Alles hinter sich lassen. Einen Neuanfang wagen. Auswandern. Nicht wenige Fernsehsendungen gibt es, die diejenigen begleiten, die diesen Schritt wagen. Wir sitzen zu Hause auf dem Sofa und träumen vielleicht auch davon den Mut zu haben, sind live dabei, bei Scheitern und oder Gelingen. Empfinden Freude oder Neid, hätten es anders gemacht.
Was ist das, dass mich bei Auswanderergeschichten immer aufhorchen lässt? Gleich ob es die großen tragischen aus der Geschichte sind, die ganze Kontinente besiedelt, die Amerika zu einem Schmelztiegel gemacht haben oder die Modernen. Die Menschen in die Stille und Einsamkeit zum Schafe züchten geführt oder Kneipier haben werden lassen.
Sehnsucht. Die muss es sein. Ein Sehnen, das mich wegführt von Alltäglichem und hin zu Veränderung und Verbesserung. Nur das dort am Ziel nicht immer alles Gold ist was glänzt und harte Arbeit in den meisten Fällen vor dem Erfolg kommt. Das kann man leicht übersehen.
Die Unverhofften von Christian Nussbaumeder
Maria rannte um ihr Leben. Das Zuchthaus vor Augen. Es brannte und sie hatte das Feuer gelegt. Fliehen wollte sie nach Amerika. Seit sie davon gehört hatte. Alles hinter sich lassen und mehr leben. Weg aus Eisenstein, so heißt der Ort indem sie nichts mehr hält, nachdem ihr Vater tot ist und die Briefe ihres Cousins, aus dieser Stadt namens Chicago, klangen wie ein Lockruf. Er hatte es geschafft in der neuen Welt anzukommen und erzählte jetzt vom Reiten über die Prärie, von Weite und Freiheit. Was sie kannte waren Armut, Enge und Engstirnigkeit.
Im Absinth-Rausch und durch ihren Arbeitgeber verliert Maria ihre Unschuld. Er erpresst sie, vergeht sich an ihr. Will sie nicht weglassen nach Amerika. Jetzt nicht und im nächsten Frühjahr nicht und überhaupt. Macht seine Ansprüche geltend, als wäre sie seine Sklavin. Was sie nicht ist. Zorn erfasst sie. Unternehmen will sie etwas. Gegen ihn.
Geschändet, verletzt an Leib und Seele, so kommt sie in dieser Nacht im Dorf an. Dort fasst man rasch einen Plan, nutzt ihre Lage aus, nutzt sie aus, um einen Kuhhandel mit dem Siegmund Hufnagel zu machen. Jetzt kriegen sie ihn und sie kriegt vielleicht auch was sie will, dann entdeckt sie, dass sie schwanger ist …
Als Maria rennt, am Tag des Feuers schreiben wir den 26. August 1900.
Der Besitzer fällt auf die Füße. Ein Sägewerk ersetzt in der Folge die Glashütte, die nach dem Fluch von Maria in Flammen aufgegangen ist. Der Waldbesitz der Hufnagels wird jetzt nicht mehr verfeuert, sondern zum Werkstoff, zum Baustoff. Der Glasbaron heiratet seine Langzeitgeliebte, mehrt seinen Reichtum und die Geschichte des Brandes wird zur Legende. Zu einer, die eine gewisse Erna stört.
Ihr begegnen wir im zweiten Buch, in der Zeit von 1945 bis 49. Die Amerikaner kommen und die Hufnagels versenken rasch SS-Uniformen und Waffen in ihrer Güllegrube, hissen statt der Hakenkreuzfahne ein weißes Laken als Erna ankommt, auch sie ist auf der Flucht, hat ihr Leben gekappt. Nach dem Tod der Mutter ist sie unterwegs nach Eisenstadt. Dort sucht sie nach ihrem Onkel Franz, dem Bruder ihrer Mutter – Maria …
Christian Nussbaumeder, geboren 1978 in Eggenfelden, Dramatiker und Autor hat Rechtswissenschaften, Neuere Deutsche Literatur und Geschichte studiert, bei Suhrkamp erschien bereits 2020 sein erster Roman Die Unverhofften, den ich jetzt mit einiger Verspätung von meinem SuB befreit habe.
Sprachlich haut Nussbaumeder quasi direkt einen raus. Wie poetisch er Landschaft und Kulisse seiner Geschichte beschreibt, gefällt mir sehr. Er erzählt von einer Gegend unweit von Prag, am Fuß eines Gebirges, das die Zeit aufgefaltet hat und katapultiert mich förmlich dorthin. Die Menschen hier sind gottesfürchtig und fest in ihrem Glauben verankert, weil sie das Leid und Armut besser ertragen lässt. Sie sind stark, zum Bäume ausreißen stark, und das dieser opulente Roman über eine bayrische Unternehmerfamilie, der sich über mehrere Generationen aufspannt, nach einem wortgewandten Epilog, mit einer Flucht und einer Hatz beginnt, hat mich sofort für ihn eingenommen.
In der Folge geht es um Blutschande, Lügen und eine Liebe die sich verbietet. This boots are made for walking, – keep on running. Gerlinde studiert Tiermedizin in München und ihr Vater Josef Hufnagel verlangt das sie Georg abschwört. Die beiden verheimlichen, dass sie sich weiterhin treffen und einander zugetan sind. Dann haut er dazwischen. Als Engel mit dem Flammenschwert.
Dieses Schweigen ist gemein, denke ich und feuere innerlich Christian Nussbaumeder an die Situation aufzulösen. Dafür braucht er doch nur einen Federstrich. Aber er lässt mich und seine Figuren zappeln, macht aus seiner Familiengeschichte ein Familiendrama. Wege, die geradeaus führen, sind etwas für andere Autor:innen. Die Lebenswege seiner Figuren winden sich und er wirft Ihnen Hindernisse in den Weg, schont sie nicht.
Es dauert bis in die 70er Jahre hinein bis eine Bombe verbal platzt und der Autor sich anschickt einem Vater die Augen zu öffnen, der sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschlossen hatte.
Zu Beginn der 1990er Jahre wird Georg Schatzschneider zum Immobilienmogul und damit zur Zielscheibe der öffentlichen Empörung gegen Wohnraumspekulanten. Verliert Frau und Sohn. Wagt eine Versöhnung.
Griechischer Wein, ein Udo Jürgens Song und ein Fox Trott, der trauriger nicht sein könnte. Soviel ist verloren.
Ein Fluch und drei tödliche Autounfälle. Bei einer Beerdigung versammeln sich die Weggefährten. Keiner von ihnen war zuletzt für Sie da gewesen.
Wie der Engel mit dem Flammenschwert wirft sich hier beizeiten eine Lebenslüge zwischen zwei Liebende und das Schicksal übernimmt die Regie. Teilt weitere Schläge aus.
Einen tollen, wechselhaften und vielschichtigen Roman habe ich viel zu spät aus meinem Regal befreit. Rund fünfhundertdreißig schmökersatte Seiten oder fast zwanzig Stunden kurzweilige Hörzeit erwarten Euch und wie Nussbaumeder den Kreis schließt, aus seinem Roman der als historischer beginnt, einen gegenwärtigen macht, der bis in unsere heutige Zeit reicht ist filmreif. Sein Personal so wasch- und lebensecht, hat Ecken und Kanten, manche habe ich schütteln wollen, andere beschützen, ist ihm sehr nahbar gelungen. Eine wunderbare Geschichte für die stürmischen, husseligen Tage, für Lesesessel, Wolldecke und eine dampfende Tasse Tee.
Thomas Loibl und Wiebke Puls empfangen in der Hörbuchfassung dieser Geschichte, diejenigen, die lieber hören wollen. Fühlen tut man in jedem Fall. Mitfühlen mit dieser Familie und allen die an ihr dran hängen. Dafür sorgen die beiden Sprecher im Verlauf auch, indem sie mehr als nur ihre Stimme geben. Durch sie kommt Leben in die Figuren.
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