächlich als seine Wiege und hier im Hafen wo jetzt ein Kontrollturm steht, saß einst Claude Monet an seiner Staffelei und malte …
Heute findet man hier eine mehr als haushohe Installation aus bunten, in zwei verschlungenen Bögen, aufeinandergestapelten Überseecontainern. Auch diese Skulptur ist weithin sichtbar und beschert uns beim Auslaufen am Abend, mittlerweile ist es fast wolkenlos mit 18 Grad, zusammen mit der L’Eglise St. Joseph, den gleichförmigen Wohnblöcken, der echt engen Hafenausfahrt mit ihrem kleinen Yachthafen und einem angrenzenden Kiesstrand ein sehenswertes Panorama.
Au revoir, Le Havre – a bien tot – oder so …
Freitag, 14.09.2018 Auf See, Nordatlantik – Biskaya
Wir wachen auf, auf der Höhe von Biarritz, 92,4m Wassertiefe, 14 Grad Außentemperatur, trocken aber bewölkt, Kurs Südwest in Richtung Spanien – und wieder Dünung. Mir schmerzt nach dem gestrigen “Betontreten” mein Knöchel, zum Glück hat er heute einen Seetag und kann sich vor dem morgigen Landgang noch entspannen. Ich bandagiere mich mal und wir gönnen uns ein spätes Frühstück, wir finden ein ruhiges Plätzchen und ich schreibe meine ersten Notizen zusammen.
Der Kapitän meldet sich über den Bordfunk und gibt einen Ausblick auf das Wetter, vielleicht kommt ja heute am Nachmittag mein neuer Sonnenhut zum Einsatz? Er ist so herrlich “miss marpelig” und musste einfach mit.
Zuerst geht es jetzt aber noch zum heutigen Vortrag der Bordlektorin über Bilbao. Als sie darauf aufmerksam macht, dass man evtl. schon ab 12h nicht mehr ins Guggenheim-Museum hineinkommt, so groß ist bisweilen der Besucheransturm, packt uns Unruhe. Wir haben auch noch keine Karten! Ganze zwei Stunden kämpfen wir danach gegen den Sateliten und mit der Internetverbindung bis wir online zwei Eintrittskarten ergattert hatten. Puh!
Die Sonne hat es gut mit uns gemeint und auf uns gewartet, jetzt blinzelt und lockt sie uns an Deck. Dann bescheint sie unsere Kaffeestunde auf dem Kabinenbalkon. Die Luft hat sie schnell auf 20 Grad aufgewärmt und wir genießen einfach nur, wie das Schiff auf den langgezogenen Wellen surft – unglaublich, da – jetzt blinzle ich! Delphine, erst sehen wir zwei, dann vier, dann einen ganzen Schwarm! Immer wieder springen die glitzernden Leiber aus den Wellen und begleiten das Schiff munter und ausdauernd über Stunden. Kann mich bitte mal jemand kneifen? Andi macht das – und was soll ich sagen? Danach sind die Delphine immer noch da …
Bleibt neugierig – wir treffen uns im nächsten Hafen!
Lieben Dank, Dorothee! Ich freue mich, dass Du mit an Bord bist. LG von Petra
Wie interessant Du Deine/Eure Erlebnisse schilderst…ich freue mich auf die Fortsetzung!
Mensch Anja, das ist ja vielleicht ein Ding! Ich freue mich sehr, dass Du mit mir und den folgenden drei Teilen noch unterwegs sein wirst. Vielleicht haben wir ja auch die gleichen Häfen angesteuert? LG von Petra
Liebe Petra,
ich lese Dein Logbuch in diesem Jahr mit besonderem Interesse, da ich erstmalig eine Schiffsreise gemacht habe im September, kurz nach Dir…
Auch wenn es meine erste Tour in dieser Form war, war es sicherlich nicht die letzte Schiffsreise. Ich fand es unglaublich angenehm mit dem Hotel von einem Ort zum anderen gebracht zu werden und dabei viel zu sehen und zu erleben.
LG Anja