Tabor Süden bringt Verschwundenen ihren Schatten zurück.
Dies ist mein erste Begegnung mit Friedrich Anis Kult-Ermittler und mein erster Krimi dieses Autors überhaupt. Zahlreiche Preise hat er sich bereits erschrieben und in diesem wagt er ein Experiment. Alle seine in vorangegangenen Reihen erdachten Ermittler lässt er in dieser Geschichte zusammenarbeiten, sich begegnen, weswegen ich dachte, da könnte ich doch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und alle Hauptfiguren und sein Erzählen in einem Aufwasch kennenzulernen.
Ihr wisst, Kriminalromane zu rezensieren finde ich immer etwas schwierig, weil man darf einfach nicht zu viel verraten und ich plaudere halt gern drauf los. Bei diesem Autor ist das anders, da darf ich etwas ausholen, denn es geht um mehr als um einen Fall.
Friedrich Ani, geboren am 07. Januar 1959 in Kochel am See, lebt heute in München, wo er auch seine Roman verortet. München und seine Stadtteile, das Kleinstädtische dieser Großstadt, sei in seinen Geschichten stets präsent, lese ich und so ist das auch in Die unbewohnten Zimmer.
Ani, Sohn eines syrischen Arztes, startete seine schriftstellerische Laufbahn 1981 als Polizeireporter und Hörfunkautor. Insgesamt sieben Mal(!) wurde er in der Folge mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Sein Roman Die Erfindung des Abschieds (muss ich jetzt unbedingt noch lesen!) wurde in der Schweiz unter die zehn besten Kriminalromane der 90ziger Jahre gewählt. Als Drehbuchautor wurde er 2010 mit dem Grimme Preis ausgezeichnet. Von ihm stammen einige Drehbücher zu Tatortfolgen, Rosa Roth oder auch Stahlnetz. 2012 gewann er gemeinsam mit seiner Frau Ina Jung den Bayrischen Fernsehpreis.
Gleich zu Beginn zitiert er Kafka und verweist auf die Verantwortung aller in Bezug auf Gewaltverbrechen. Gesellschaftliche Verantwortung, das ist so eine Sache mittlerweile, in Zeiten in denen geübte Demokratien ins Straucheln geraten. In Zeiten, in denen die Welt nach rechts rückt und Solidarität der Individualität des Einzelnen weicht.
Dieser Roman hat mich ins Grübeln gebracht, weil er bereits vor rund sechs Jahren geschrieben, genauer 2019, eine Szenerie beschreibt, die heute, leider genauso ebenfalls geschehen könnte. Im Gegenteil, wir sind wenn, noch etwas mehr nach rechts gerückt …
All die unbewohnten Zimmer von Friedrich Ani
Es nicht persönlich nehmen, soll sie diesen Fall, die ich‐erzählende Ermittlerin, halb Syrerin, halb Bayerin, meint ihr Chef. Ihr Chef, Polonius Fischer, ist es auch der Grund warum man ihr Dezernat, das K111, hinter vorgehaltener Hand die zwölf Apostel nennt. An die neun Jahre war Fischer in einem Kloster gewesen, bevor er dem Ruf der Polizei gefolgt war.
Sprachlich ausgefeilt und alles andere als platt. Figuren mit Ecken und Kanten. Die, das darf man hier erwarten. Eine Kommissarin, die emotional beteiligt ist. Die durch ihre Alleingang immer wieder in die Bredouille kommt. Auch diesmal.
Ein Attentäter schießt aus einer Wohnung. Ein Kollege wird lebensgefährlich verletzt. Angeschossen. Eine Frau ist tot und Kommissarin Nasri, als erste am Tatort, dreht durch, vergisst was sie gelernt hat, tritt eine Tür ein. Betritt die Wohnung des mutmaßlichen Täters allein. Wider besseres Wissen. Allein.
Ein Geständnis. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Fall gelöst. So scheint es.
Emotionale Distanz, ein Geständnis im Verhör, berechtigte Zweifel und ein Täter der offenbar den Verstand verloren hatte. Verschattete Lebensläufe.
Tabor Süden, freiwillig ausgetreten aus dem Dienst, und Pensionist Franck werden von Friedrich Ani mit ihren ehemaligen Kollegen zusammengeführt und es ergibt Sinn. Den Mord an einem Polizisten aufklären packt alle an.
Manchmal wirkt es, als würde Friedrich Ani dem Zufall die Regie überlassen, dabei hat er das alles mehr als sorgfältig durchdacht und gekonnt choreografiert.
Vom Krieg verjagt, dem schönen Schein nicht trauend. Die Einen. Ein Verbrechen an sich reißend und ein eigenes Trauerspiel daraus machend. Die Anderen, schreibt Ani und stellt seine Ermittler zwischen die Fronten.
Es hagelt Lügner und Zweifler und einen Staatsanwalt, der auf einen schnellen Abschluss des Falls drängt. Ein Ergebnis. Im Fall des Polizistenmörders. Muss her. Wenn einer schon gesteht, warum ihn jetzt nicht auch als Täter hernehmen. Fischer sieht das anders und mir gefällt das. Diese Zwickmühlen, die es aufzulösen gilt, auf dem schmalen Grad zwischen Schuld und Unschuld balancierend, eingeklemmt zwischen Gut und Böse. Wer die Guten und wer die Bösen sind, da bleibt Ani herrlich unbestimmt und damit sehr authentisch. Er packt noch einen Mobbingfall im Kreis der Polizei oben drauf und eine Frau in Uniform, der Mann einen Strick drehen will und wollte. Klingt nach viel Themen, die verhandelt werden, stimmt, die sind aber mehr als gut sortiert.
Gegen rechts, so kann man diesen Krimi nämlich auch noch und damit als Gesellschaftsroman lesen. Gestützt von Anis nachdenklichem Grundton und einer Unausweichlichkeit, die er da einbaut, ergibt sich ein Romangerüst, dass man nicht auf den ersten Blick durchschaut. Man will und muss bis zum Ende dran bleiben. Das hat mich, neben seiner sehr coolen Figurenzeichnung komplett abgeholt.
Ja, und es wird auch ganz klassisch ermittelt, Menschen sind und werden miteinander verstrickt und wie es sich gehört, bleibt man als Lesender schön lange im Ungewissen.
Man merkt der Geschichte an, das man es mit einem erfahrenen Autor zu tut hat, mit einem, der es versteht in Bildern zu erzählen. Mich wundert, das nicht längst die großen Streamingdienste Schlange stehen um diese Geschichte zu verfilmen. Aber weiß, was nicht ist …
In jedem Fall, ist die Audiofassung dieses Falls ein Fest für alle Hörbuchfans.
Roman und Hörbuch sind bei Suhrkamp erschienen und die ungekürzte Lesung kann ich wärmstens empfehlen. Dank des empatischen Vortrags von Luise Georgi und Raschid Daniel Sidgi ist man über dreizehn Stunden lang mittendrin statt nur dabei. Ich sag’s nur …
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