Wenn Du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten (Anna Maschik)

Zimperlich darf man nicht sein. Startet man mit in diese Geschichte, denn sie führt uns zu einer Schlachtbank. Wo eine der Hauptfiguren mit einem steht Schaf um den tödlichen Schnitt zu setzen. Sachlich und präzise erzählt uns ihre Autorin dann was folgt. Kopfüber hängt es am Ende da, besagtes Schaf, um auszubluten und seiner Schlächterin schmerzen Rücken und Hände.

Wenn du es heimlich machen willst musst du die Schafe töten. Sie sterben still. Schweine quieken laut.“ Das sagt sie auch und ich verstehe. Der Titel ihres Romans kommt nicht von ungefähr.

Am Saum der Nordsee, zwischen Aukoppeln, Buschwindröschen und Wattenmeer auf einem alten Bauernhof beginnt er. Der alte Sumpfwald, der einmal hier wuchs ist gerodet. Aus seinem Holz hat man die Häuser des Dorfes gefertigt in das uns die Autorin einlädt. Viehweiden haben hier jetzt ihren Platz gefunden. Zumeist findet man Schafe auf ihnen, weiß sprenkelt ihre Wolle das Grün.

Eine Hebamme tritt aus der Tür. Sie hat gerade ein Kind geholt, dreimal war die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt. Zwei Straßen, ein Kirchturm, ein Amtsgebäude und eine Mühle am Ortsrand. Henrike ist jenes Kind, das älteste von fünf Geschwistern. Sie wird ihre Mutter verlieren, da ist sie dreizehn Jahre alt. In der Folge hat sie sich zu kümmern. Um die jüngeren Brüder und den Vater, der das sprechen nach dem Tod der Mutter verlernt hat. Sie ist die Urgroßmutter unserer Erzählerin und darf ab jetzt nicht mehr zur Schule. Auch vorher durfte sie das nur im Winter, im Sommer lernte sie von der Mutter. Das Räuchern, Pökeln, Marmelade kochen, Wurstmachen, Hustentinktur brauen und Brot backen. Sie weiß, wie man ein Fieber senkt und Wäsche kocht. Sie haushaltet, führt mit dem Vater zusammen den Hof. Kann ihnen allen aber trotzdem keine Mutter sein.

Der Vater muss fort. In den Krieg und er fällt. Henrike bleibt mit den Brüdern allein zurück. Bis auch die Brüder gehen, einer nach dem anderen. Sie wird heiraten müssen um weiter zu machen, wird tätig, lernt Georg kennen. Der Kaiser hat an diesem Tag Geburtstag. Dreimal wird Georg in ihrer Ehe versuchen sich zu erhängen.

Henrike bringt ein erstes Kind zur Welt. Ein Kind, das nicht sterben und das auch nicht wach sein will. Sie nennen es Benedikt. Alle sagen, es sei verwunschen. Für seine Mutter ist es etwas besonderes. Trotz aller Widerstände, auch der des Pfarrers, hält sie an ihm fest.

Mit kurzen, eingeworfenen, messerscharfen Sätzen zielt Anna Maschik auf meine Magengrube. Trifft und erschüttert mich. Sieht auf aus der Vergangenheit. Wie Atemholen fühlt sich das an.

Ich verneige mich bereits nach den ersten dieser zweihundertdreißig Seiten vor der Fülle die sie bergen. Gleich vier Generationen umspannen sie. Henrike, Hilde, Miriam und Alma, das ist ihre Geschichte und Alma wird sie uns erzählen, sie ist Miriams Tochter, die wiederum die Tochter von Hilde ist, der Tochter von Henrike. Die auch die Mutter ist von Benedikt. Der einem Märchen gleich fünfzehn Jahre schläft um dann unerwartet zu erwachen.

Es hat reichlich starke Frauen in ihrem Text, die wissen wie man mit dem Leben umgeht und wie Anna Maschik das macht, uns in aller Kürze so viel zu geben, es ist unglaublich! Worauf dürfen wir uns da von ihr noch freuen? Nomiert hat man sie und diese Geschichte für das beste österreichische Debüt, ich ziehe meinen imaginären Hut und drücke ihr fest die Daumen.

Ihr und der wunderschönen und poetischen Grundmelancholie, die diesen Text durchzieht. Ihren Aufzählungen, mittels derer sie ihn durchbricht, sie habe ich geliebt. Das kommt so auf den Punkt. Andere verbrauchen für Vergleichbares ein Vielfaches an Worten und Seiten.

Maschik setzt auf kurze Kapitel, schenkt uns so ein atemlos begeisterndes Leseerlebnis. Sehr gerne hätte ich einen Nachschlag gehabt, das obwohl mir nichts gefehlt hat. Das klingt verrückt und widersprüchlich meint ihr? Erlebt es selbst und am eigenen Leseherzen. An eben jenes möchte ich Euch diese Autorin legen:

Anna Maschik, wurde 1995 in Wien geboren, studierte Sprachkunst, Literarisches Schreiben und Vergleichende Literaturwissenschaften und unterrichtet an einem Wiener Gymnasium Deutsch und Spanisch. Der Luchterhand Literaturverlag hat diesen ihren ersten Roman veröffentlicht und ich darf mich für ein Besprechungsexemplar bedanken. Lyrik und Kurzprosa hat Anna Maschik Verlagsangaben zufolge bereits veröffentlicht. Gedichte von ihr würde ich tatsächlich sehr gerne noch lesen. Erschienen sind diese allerdings bislang nur in Literaturzeitschriften. Vielleicht findet sich auch hierfür bald ein Verlag? Das fände ich wunderbar.

Weil durch Anna Maschiks Zeilen weht ein frischer, moderner Wind und ich mochte das sehr, die experimentelle Wortjonglage, die sich so gut ausgeht. Den Aufbau der Geschichte, ihren lockeren und doch berührenden Ton, wie sie mit und durch Verknappung so viel verrät. Wie allein ihr Titel einlädt und neugierig macht sie aufzuschlagen. 

Eine sehr empfehlenswerte, 2 Stunden und 51 Minuten umfassende Hörbuchfassung ist von ihrer Geschichte bei Der Hörverlag erschienen. Es liest Julia Franz Richter. Von der vielfach gelobten österreichischen Theaterschauspielerin ist aktuell ein Film in den Kinos. Für ihre Darstellung einer Berliner Notärztin wird sie schon vor Kinostart als brilliant gefeiert. Welcome Home Baby, so der Titel, habe ich mir sofort notiert, so gerne habe ich hier zugehört. Richter nimmt sich zurück, klingt etwas spröde, was ich ungemein stimmig fand. Denn wortkarg sind die meisten hier, Krieg und Frontdienst lassen sie oft ganz verstummen.

Irgendwann jedoch steht sie jedes Mal an der Küste, hält das Gesicht in den Wind und blickt ganz still in die Ferne. Die Landschaft ist ein großer schlafender Körper, an den sie sich mit Blicken schmiegen kann, und das Meer ist seine Atmung.“ Textzitat Anna Maschik

Diese schmale dichte Geschichte ist auch eine historische. Eine, die von Heimweh und von Kindern die ihren Eltern fremd bleiben erzählt. Von Monstern untern dem Bett. Von Vorfahren, Wurzeln und von einem Leben, das selbst für die kleinsten Kinder von harter körperlicher Arbeit geprägt ist. In der Landwirtschaft und mit ihr zu leben bedeutete in der Zeit zwischen den Weltkriegen genau das. Alles hatte hinter der Heumahd, der Erntezeit zurückzustehen, auch die Schule und das Lernen.

Nicht gegen jeden Schmerz ist ein Kraut gewachsen. Die Kinder in ihrer Geschichte die nicht gewollt sind lernen das schnell und ich fühle mit Ihnen.

Für mich wirbt dieser Roman um ein tieferes Verständnis dafür warum Menschen handeln wie sie handeln. Es geht um die Verluste die wir teilen um das Alleinezurückbleiben ebenso wie um das kleine Glück, dass wir aus dem Miteinander erinnern. Das kann ein ausgetopfter Weihnachtsbaum sein oder auch ein Garten den man gemeinsam belebt hat. Ein schöner, ein tröstlicher Gedanke erfüllt mich als ich am Ende der Geschichte ankomme. In vielem Handeln liegt ein Wohlwollen. Manchmal erkennen wir es nur nicht auf den ersten Blick. Danke für diese Leseperle, liebe Anna Maschik! 

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