Der Meisterdieb (Michael Finkel)

Unmöglich. Kann sich eine Autorin, ein Autor, eine solche Geschichte ausdenken. Übertrieben ist das, würden wir sagen. Unglaubwürdig, vielleicht auch. Eine Räuberpistole. Das Leben fragt nicht nach glaubwürdig wenn es erzählt, es diktiert die verrücktesten Dinge und in diesem Fall fragt man sich, so wie auch der Autor dieses erzählenden Sachbuchs und New York Times Bestsellers, Michael Finkel, wie konnte der Elsässer Stéphane Breitwieser mehr als zehn Jahre lang durch Europa touren und unentdeckt insgesamt 174 Raubzüge unternehmen? In der Zeit von 1995 bis 2005 teils sogar großformatige Gemälde entwenden.

Wer war dieser Mann? Der jegliche Beute sammelte und für sich behielt. Der einen Schatz von etwa 1,4 Milliarden US-Dollar hortete und mit einer vergleichsweise milden Strafe davon gekommen ist? Was oder wer brachte ihn zu Fall?

Ihr findet das genauso spannend wie ich? Dann schauen wir doch mal weiter.

Der Meisterdieb von Michael Finkel (Übersetzung Alexandra Tietze-Grabec)                     – Eine wahre Geschichte von Kunst, Obsession und Zerstörung

Wegen Geld zu stehlen ist erbärmlich, sagt er. Wenn er von anderen Dieben hört, die kostbare Gemälde etwa aus ihren Rahmen schneiden, Messer ansetzen und verletzen, was mit Sorgfalt erschaffen wurde, packt ihn der Zorn. Das würde ihm nie einfallen und so ist es auch bei ihm nie gewesen. Mit umso mehr Unglauben erfüllt mich, was ich da lese über das WIE er insbesondere seine Gemäldediebstähle begangen hat. Wie konnte er da nicht jedes Mal erwischt werden?

Wer war die Frau an seiner Seite, von der Freunde sagten, sie unterhalte eine ungesunde, draufgängerische Beziehung zu ihm? Die eine Coolness und Überlegtheit hatte, die ihn so gut ergänzte. Nicht nur das, sie war seine Komplizin, von Anfang an, lernte ihn kennen, da waren seine Eltern noch nicht geschieden und seine Mutter und er noch bestens versorgt durch den Vater, den Geschäftsführer einer Warenhauskette. Ein Vater, der nicht verstand, dass der Herr Sohn es mit dem Arbeiten nicht hatte, zu depressiven Verstimmungen neigte und Taschengeld und Geldgeschenke der Großeltern vorzugsweise in Altertümliches investierte. Anne-Catherine Kleinklaus scheint mir die Kehrseite seiner Medaille zu sein und untrennbar mit Breitwieser verbunden. Oder nicht?

Breitwiesers Zuschlagen in zunächst überwiegend regionalen Museen, erfährt eine Veränderung. Weil man ihm auf der Spur ist, da kapitulierte er aber nicht etwa, sondern wollte mehr, wechselte das Land, trickste Videoüberwachungen aus. Überlegt. Eiskalt.

Kalt ließen ihn auch die großen Namen der Renaissance wie Botticelli oder da Vinci und auch der am meisten gestohlene Künstler aller Zeiten: Pablo Picasso (etwa tausend seiner Werke wurden entwendet!). Der gesamten modernen Kunst zeigte Breitwieser die kalte Schulte. Als lebte er im Gestern. Dieser Mann, der wirkte wie ein verwöhntes Kind. Das haben will, nur immer haben will. Ohne Maß. Hoppla, ein Stolperer, ob aus Gier oder Leichtsinn? Wer weiß das zu sagen. Jedenfalls wird Breitwieser am 28. Mai 1997 zum ersten Mal in Brüssel verhaftet, vor Gericht gestellt und wieder freigelassen, das obwohl ein belgischer Kunstermittler knapp ein Jahr zuvor ein Muster bei vierzehn dicht aufeinander gefolgten Diebstählen in Frankreich erkannt und eine Warnung mit seinen europäischen Kolleg:innen geteilt hatte. Den Zusammenhang zu Breitwieser stellte man nicht her. Noch nicht.

Michael Finkel, geboren 1968, us-amerikanischer Journalist, lebt heute in Bozeman/Montana. Finkel, der bis zu einem für ihn verhängnisvollen Artikel 2002 für die New York Times schrieb, sorgte durch einen nicht den Fakten entsprechenden Artikel über Kindersklaven seinerzeit für seine Kündigung. Als er kurz danach erfuhr, dass sich ein verurteilter Mörder, in der Hoffnung, der Journalist könne seine Freilassung erwirken, auf seiner Flucht als “Michael Finkel” ausgegeben hatte, stellte er Kontakt her und fand seine nächste Story. Sein Memoir True Story erzählt von Christian Longo und sein The Stranger in the Woods von Christopher Thomas Knight, der als Einsiedler vierundzwanzig Jahre in den Wäldern von Maine lebte. Jetzt also Stéphane Breitwieser. Nicht minder auffällig, dieses Leben, das Finkel beleuchtet.

Ohne zu werten, versteht Finkel es im Fall der Geschichte Breitwieser, das überlässt er uns, das Porträit eines Mannes zu zeichnen, der seine Diebstähle für “opferlos” hielt. Mich bringt diese Haltung ja auf den Tisch! Auch weil hier sehr bildhaft formuliert wird.

Stéphane Breitwieser und seine Freundin Anne-Catherine Kleinklaus haben in einer Schatzkiste gelebt, wie in Ali Babas Höhle, nur ohne eine Armee von Räubern. In einem unscheinbaren Haus am Stadtrand und auch wenn sich Breitwieser nie für einen Dieb gehalten hat, ist er der vielleicht erfolgreichste und produktivste Kunstdieb aller Zeiten gewesen, so Finkel.

Mitten aus dem Leben und spannend wie ein Krimi, so liest sich diese Recherche, die uns von einem arbeitslosen, von Sozialhilfe und Gelegenheitsjobs lebenden jungen Mann nebst Freundin erzählt, der bei der Mutter im Dachstuhl wohnt, dem die Großeltern zum Einstand ein opulentes Himmelbett schenkten. Der auf Privatsphäre pocht. Ausdrücklich, und was immer er da nach Hause schleppe, sei nichts wert, vom Flohmarkt, erzählte er seiner Mama und sie glaubte es. Bis sie es nicht mehr glaubt, ihn deckt, raushaut, wieder wegsieht und dann zum Äußersten greift.

Von spektakulären Dachbodenfunden hat man ja schon gehört, so manchem arglosen Erben sind beim Ausmisten versteckte Gemälde alter Meister in die Hände gefallen. Dieser Dachboden hier wird bewohnt und ist vollgestopft mit Kunstgegenständen, alten Waffen, Fugirinen, die über ein Jahrzehnt, aus den verschiedensten Museen dieser Welt zusammengestohlen wurden. Hier muss es ausgesehen haben wie in einem Raum im Louvre, den ein Kurator mit seinen Lieblingsstücken vollgestellt hat. Kein Fleck an der Wand war mehr weiss. Gemälde reihte sich an Gemälde.

Finkel unterstützt die Unglaublichkeit dessen was er erzählt mit Fotos von Teilen der Kunstgegenstände, die Breitwieser auf seinen Raubzügen an sich gebracht hat und ich frage mich einfach nur kopfschüttelnd und permanent, wie Breitwieser es im Einzelfall unbemerkt hat fertig bringen können, genau diese Gegenstände zu entwenden. Lese die detailhaften Schilderungen dazu, die Originalzitate und seine Aussagen mit angehaltenem Atem. Denn Finkel hat sich nicht nur persönlich für Interviews mit ihm getroffen, sondern ihn auch begleitet, zurück zu einem Tatort. Wurde Zeuge seiner Fingerfertigkeit und Ausgebufftheit.

Vom Stendhal-Syndrom, höre ich hier zum ersten Mal. Betroffene werden beim Betrachten von Kunst in Ekstase versetzt, reagieren mit Schwindel, Herzrasen, Gedächtnisverlust. Breitwieser stellte sich diese Diagnose und war erleichtert. Er war nicht allein. Stendhal wurde allerdings nicht zum Dieb. Andere auch nicht.

Neben der Räuberpistole aus der diese Geschichte geschossen wird, geht um die Beziehungen dieses Gauners, insbesondere zu zwei Frauen in seinem Leben, die zu seiner Mutter und die zu seiner anfänglichen Komplizin, ohne beide wäre er fraglos nie so lange unentdeckt geblieben. 

Michael Finkels fast romanhaftem Erzählen bin ich gern gefolgt, wusste über weite Strecken nicht, ob ich diesen Breitwieser schütteln soll oder seine Courage und seinen Einfallsreichtum bewundern. Darf man letzteres, frage ich mich? Er ist und bleibt ein Verbrecher. Beraubte auch uns. Er, der denkt, er habe stets gestohlen ohne jemandem zu schaden irrt. Er hat uns alle bestohlen, weil er nicht bereit war zu teilen. Denn das tut ein Museum. Es lässt uns teilhaben an Großartigem, Besonderem und Kostbarem. Er will besitzen und versteckt. Nutzt gewissenlos Sicherheitslücken in überwiegend regionalen Museen. Vielleicht ist dieses Verhalten einer Krankheit geschuldet, das Gericht hat mehrere Psychiater bestellt um das zu klären. Ohne klinisches Ergebnis. Für mich ist es zutiefst egoistisch und narzistisch. Ich verbleibe hin- und hergerissen mit der Faust in der Tasche. Schließe die Jagd auf einen Dieb mit dem letzten Kapitel. Klappe das Buch zu, spüre dem Kippmoment in dieser Geschichte nach, derweil mein Kopf sich immer noch schüttelt. Vieles, insbesondere der Verbleib zahlreicher von Breitwieser gestohlener Kunstgegenstände, bleibt im Dunkeln. Was für eine Story und welch Schaden durch, wie Finkel es nennt diese ästhetische Leidenschaft angerichtet worden ist. Doch, ich bin wütend. Schon auch. Weil das Verhalten und die Motive derer, die die Maßlosigkeit nicht nur gestützt, sondern am Ende auch noch den größten Schaden angerichtet haben, ein Beispiel dafür geben, dass es nier nur einen Täter gibt und das ist jetzt keine Entschuldigung.

Mein Dank geht an den Goldmann Verlag für das Besprechungsexemplar und eine Leseempfehlung an alle, die einmal mit anderen Augen durch ein Museum gehen wollen, so wie ich das ab jetzt tue, besonders wenn ein Alarmton schrillt …

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