Zwischen März und November 1934 beschäftigte sich die Weltöffentlichkeit mit einer Reihe von Vorfällen unter deutschen Aussteigern auf der Galapagosinsel Floreana, in deren Folge drei Menschen ihr Leben verloren und drei weitere spurlos verschwanden. Mit dem Ziel sich selbst zu versorgen und der Zivilisation den Rücken zu kehren, besiedelte Ende der Zwanziger Jahre eine Gruppe Aussteiger um den Berliner Arzt Friedrich Adolf Ritter die damals noch unbewohnte Insel. Es folgten weitere Zivilisationsflüchtlinge, darunter Eloise Wagner de Bousquet, die sich als österreichische Baronin ausgab und das Ehepaar Heinz und Margret Wittmer. Heinz Wittmer war zuvor im Kölner Bürgermeister-Sekretariat Konrad Adenauers angestellt gewesen.
Eingedenk der Tatsache, dass bis heute weder die Umstände der Todesfälle, noch die der Verschwundenen restlos aufgeklärt werden konnten, wurde munter spekuliert und gemutmaßt was wohl geschehen sein musste. Dies literarisch, nicht zuletzt waren es Journalisten, die für die Ereignisse den Begriff “Galapagos Affäre” prägten und filmisch. Ron Howard führte Regie in Eden und Jude Law und Daniel Brühl übernahmen Titelrollen, Hans Zimmer steuerte die Musik bei. Wenn Hollywood anklopft hat der Stoff was zu bieten, oder? Auf die Idee kam bereits etwas früher, um genau zu sein, 2022, Werner Köhler, er nannte seinen Roman:
Die dritte Quelle
Walschulen und der Sound von Guayaquil, Stadt am Rio Guayas in Ecuador. Tor zu den Stränden des Pazifiks und zu den Galapagosinseln.
Vorerst endet eine auf einem Frachtschiff begonnene Reise nach Galapagos hier. Ein Reisender, Harald Steen, hatte einen Plan gefasst, sofern man einen Plan ohne ein Ziel einen Plan nennen konnte, er wollte sein altes Leben in Deutschland hinter sich lassen und mit vierundsechzig Jahren neu anfangen.
Zwei Meter und vier Zentimeter war er groß, rothaarig, blass und klapperdürr, der Ex-Bankangestellte aus Hamburg-Eimsbüttel. Überall fiel er auf, löste Gekicher aus und unverhohlenes Fingerzeigen. Inmitten von Elend und Armut, die hier in den Straßen regierten.
Nicht nur die Kinder bettelten den großen Mann im Anzug an, auch die Erwachsenen hielten die Hand auf. Frühberentet war er, der auffällige Fremde, dem das Erbe, dass ihm seine Mutter hinterlassen hatte, diese Reise finanzierte. Er war reich, musste hier nicht bleiben, was suchte er? Warum wollte er auf Biegen und Brechen an einem bestimmten Tag weiterreisen auf eine ihrer Inseln. Nach Floreana.
Werner Köhler, geboren am 10. Januar 1956 in Trier, Buchhändler, Verleger, Autor, Ideengeber und Organisator des Literaturfestes lit.Cologne, enger Freund von Roger Willemsen, beweist mir einmal mehr, dass ich meinen Blick, respektive meine Ohren, nicht nur auf Neuerscheinungen ausrichten darf.
Sein Roman, schickte mich auf eine Spurensuche in die Vergangenheit, die er mit wunderbaren Naturbeschreibungen garniert, mit einem exotischen Schauplatz ausstattet, die ihm als Gerüst den Rücken stärken.
Zwischen erfundenen und wahren Geschichten ist ein Atlas die Startrampe für Reiseträume. Das jedenfalls möchte Harald Steen eine Zuhörende glauben machen. Es funktioniert und wir erleben eine Begegnung mit einer Augen- und Ohrenzeugin der Galapagos Affäre. Die hier mehr als nur präsent ist, aber lieber beschwiegen wird.
Ganze acht Bewohner hatte es seinerzeit auf der Insel. Man kannte sich, mochte sich aber nicht. Die eigenen Kinder schützen, das war es was Magret Wittmer getan hatte, am Ende der Dinge, als drei Menschen den Tod fanden. Damals. Sagt sie und er, Steen, sehe jemandem ähnlich, da ist sie sich sicher, nur wem, da zögert sie noch.
Im Hotel der Wittmers begegnet Steen ihr, der 95-jährigen Margret, der Mutter von Ingeborg Wittmer, die jetzt eines der beiden Hotels auf Floreana führte. Hier stieg er ab.
Black Beach und Post Office Bay. Sonnenstiche und Kletterpartien auf einen Vulkankegel. Riesenechsen mit kupferfarbener Haut. Norweger und eine Fischkonservenfabrik. Ihre Abfälle, die ins Meer entsorgt wurden, gründeten eine Haipopulation, die bis heute eng ihre Kreise um die Insel zog.
Sattes, undurchdringliches Grün, klare eiskalte Quellen, ein vulkanisches Paradies mit Schattenseiten. Als da wären Sandflöhe, die im schlimmsten Fall sogar Lähmungen verursachen können.
Immer wieder bringt sich Harald Steen an den Rand seiner körperlichen Grenzen und darüber hinaus. Zieht sich schwere Verletzungen zu. Gefährdet sein Leben. Als wäre er dem Wahnsinn verfallen. Jegliche Vernunft außer Acht lassend, pflügt er nebst Machete durch den Dschungel. Richtet sich in Höhlen ein. Verschwindet tagelang. Welche Idee ist da bloß in ihn gefahren?
Wir stecken in seinem Rucksack, schauen durch seine Augen, hören mit seinen Ohren, sind mittendrin statt nur dabei, derweil er umtriebig die Insel erkundet und Hinweise sammelt. Was war seinerzeit wirklich geschehen? Was davon steht in den Büchern, eines davon, die Sicht Magret Wittmers mit dem Titel “Postlagernd Floreana”, kann er nahezu auswendig aufsagen.
Die Geräusche einer tropischen Nacht. Ängstlich und zugleich fasziniert ist unser Held mit Taschenlampe unterwegs unter Baumriesen, um die Quelle spitzer Schreie auszumachen. Ich folge ihm in sicherer Entfernung und mit angehaltenem Atem. Wache auf, aus einem Albtraum, aufgeweckt vom Schreien wilder Esel.
Für mich schafft Werner Köhler ein Nature Writing at it’s Best. Geschichtliche Fakten wirken wie Salz und Pfeffer in seiner mit Abenteuern gesättigen Buchstabensuppe.
Ein Blitzschlag, ein Stück Holz im Bein. Warum Köhlers Hauptfigur sich mit Blasen an den Händen, übersät mit Mückenstichen und Flohbissen immer und immer wieder durch die Pampa schlägt, da draußen allein sein will, gab mir lange Rätsel auf. Wem oder was will er etwas beweisen und warum? Indem er das Leben der ersten Siedler auf Floreana kopiert und sich an dieser Situation abarbeitet, bis man ihn zusammenflicken muss. So geschunden wie er ist.
Warum will er körperlich nachempfinden können, wie es gewesen sein musste diese Inseln seinerzeit bewohnbar zu machen?
Was steckt dahinter wenn er in einem Nebensatz erwähnt, dass Dore Strauch, die Partnerin Dr. Friedrich Ritters, des ersten Siedler, als Schwangere die Insel verlassen hatte.
Hatte sie dieses Kind gesund zur Welt gebracht und was war aus ihm geworden? War Ritter der Vater? Waren sich beide doch am Ende ihrer Beziehung spinnefeind gewesen. So ist es überliefert.
Was zieht ihn, Harald Steen, wie ein Magnet an das Grab von Dr. Friedrich Ritter?
Meine Ahnung bestätigt sich, Werner Köhler deckt die Karten auf, in seinen Erzählzopf flechtet er Zitate anderer Literaten ein, wie z.B von Hermann Melville, dem Autor von Moby Dick. Diese Fakten mit Fiktion.
Eine geheimnisvolle Baronin mit ehrgeizigen Plänen trifft auf Dr. Ritter und beide sind von Beginn an so was von uneinig.
Was Harald Steen sucht, das weiß ich jetzt, aber verraten tue ich es nicht. Denn es würde euch die Entdeckerfreude schmälern.
Was für ein schöner Roman, wunderbar zu lesen (oder zu hören), wendungsreich und wechselhaft wie das Wetter. Die Hörbuchfassung kurzweilig und stimmlich fesselnd gestaltet. Da ist Frank Arnold ganz der Profi, und dass sich die Produktion nicht wie eine vom Fließband anfühlt, ist seiner Erfahrung und seinem Talent als Vorleser geschuldet. Er versteht es Köhlers Figuren nicht nur stimmlich Kontur zu geben, er gestaltet sie aus, macht sie nahbar. Mit all ihren Ecken, Kanten, Macken und Schrullen und da hat es so einige, glaubt mir.
Alle die ein Faible für historische Geschichten haben, die es gerne ein bisschen philosophisch mögen, sind hier goldrichtig. Exotisch und spannend hat man es hier endlich wieder einmal mit einer wirklich guten Abenteuergeschichte zu tun. Eine bei der auch die literarisch Interessierten auf ihre Kosten kommen.
Kein Anfang. Kein Ende, nur stete Wiederkehr. Was wartet am Ende der Welt, am Ende der Dinge?
Viel Freude Euch beim Entdecken dessen, was Harald Steen dort findet. Ob er sein Herz befreien kann, fragt ihr mich? Na gut, ich verrate Euch was: Ich für meinen Teil mochte nicht nur das Ende dieser Geschichte. Aber auch ihr Ende. Sehr sogar.
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