Sonntag, 07.05.2017
Das deutsche Wirtschaftswunder. Eine Italienreise mit der ganzen Familie. Nicht mehr mit dem Bus fahren, sondern mit dem eigenen Auto. Endlose Autoschlangen zockelten über den Brenner, VW Käfer und die Isetta unter ihnen. Italien wurde Sehnssuchtsland. Endlich konnte man sich etwas leisten! Sonne und la dolce vita!
Das unvergessene Unikum Heinz Ehrhardt, und sein Film von 1961 “Mein Mann, das Wirtschaftswunder”. Die Deutschen träumten sich in eine bessere Zeit und stürmten die Kinos, sie sahen “Ein Herz und eine Krone” mit Audrey Hepurn. Man machte Fernseh-Werbung, mit dem “HB Männchen”, und auch “4711 war immer dabei” 😉
Pst, ich darf meine Gedanken hierzu gar nicht laut aussprechen, tue ich es doch, stimmt mein Mann sofort die “Capri Fischer” von Rudi Schuricke an: Bella, Bella, Bella Marie … Alternativ singt er alles was ihm von Rene Carol einfällt, da wird er direkt nostalgisch …
Am 19. April 1951 eröffnete Bundespräsident Theodor Heuss die erste IAA in Frankfurt am Main. Er selbst konnte gar nicht Auto fahren und die meisten Besucher konnten sich noch keinen eigenen Kleinwagen leisten. Wie kein anderer Industriezweig aber beginnt die Automobilfertigung in Deutschland zu brummen. Bis zur IAA 1955 hatte sich die Produktion bereits verdreifacht, in diesem Jahr stellte BMW erstmals seine/ihre Isetta vor. Bis 1961 verzeichnete man eine Steigerung von in Deutschland gefertigten Automobilen um das Fünffache. 14 Millionen Gastarbeiter kamen u.a. deswegen von 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 nach Deutschland. Davon gingen 11 Millionen wieder zurück in ihre Heimatländer. Das erste Anwerbeabkommen schloß Deutschland am 20.12.1955 mit Italien. 1964 wurde der Millionste Gastarbeiter Armando Rodriguez aus Portugal vom deutschen Innenminister persönlich begrüßt und bekam als Geschenk – ein Moped!
Den wenigsten seiner Mitstreiter erging es so wie ihm. Die meisten wurden in Barracken unweit ihrer Arbeitgeber untergebracht, zusammen gepfercht, man ging ja nur von einem vorübergehenden Aufenthalt aus …
Bella Germania (Daniel Speck)
Gastarbeiter – mit diesem Wort kann etwas nicht stimmen, findet zumindest Giovanni. Gäste läßt man doch nicht arbeiten? Zumindest hält man einen Gast in Ehren dort wo er herkommt. Viel Deutsch kann er ja nicht, da erklärt ihm der Mann mit dem Megaphon das Wort halt mithilfe eines Wörterbuches so: Er sei Gast in diesem Land, so lange er Arbeit habe. Auf diesem Bahnsteig in München im dichten Gedränge, eingeklemmt zwischen zig seiner Landsleute, legt sich sein Überschwang und ihm kommen erste Zweifel. Hat er die richtige Entscheidung getroffen? In seinem leichten Anzug, ohne Mantel, friert ihn. Auch der Empfang der deutschen Beamten ist nicht gerade herzlich. Giovanni versteht von dem Gesprochenen wenig, aber hinter dem Tonfall kann sich nichts gutes verbergen …
Die Herren des Vorstands von BMW staunten 1954 auf der Automesse in Turin nicht schlecht, als sie erstmals diese Kreuzung aus Motorroller und Auto der Firma Iso sahen. Genau so einen kleinen Flitzer brauchten sie um ihre Firma vor dem drohenden Konkurs zu bewahren. Einen solchen Kleinwagen würde sich auch die Masse der Deutschen leisten können, wenn man ihn denn nachbauen könnte …
Das Vincent Schelwitz mit nur fünfzehn Jahren bei BMW in München eine Arbeit fand war für ihn ein Glücksfall. Er war zu Kriegsende mit Mutter und Schwester aus Schlesien geflohen und als einziger der Familie lebend in Deutschland angekommen. Sein Vater war da schon in Russland gefallen. Dieser junge Mann sollte auch für BMW zum Glücksfall werden, denn ihn schickte man nach Mailand. Mit einer alten Wehrmachtsmachine starte er von München aus. Tuckerte an zahlreichen liegengebliebenen Autos vorbei über den Brenner ins gelobte Land – Italien! Als er am Gardasee von seiner Maschine abstieg und die müden Glieder streckte fiel ihm dieses Licht auf! Die milde Luft und der Duft der hier in der Luft lag war ihm fremd und er erinnerte sich an das Gedicht von Goethe, dass er in der Schule gelernt hatte. “Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn…”.
Es wunderte die Ingenieure von Iso schon, dass eine so bedeutende deutsche Firma einen noch so jungen Mann geschickt hatte. Auch ihr Chef Renzo Rivolta staunte, aber gut, zu wichtig war für seine Firma der Lizensvertrag mit den Deutschen. Die praktische aber eben nicht schöne Isetta verkaufte sich in Italien nicht gut. Vincent jedoch vermochte die Führungsriege von Iso schon bald, wenn auch eher unfreiwillig humorvoll zu überzeugen. So lud der padrone Rivolta den Fremden auch alsbald zum Essen in seine Villa ein. Vincent war sich sicher, er hatte sich noch nie so schnell zu Hause gefühlt. Die ihm zugeteilte Dolmetscherin Guilietta trug dazu einen nicht unerheblichen Teil bei ….
Daniel Speck ist erfolgreicher Drehbuchautor, u.a. schrieb er das Drehbuch für die Verfilmung des Jan Weiler Romans “Maria, ihm schmeckt’s nicht”.
Auf zwei Zeitebenen erzählt er seine Geschichte Bella Germania im Rückblick von 2014 auf diese für Deutschland so prägende Zeit. Er stattet seine Figuren mit viel Herz aus und läßt seine Leser von Beginn an eng bei ihnen sein. Nachvollziehbar die Schicksale, bewegend zu erlesen was eine große Liebe vermag.
Sein Roman ist für mich wie geschaffen für einen Fernseh-Mehrteiler mit prominenter Besetzung. Süffig, leichtfüssig, humorvoll und sehr unterhaltsam kommt er daher. Garniert mit zeitgeschichtlichen Details und einem durchaus offenen Blick für die Situation der Gastarbeiter in der deutschen Wirtschaftswunder-Zeit und aktueller denn je. Die Widmung die gleich ganz vorne in seinem Roman steht, gefällt mir besonders, ich darf Herrn Speck mal zitieren: “Für alle, die ihre Heimat verließen und ihre Geschichten mitnahmen”.
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