Fabula Rasa (Vea Kaiser)

Im August 2021 titelte Der Stern “Vier Millionen Euro fehlen und keinem fällt’s auf – wie eine Buchhalterin Sacher ausnahm”. Die Rede ist von dem bekannten Wiener Traditionshotel und von einer Angestellten, die rund dreißig Jahre lang dort beschäftigt gewesen ist. Kein Wirtschaftsprüfer, keiner der wechselnden Geschäftsführer, niemand hatte bemerkt, wie durch manipulierte Überweisungen nach und nach die Millionen verschwanden. Eine Bank deckte den Betrug auf, da lief er etwa zehn Jahre und es kam zum Prozess. Sie habe es aus Liebe getan, gab die Angeklagte reuig an, drei Jahre Haft, davon zwei auf Bewährung und finanzielle Wiedergutmachung wurden verhängt.

“Ein Sündenfall im Tortenparadies” schrieb seiner Zeit der Kurier. Klingt unglaublich, allein dieses Strafmaß schreit für mich förmlich nach einem Stoff aus dem gute Geschichten gemacht sind. Weil die besten schreibt eh das Leben. Das muss sich auch Vea Kaiser gedacht haben, denn ihr aktueller Roman, den sie auf der Frankfurter Buchmesse im Hotelbademantel und in Hotelschlappen vorgestellt hat, spielt in einem fiktiven Wiener Hotel, auch bei ihr rutscht eine Verwaltungsangestellte auf die schiefe Bahn. Eine Autorin besucht sie im Gefängnis, holt sich deren Geschichte quasi dort ab. Sie tauft ihre Protagonistin Angelika Moser, lässt sie als Hauswartstochter vaterlos aufwachsen, schreibt ihr buchhalterisches Geschick zu, schickt sie feiernd durch die Wiener Clubs Ende der Achtziger Jahre, lässt sie unter Kristalllüstern Walzer tanzen und wer Vea Kaiser kennt, der darf hier auch jede Menge Wiener Originale erwarten und eine Sahneschnitte von Schelmenstück …

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels von Vea Kaiser

Der Eugen war jetzt ihr Praktikant. Dabei hatte sie ihn nicht gewollt. Den schönen, reichen Sohn eines Hotelbesitzers, der bei ihr von der Pieke auf lernen sollte. Der Herr Direktor wollte es so. Das hatte ihr seine Sekretärin unmissverständlich klar gemacht. Widerspruch zwecklos. Er solle sie, Angelika, entlasten. Damit sie Kapazitäten habe um einen Spezialauftrag ihres Chefs zu erledigen. Diesen Auftrag hatte sie abgelehnt, mit der Ausrede “zu viel zu tun”, weil sie es nicht tun wollte und jetzt dieser Eugen. So charming, sie würde ihn ja gerne links liegen lassen. Geht aber nicht. Sie bandeln an.

Große Träume, weite Welt. Von Wien nach New York. Dem Eugen, der eigentlich Julius Frohner heißt und der Sohn ihres Chefs ist, was er fein säuberlich verschwiegen hat, wäre die Angelika gerne gefolgt. So soll es aber nicht kommen. Es wird der Freddy werden, Sänger und Hallodri, der ihr Herz final erobert. Eine On-Off-Beziehung ist das mit den beiden und das Kind, das aus ihr hervorgeht, der Sebastian, scheint viel vom Vater zu haben ….

Vea Kaiser, geboren am 21. Dezember 1988 in St. Pölten, studierte in Wien, wo die zweifache Mutter heute auch lebt, Klassische Philologie. Ihren Debütroman veröffentlichte sie 2012 unter dem Titel Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam. Sie eroberte mit ihm Platz 1 der ORF-Bestenliste und wurde dafür als bestes deutschsprachiges Debüt beim internationalen Festival du premier roman in Chambéry ausgezeichnet. 2015 folgte Makarionissi oder die Insel der Seligen, mit dem ich in ihr Schreiben eingestiegen bin und 2019 Rückwärtswalzer oder die Manen der Familie Prischinger.
2024 heimste Vea Kaiser mit dem internationalen Jonathan-Swift-Preis für satirische und komische Literatur, eine weitere Auszeichnung ein und 2025 dürfen wir uns jetzt über diesen, ihren neuesten Streich freuen.

Die ganz große Welt geht diesmal bei ihr ein und aus, respektive in ihrem erdachten Hotel und der Herr Direktor desselben residiert patriarchengleich mit opulentem Spesenkonto ausgestattet, in einem eigens für ihn vorgehaltenen Herrenzimmer, zu dem lediglich seine Assistenz und ab irgendwann und schließlich auch unsere Angelika Moser Zugang erhält. Mit Folgen.

Also nein, nicht falsch verstehen, der Sohn, den sie zur Welt bringt, ist nicht seiner, die Zurückgezogenheit des Raumes ließ sie unbemerkt tun, was sie getan hat. Was der Herr Direktor von ihr verlangte. Bilanzen zu fälschen. Sie glaubt ihm, wenn er sagt, es gehe um einen geltend gemachten Erbanspruch, den es abzuweisen galt, damit das Hotel überleben konnte und mehr noch. Er steigt mit ihr auf’s Dach und malt ihr bunte Bilder von einer Erweiterung, von Penthäusern, hoch über Wien. Befördert sie. Zur Abteilungsleitung der Buchhaltung.

Eine Romanze mit dem Junior und etliche Entscheidungen später wirft sie ihre Überzeugungen über Bord und stapelt nicht mehr tief sondern hoch. Das Geld ist knapp, der Freddy weg. Sie mit Kind allein. Auf geschickte Art und Weise beginnt sie sich Geld vom Hotel zu leihen. Eins kommt zum Anderen. Immer höher wird Angelikas Finanzbedarf und weil es möglich ist beschafft sie das Geld. Auch für diesen Traum, ihr erwachsener Sohn tanzt, wenn auch bekifft am Wiener Opernball ein und sie gönnt sich eine wenn auch baufällige Villa.

Einfach nur lesen. Lesen und bestens unterhalten werden. Keine Probleme wälzen, dem Alltag die Tür vor der Nase zu knallen. Sich im Text wie zu Hause fühlen. Mit dieser Autorin ist mir das vor Jahren schon einmal gelungen, ihr Schreiben habe ich allerdings tatsächlich über das Hören kennengelernt, mir auf Empfehlung einer lieben Bücher-Freundin hin, Danke Betti, Kaisers Makarionissi als Hörbuch auf die Ohren gepackt und was habe ich diese Geschichte gern gemocht!

Vea Kaiser versteht es für mich auch diesmal mit dem ihr eigenen lakonischen Ton und einer ordentlichen “Schmäh” zu bezaubern. Szenisch und bildhaft entführt sie uns in ihr Traditionshotel, entwickelt ihre 555 Seiten starke Geschichte der Angelika Moser auf der Suche dem Glück zwischen Samtvorhängen, dicken Mauern und durchtanzten Nächten ungemein charmant. Impft ihren Roman mit einem Achtziger-Jahre-Vibe, der mir sehr gefallen hat. Drauf gewartet habe ich, dass gleich der Falco noch um die Ecke biegt. Ein kleines Wiener-Wörterbuch fügt sie an, damit wir auf der Spur von Angelikas Schicksal auch keine Feinheit verpassen.

Kurzweilig, humorig, warmherzig und Pardon, sausympathisch, saust ihre Angelika wie ein Wirbelwind durch die Geschichte. Wenn ihr einen Krankenbesuch machen müsst oder ihr selbst braucht Aufheiterung, dann ist diese Geschichte eine sichere Bank.

Küss die Hand. Habe die Ehre. Nomen est omen.
Fabula Rasa, die Kunst des Fabulierens, beherrscht Vea Kaiser par excellence. Es wogt hin und her, spitzt sich zu, die Ereignisse überschlagen sich. Die Angelika fliegt auf, was keine Überraschung ist, schließlich ziehen sich Interviews, die mit ihr im Gefängnis geführt werden durch den ganzen Roman. Nicht das Ergebnis, sondern der Weg ist in diesem Roman das Ziel und die Suche der Angelika Moser nach dem Glück habe ich mehr als gern begleitet. Den Detail- und Einfallsreichtum dieser Autorin bewundert, war bei jeder Wendung gespannt, wie sich das jetzt wieder ausgehen soll.

Der sprichwörtliche Wiener Schmäh quillt hier aus jeder Silbe, wird zum Niederknien verstärkt in der sehr empfehlenswerten Hörbuchfassung, die mit ihren ungekürzten 17 Stunden und 45 Minuten wahrhaftig Breitwandkino für die Ohren ist. Vea Kaiser selbst übernimmt vorlesend die Interview-Kapitel, die in der Haftanstalt spielen und wechselt sich ab mit einer grandiosen Proschat Madani, die den Hauptpart übernimmt und deren dialektischer Einschlag eine Bereicherung ist. Sie trägt den Charme der Geschichte stimmlich auf Händen. Die im Iran geborene Madani legt Herz und Seele in ihren Vortrag, sie dreht mir den Sound der Geschichte so ins Ohr, dass ich ihn nicht mehr herausbekomme. Ich liebe, liebe, liebe das, für mich war es herrlich vom Lesen zum Hören wechseln zu können, wie auf einer Zeitreise habe ich michgefühlt, mich berauscht an Kaisers herrlich plauderndem Ton.

Ein herzliches Dankeschön geht raus von mir an die Teams des KiWi und des Argon Verlages für die Besprechungsexemplare und an Vea Kaiser. Auch für die bestickten Hotelschlappen. Was für ein Fest!

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