Das Dorf in den roten Wäldern (Louise Penny)

Donnerstag, 13.06.2019

Höre oder lese ich „Kanada“, denke ich sofort an Braunbären und Lachse, glasklares Wasser, schneebedeckte Gipfel und dichte dunkle Wälder. An Gletscher, Fjorde und pulsierende Städte. An den Indian Summer, flammend und leuchtend rot.

Für mich ist das noch immer ein Sehnsuchtsziel. Wer weiß, vielleicht führt mich ja mein Weg eines Tag dort hin und über eine einsame Landstraße, mehr durch Zufall, stoße ich dann gegebenenfalls, eventuell auf einen Ort, der so ähnlich ist wie dieser hier. Aber bitte, er darf wirklich nur so ähnlich sein, denn über eine Leiche im Wald zur Begrüßung, würde ich dann doch nicht stolpern wollen …

Das Dorf in den roten Wäldern (Louise Penny)

Eine Leiche zwischen buntem, raschelndem Ahornlaub. Ausgestreckt und starr sind Arme und Beine, als hätte man einen Schnee-Engel in der Bewegung eingefroren. Die Tote ist sechsundsiebzig Jahre alt und im angrenzenden Örtchen als ehemalige Dorfschullehrerin wohlbekannt. Und so schlägt dieser Leichenfund im nahe gelegenen Three Pines ein wie eine Bombe. Der eigens aus Québec angereiste Chief Inspector Armand Gamache lässt alsbald den Argwohn unter den Bewohnern blühen. Mit Argus-Augen verfolgt und bewertet man seine Methoden. Attackiert ihn auch schon mal mit dem Stock, wird frech und stellt klar, dass man von seiner Vorgehensweise u.a. vom Kaminfeuer aus zu ermitteln gar nichts hält.

Man selbst ist da nämlich schon einen Schritt weiter. Eine Ein- und Austrittswunde so groß wie ein Zeigefingerabdruck? Auf den ersten Blick nicht gleich zu erkennen, die Tote hatte nicht viel Blut verloren, das kann doch nur ein Jagdunfall sein, verursacht durch Pfeil und Bogen, zumal ja auch gerade Saison ist. Dumm war zugegeben, dass der Pfeil verschwunden war und offenbar auch keine Spuren hinterlassen hatte. Weder an der Leiche, noch in ihrem im Umfeld.

Ja, der Oktober war schon die beste Jahreszeit um hierher zu kommen, denn jetzt zeigten sich die Ahorn-Bäume von ihrer schönsten Seite. In allen Nuancen von Rot leuchten ihre Blätter und umgrenzten das Dorf wie eine Krone. Aber wie es schien, war es wohl auch die gefährlichste Zeit hier …

Die Erben warten schon, während die Freunde noch trauern. Vielmehr die Erbin der toten Jane verhinderte kurzer Hand, das mittels einer einstweiligen Verfügung, die Polizei das Haus der Toten durchsuchen durfte. Das fand nicht nur ich merkwürdig?!

Was verbirgt sich hinter der Küchentür von Jane Neal? Schon zu ihren Lebzeiten hatte niemand aus dem Ort ihr Haus je wirklich betreten, über den Windfang und die Küche hinaus war nicht einmal ihre beste Freundin Clara gekommen …  

Louise Penny, geb. 01. Juli 1958, Journalistin und Schriftstellerin ist mit weltweit über sechs Millionen verkauften Büchern die erfolgreichste Krimiautorin Kanadas. Für ihren Erstlingsroman, „Denn alle tragen Schuld“  der 2006 erschien wurde sie mehrfach preisausgezeichnet, dies nicht nur in Kanada. In einer Neuauflage wurde dieser Ende 2018 unter dem Titel „Das Dorf in den roten Wäldern“ veröffentlicht. Im Frühjahr 2019 erschien ein weiterer Band, der mittlerweile dreizehnte, der Gamache-Reihe in Deutschland unter dem Titel „Hinter den drei Kiefern“. Nicht alle Bände sind in deutscher Übersetzung erhältlich. Wer nach diesem Kennenlernen weiterlesen möchte kommt in Deutsch bis Band vier. Dieser hier und alle ihre danach veröffentlichten Kriminalromane spielen im idyllischen Three Pines, eine Autostunde von Montréal entfernt. Ich bin, durch positive Besprechungen angelockt, und mit der Aussicht auf einen Ausflug in ein Traumland, erwartungsfroh in die Geschichte gestartet.

Was zunächst noch so aussieht als hätten nur zufällig zwei alte Frauen im Ort in zeitlich rascher Folge hintereinander das Zeitliche gesegnet, entwickelt sich nach und nach zu einem handfesten Kriminalfall. Dieses nach und nach Aufdecken der Karten macht für mich den Reiz der Geschichte aus. Hier geht es nicht um Spannung zum Nägelkauen, sondern eher um das was in jedermanns Alltag Einzug halten könnte. Ob im Affekt oder mit Vorsatz ausgeführt gibt ein unnatürlicher Tod immer Anlass für Verdächtigungen, Spekulationen und Gerüchte. Wehe dem, der sich dann nicht mit einem guten Alibi zurücklehnen kann.

Die Autorin hat hier eine gemütliche, fast entspannte Szenerie erschaffen. Mit reichlich Spleens und Marotten hat sie ihre liebenswerten Figuren versehen. Herrschaftlich anmutende Häuser, aus rotem Backstein oder weiß gestrichenem Holz, verziert mit Gauben und Veranden, geben dem zweihundert Jahre alten Örtchen sein Gesicht. Schaukelstühle erinnern an laue Sommerabende. Nur vier Straßen zweigen sternförmig von seinem Ortskern ab. Malerisch mutet das an, hier müsste die Welt doch eigentlich noch in Ordnung sein. Hier bin ich gerne in Gedanken umher spaziert, wollte hinter die Fassaden einen neugierigen Blick werfen.

Aber etwas lauert hier, etwas das sich anfühlt wie eine alltägliche Bosheit, eine, die wir alle schon einmal kennengelernt haben. Hinweise sorgen für Wendungen, diese sorgen für Überraschungen im Plott. So hört man dann plötzlich von Canabis Plantagen die in dieser vermeintlichen Idylle fest in der Hand der Hells Angels sind. Neue Kolleginnen im Team der Ermittler entpuppen sich , nicht nur als nicht teamfähig, sondern wirken auch noch wie eine Zeitbombe. Hochsitze mit bester Aussicht lassen Erkenntnisse reifen und Jugendliche jenseits elterlichen Zugriffs zeigen ihr wahres Gesicht.

Pennys Inspector Gamache nimmt mich mit. Er ist ein aufmerksamer Beobachter, guter Zuhörer, immer mit dem Blick darauf unterwegs welche Entscheidungen die Menschen treffen, die ihn umgeben. Mit Tweed-Jackett und Flanellhose wirkt er wie ein in Ehren ergrauter Gutsherr. Der Franko-Kanadier, dessen Ermittlungserfolge man auch in der Zeitung nachlesen kann, hat sich nach all den Jahren im Dienst noch immer nicht an die Mord-Opfer gewöhnt, die an den Tatorten auf ihn warten. Beinahe widerstrebend nimmt er jeweils die losen Fäden, die er dort findet in die Hand um sich an ihnen entlang zum Täter zu hangeln.

Ich werfe mit ihm und seinem Team einen Blick in Keller die anmuten wie Frankenstein‘s Werkstatt oder wie ein Schlupfloch in die Vergangenheit und fördere antiquarische Schätze zutage. In einem Ort, der ohne Polizei auskommt. Die ordnende Kraft ist hier die freiwillige Feuerwehr und Ruth deren Chefin, die furchteinflößender ist als jedes Feuer …

Ein buntes Völkchen versammelt Penny in der Nähe von Williamsburg. Von seiner Holzfäller-Vergangenheit erfahren wir, im Showdown fordert sogar ein Hurrikan Einlass in der Nacht. Von Bären in der Brunftzeit handeln Erzählungen hier in Olivier‘s Bistro, dem kommunikativen Mittelpunkt des Ortes.

Von sich selbst sagt der Gastgeber Olivier, er sei eine „schwere Tunte“, und auch deshalb sei er von Montréal mitsamt seiner Antiquitäten hierher gezogen, um weiteren Stockschlägen und Anfeindungen zu entgehen. Landflucht sozusagen. Bei ihm, wo jeder Gegenstand ein Etikett hat, weil er auch gekauft werden darf, trifft man sich zum gemeinsamen „puzzeln“, doziert über Stockrosen, oder tauscht sie gegen Indianernesseln. Man philosophiert über Oscar Wilde, von dem überliefert ist, Gewissen und Feigheit seien das Gleiche, das was uns davon abhielte Schlimmes zu tun, sei nur die Angst erwischt zu werden.

Wenn das stimmte, musste der Täter, oder die Täterin, die Jane Neal umgebracht hatten, sich wohl sehr, sehr sicher fühlen, das vielleicht sogar in ihrer Mitte …

Es liest Hans-Werner Meyer und an ihn musste ich mich erst ein wenig gewöhnen. Er dehnt seine Sätze etwas und seine Betonung fällt dabei häufig auf das letzte Wort, was es schwerer wiegen lässt und manchmal auch bedeutsamer macht als es ist. Mit leicht erhöhter Hörgeschwindigkeit und dem Einlassen auf den Inhalt kam ich dann gut zurecht. Als besonders hörenswert hervorheben, kann ich diese Fassung allerdings nicht.

Es geht hier auch in der Handlung sehr gemächlich zu, was mir in Summe für einen Krimi zu viele Längen brachte. Der Charme des Settings und seiner Bewohner haben auch mir gefallen, reichen aber nicht aus, damit ich an dieser Reihe dran bleibe. Irgendetwas fehlt mir, das gewisse Etwas würde ich sagen …

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