Das schöne Lächeln von Riambel (Priya Hein)

Mauritius. Vielleicht denkt man zuerst an seine berühmte Briefmarke und erst als zweites an den Muscovado. Den unter Feinschmeckern beliebten braunen, unraffinierten Zucker, den man hier noch gewinnt. Um 1500 von den Portugiesen entdeckt, übernahmen zunächst 1638 die Niederlande und importierten erstmals Sklaven um Zuckerrohr anzubauen. Aber erst unter französischer Herrschaft nahm die Zuckerindustrie auf Mauritius Fahrt auf und machte einige wenige Magnate sehr reich. Die, die im Zucker arbeiteten aber lebten vielfach in Armut, die Anzahl aus Afrika und Madagaskar verschleppter und versklavter Menschen wuchs rasant. Auch im später britischen Mauritius blieb der Zucker der Wirtschaftsmotor, nur schrittweise schaffte man ab 1833 die Sklaverei ab und stellte auf Lohnarbeit um. Den Herren des Zuckers wurden hohe Ausgleichsbeträge für den Verlust ihrer Sklaven gezahlt.

Wild und rau und schön. Die Südküste von Mauritius ist touristisch heute noch weniger erschlossen als der Rest der Insel, weiß aber genau damit zu punkten. Mit dem Strand von Riambel zum Beispiel. Der als einer ihrer schönsten gilt. Die Autorin Priya Hein ist auf Mauritius geboren, wo sie nach Jahren im Ausland auch heute wieder mit ihrer Familie lebt. Für ihr Debütmanuskript Riambel wurde sie 2021 mit dem Jean-Fanchette-Preis ausgezeichnet. 2023 wurde ihr Text veröffentlicht und der Gutkind Verlag, lieben Dank für dieses wunderschöne Besprechungsexemplar, hat sie jetzt ins Deutsche übertragen lassen. Der Auftrag ging an Mirjam Nuenning, die für Heins Geschichte einen empatisch aufwühlenden und kristallklaren Ton gefunden hat.

Das schöne Lächeln von Riambel von Priya Hein

Der Wind warf Blütenblätter wie Konfetti auf ihren Schulweg. Das Meer im Herzen, den Kopf und die Gedanken nicht dort wo sie hingehören, würde ihre Mama sagen, so war Noemi zu oft unterwegs.

Lieber wäre sie dort, statt auf dem Weg zum Unterricht. Im Meer, würde sich treiben lassen und frei sein. Für diesen einen Moment. Sich frei fühlen. Ihrem Elendsviertel entkommen, dem Hunger. Der Ungerechtigkeit.

Ihre Mama war Dienstmädchen. Arbeitete im Haus der reichsten Familie von Riambel und dafür sollten sie dankbar sein. Manchmal, brachte ihre Mama etwas von dort mit. Ausrangiertes, dem sie in ihrer Hütte eine neue Verwendung gaben und wenn auch selten, da schenkte sie sich eine Kleinigkeit selbst. Nein, ihre Mama stahl nicht, dafür würde sie ihre Arbeit verlieren, das konnte sie nicht riskieren, aber in ihrer Kitteltasche geriet ab und zu etwas hinein, das nicht gebraucht wurde. Der Rest einer kleinen Köstlichkeit.

Nicht selten half Noemi, schuftete wie heute einen ganzen langen Tag im Haus der De Grandbourgs für eine Party. Spülte bis tief in die Nacht Geschirr, den Bauch wund vor Hunger, bis sie es nicht mehr aushielt und heimlich die Reste von Tellern klaubte, sich einen Schluck Champagner aus einem halbgeleerten Glas stahl. Ganz trunken war sie dann vor Glück von soviel Köstlichkeit.

Mir tut das Herz weh wenn ich sie so erlebe und auch als sie erzählt das sie Angst hat. Angst, ihre große Schwester ganz zu verlieren. Weil ihr die Erinnerung an sie, an Marie, immer mehr zu entgleiten droht. Lange hatte sie Alpträume nach deren Tod. Missbraucht und zerschunden, hatte man sie in einem Waldstück gefunden. Wie weggeworfen lag sie da. Jetzt sah Noemi ihr Gesicht nur noch manchmal in einem Traum. Trug ein abgetragenes Kleid von ihr um sie noch zu spüren. Heute, auf den Knien an ihrem Grab hörte sie zum ersten Mal auch ihre Stimme in ihrem Kopf. Die sie aufforderte zu gehen. Riambel zu verlassen. Diesen verfluchten Ort.

“Viele Jahre lang wurde unsere Geschichte verdreht, genauso wie unsere Körper viele Jahre lang gepeinigt wurden.” Textzitat Priya Hein

Es sei kein Zufall, das viele der Aufzeichnungen aus der Kolonialzeit angeblich verloren seien, erklärte Ihnen ein Lehrer. Zu viel Grausamkeit stecke in ihnen. Man habe in ihnen dokumentiert, dass man ihre Vorfahren wie Vieh, nicht wie Menschen behandelt habe. Mit der Peitsche im Zaum gehalten. Kein Museum erinnere bis heute daran. Man deckte ein Tuch aus Schweigen über die Zeit der Sklaverei. Lange war das her, aber, sagte ihr Lehrer, Einstellungen änderten sich nicht schnell. Heute noch sprach man nicht mit Bediensteten. Madame, die Arbeitgeberin ihrer Mama verhielt sich so und man selbst durfte den Blick in ihrer Gegenwart nicht heben. Das und das Kreolisch, ihre Sprache, war ihnen geblieben und der Slum in dem sie wohnten. Ein Leben in einer Unterkunft wie zu der Zeit, als man ihre Vorfahren in Hütten hinter den feudalen Häusern ihrer Herrschaft hielt.

Priya Hein verrät in ihrem Vorwort, dass sie sich ihre einhundertsechzigseitige Geschichte im Mai 2020 an nur einem Wochenende, während der Black-Lives-Matter-Proteste, nach dem brutalen Mord an George Floyd, von der Seele geschrieben habe. Sie selbst hat als woman of colour und Migrantin, die mehr als dreißig Jahre vor ihrer Rückkehr nach Mauritius im Ausland gelebt hat, Rassismus am eigenen Leib erfahren und wollte ihre Stimme erheben. Wovon man ihr abriet, man forderte sie gar auf dankbarer zu sein und sich nicht zu beschweren.

Zu Schweigen war aber ihre Sache nicht und sie entschied, schreibend zu verarbeiten was sie umtrieb. Als Autorin von Kinderbüchern kennt sie sich mit kleinen Helden und Heldinnen aus, so war es wohl kein Zufall, das sie diese Perspektive gewählt hat und uns durch die Augen von Noemi, fünfzehn, auf die Spuren blicken lässt, die der Kolonialismus hinterlassen hat. In den Köpfen und Herzen.

Das tut sie teils drastisch, das Ergebnis einer Plantagenvergewaltigung, wie sie sie nennt, spricht zu uns. Darüber, dass sich diese Männer, denen alles gehörte, nahmen was immer sie begehrten. Vom Kind bis zur Frau. Mit Gewalt. Davon erzählt sie auch. Von Kindern, die einen hellen Ton unter der Haut hatten, die von ihren Vätern niemals anerkannt, eher fortgejagt wurden.

Andere Szenen sind zart und poetisch. Dann etwa, wenn sie Natur und Landschaft beschreibt, die Verbundenheit, Verwurzelung, die man deutlich hinter ihren Sätzen spüren kann.

Ich bin durch diese Seiten geflogen. Habe die Exotik genossen, den Duft leckerer Currys in der Nase. Habe mitgefühlt. Die Fäuste geballt und die Daumen gedrückt. Es als Hommage an Mauritius und seine Geschichte gelesen.

Zitate mauritischer Dichterinnen und Dichter, Lieder, kreolische Rezepte und Gedanken.

Ungewöhnlich, aufwühlend und mitreißend stellt Priya Hein die exotische Schönheit dieser Insel gegen brutalen Rassismus und bittere Armut. Fragmentarisch und modern erzählt sie. Wörter stehen bei ihr schon einmal untereinander, nicht nebeneinander, hinter einem jeden ein Punkt, die Pausen, die so beim Lesen entstehen, wirken wie ein Verstärker. Für ihre Wucht. Besonders wenn von der Selbstermächtigung einiger mutiger kreolischer Frauen zur Zeit der Zuckerbarone die Rede ist. Noemi will mehr erfahren. Mehr wissen. Davon und von ihren Wurzeln. Bis plötzlich nichts mehr eine Rolle spielt und ein Mann ihr junges Leben verspielt.

Diese schmale Geschichte ist viele und so clever konstruiert. Sie vereint eine Vielzahl von Stimmen, die in Noemi klingen. Vergangene und Gegenwärtige. Solche, die brutal erstickt wurden und die, denen leise zu wenig ist. Auf der Suche nach ihrer eigenen bin ich ihr gern gefolgt, habe mit ihr gehofft. 

Habe sie für ihr weit offenes Herz gemocht und wie sie ihre Welt mit einer Wachsamkeit durchstreift, wie sie nicht vielen gegeben ist. Dann dieser Kummer. Als sich wiederholt was vor der Zeit schon galt. Die Privilegierten und die Männer nehmen sich was sie wollen, nur die Mittel scheinen jetzt andere zu sein und was war sie naiv. Sie hatte auf ihrem Platz zu bleiben. Auch jetzt.

Vielleicht steckt das französische “lächeln” im Namen dieses Ortes, Riambel. Noemi hat seine Silben zerlegt und es immer geglaubt. Bis zum Schluß. Der einer ist, den man bang erlebt und unendlich traurig. Ach, Noemi!

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