Durch das Raue zu den Sternen (Christopher Koeble)

Wie oft hören wir ohne zu verstehen? Sind mit anderem beschäftigt, wenn jemand uns etwas erzählt. Hören nur mit einem Ohr hin. Vergessen sofort wieder was gesagt wurde. Es fällt durch uns hindurch. Bei Musik ist das anders. Sie macht etwas mit uns. Immer. Fährt uns in den Bauch, in die Glieder. Bässe spüren wir tief, andere Töne nehmen uns mit hinauf in die Höhe. Berühren uns, wie Worte das nicht können.

So manches Stück hakt sich in uns fest, dann kriegen wir einen Ohrwurm. Den ganzen Tag über Summen wir danach grundlos vor uns hin, oft lächelnd, weil uns diese Melodie nicht mehr loslassen will. Wir genießen, dass wir Musik mehr fühlen, als das wir sie hören und in dieser Geschichte geht es ihr genauso:

Sie ist dreizehn Jahre alt und heißt Arkadia. Arkadia Fink, alle nennen sie nur Moll. Eine aufmerksame Zuhörerin ist sie und Musik, die liebt sie. Noten lesen konnte sie noch vor den Buchstaben. Ihre Mutter hatte es ihr beigebracht. Ihre Mutter, die kurz fortgegangen ist, wie sie uns erzählt und irgendwie ahnen wir da schon, ganz zu Beginn ihrer Geschichte, das daran etwas nicht stimmt.

Christopher Kloeble, geboren am 03. Juli 1982 in München, lebt in Neu-Delhi und Berlin. Kloeble schreibt für Literaturzeitschriften und entwickelt Stoffe für Film- und Fernsehproduktionen. Das Museum der Welt heißt sein Roman aus dem Jahr 2020 in dem er die Brüder Adolph, Hermann und Robert Schlagintweit, Reiseforscher, Alpinisten und Ornitholgen wieder ans Licht holt. Den Vergessenen Helden, die finanziert von der British East India Company und durch die Fürsprache Alexander von Humboldts 29.000 km in drei Jahren zurücklegten, die der Welt aufs Dach gestiegen sind, hat er darin ein literarisches Denkmal gesetzt. Auch in diesem Roman wählt er eine ungewöhnliche Erzählperspektive, setzt einen Waisenjungen aus Bombay ein. Ein Klick auf das Cover führt Euch am Ende dieses Beitrags in meine Besprechung dazu. Ich mochte diese Geschichte und habe aufgehorcht als ich diese aktuelle von Kloeble entdeckt habe.

Auch diesmal ist es sein Erzählen, das für mich den Unterschied macht. Dieses Vermögen sich Hineinzuversetzen in eine Figur und die Art und Weise, wie die Worte an ihren Platz fallen. Wie stimmig sie sich aneinanderreihen, wie die Töne auf einer Leiter und am Ende zusammen einen Wohlklang ergeben. Einen den man nicht mit den Ohren hört. Sondern mit dem Herzen. Das man nur mit dem Herzen besonders gut hört, wusste schon der kleine Prinz und Kloeble der selbst zehn Jahre lang in einem Knabenchor gesungen hat, weiß wovon er da schreibt und das merkt man seinem Text an.

Seine Arkadia belagert einen Knabenchor, schneidet sich die Haare raspelkurz, weil sie unbedingt und genau hier mitsingen will und ihre Beharrlichkeit wird belohnt. Überhaupt ist sie genau das, beinahe penetrant beharrlich, klug, begabt und feinfühlig. Vorlaut. Schon auch. Verletzlich und wenn sie erzählt, wie sie erzählt, wirkt sie viel älter als sie ist. Mit ihren dreizehn.

Streiche und Gehässigkeiten, sogar Lehrer beteiligen sich an Demütigungen. Eiserne Disziplin hält diesen Chor zusammen. Dafür sorgen strenge Lehrer und Lehrerinnen.

Kräuterbonbons und Lederhosen. Der Wunsch danach auch eine zu tragen, statt einem Dirndl blüht in Arkadia. Erinnerungen, die im Innern anklopfen, die tief versteckt und verborgen sind. Auch die daran, wann und warum ihre Freundung Bernhardina die Fähigkeit zu Gehen verloren hat. Sie will Moll helfen, wieder richtig hören zu können, denn das könne sie nicht, meint ihre Gesangslehrerin. Die sie hart fordert. Teil dieses Chors zu sein ist ein hartes Brot. Aber Arkadia hält Stand, nimmt kein Blatt vor den Mund und mit ihrer Beethoven, da kennt sie sich aus. Sie mag sie am liebsten, behauptet standhaft es handele sich bei diesem Tondichter um eine Frau.

Wenn sie uns erzählt, ihre Mutter ist vor einigen Monaten „kurz“ weggegangen, aber sie komme gut klar damit, glaube ich ihr. Weil die Musik ist ein geschützter Raum für Sie, eine Zuflucht, ein Ort, an dem sie nach ihrer Mutter rufen, wo sie ihr begegnen kann. Was man von ihrem Vater nicht behaupten kann. Er hat das Arbeiten in seiner Schreinerei aufgegeben, unbezahlte Rechnungen stapeln sich und reden tut er nicht mehr. Viel. Arkadia ist sich sicher, die Mutter kommt zurück. Spätestens, wenn sie, einen Fernsehauftritt mit dem Chor haben wird. Denn den wird sie hören. Das dieser Chor, den die Mutter so mochte, ein Knabenchor ist und Arkadia ein Mädchen wertet sie als Grund, aber nicht als Hindernis. Und sie hat Unterstützung. Bernhardina vierundachtzig Jahre alt, ehemalige Musiklehrerin und Freundin von Molls Mutter ist auch ihre Freundin. Ihre einzige Freundin. 

Die Liebe zur Musik reicht hier so weit, geht so tief und wie Kloeble davon schreibt, öffnet auch mir das Herz weit. Arkadias Gedanken rühren mich an. Ihr verzweifelter Versuch dem Vater, der nach dem Fortgang der Mutter verstummt ist, wieder Worte zu entlocken.

Ihre Erinnerungen an die Mutter, die sie mit uns teilt. Die eine eher erfolglose Komponistin war, polarisierend, aber eine Mutter, die fehlt. Eine Mutter, die den Kirchenorganisten einmal in die Hand gebissen hatte und für die das ganze Dorf einen Arzt hatte holen wollen, der sie einsperrt, wäre Moll nicht gewesen. Eine Mutter, für die ihr Ungeborenes bereits im Bauch gesungen, die unzählige Autounfälle verursacht, die ihr ein Ferkel geschenkt hatte. Eine Mutter, der ein kostbarer Neo-Bechsteinflügel gehörte. Moll war mit ihm aufgewachsen und mit Klavierlehrern und Klavierstimmern. Letztere waren schlicht überfordert gewesen mit diesem guten Stück. Weshalb er noch immer verstimmt war.

„Man kann nur richtig laut sein, wenn man das Leise versteht.“ Textzitat

Will man hören, was in einem so los ist, dann bleibt man besser allein. Oft ist es sehr leise da drin und so manches will man lieber auch nicht hören. Aussprechen schon gar nicht. Denn dann wird es wahr.

Wie gut ich das verstehe. Wie sehr ich das fühle. Christopher Klöble versteht es so lange zu kitzeln bis sich etwas regt. In seiner kleinen großartigen Hauptfigur und in uns. Seinen Lesenden oder Hörenden. Bis wir Verstehende sind. Das mochte ich sehr.

Apropos Hören, Apropos leise Töne. Auch diesmal gibt es eine Hörbuch-Fassung, rund sechs Stunden lang liest mal lebendig, mal laut, mal leise, die Schauspielerin Leonie Landa. Vielleicht habt Ihr sie noch Cornelia Funkes Tintenwelt-Trilogie im Ohr? Ich kannte sie bislang noch nicht.

Was für eine kleine, feine, funkelnde Geschichte ist hier gelungen. Eine vom Vermissen. Mit einer Heldin die man sofort ins Herz schließt. Die man am liebsten in den Arm nehmen möchte. Die mit ihrem Blick auf die Dinge, meinen weitet.

Wie lange habe ich mich in dieser Geschichte gefragt, was ist da passiert? Bevor und als Molls Mutter kurz fortgegangen ist. Gleich zu Beginn schon, hat mich eine Ahnung beschlichen. Eine Befürchtung. Ob ich mit diesem Ende gerechnet habe, fragt ihr mich? So wie es jetzt da steht nicht. Weiter atmen sage ich mir. Vielleicht auch noch einmal von vorne beginnen im nahenden Advent. Oder an einem dieser nebligen Tage die im Winter noch auf uns warten. Egal wie ihr Euch entscheidet, diese leise Reise ist eine lohnende. Versprochen.

Für alle die mehr entdecken wollen von Christopher Kloeble, mein Beitrag zu dieser Geschichte nach Klick auf das Cover:

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