Das Haus in dem Gudelia stirbt (Thomas Knüwer)

Diese Geschichte hatte ich gewaltig unterschätzt. Dabei hätte ich mir denken können, dass Sie es faustdick hinter den Silben haben muss, gilt sie doch als einer der besten Krimis 2024, wurde mit dem Deutschen Krimipreis 2024 ausgezeichnet, nominiert für den Glauser Preis und sie ist, was unglaublich ist, ein Debüt. Sein Debütroman:

Thomas Knüwer hat sie geschrieben. Der 1983 geborene, studierte Grafikdesigner, arbeitet seit rund zwanzig Jahren als Geschäftsführer einer internationalen Kreativgruppe in der Kommunikationsbranche. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und jetzt schreibt er also auch Romane. Sein Erstling sprengt die Genregrenzen und entfernt sich für mich davon, ein Krimi zu sein.

Das Haus in dem Gudelia stirbt von Thomas Knüwer

Schuld schwimmt oben.“ (Textzitat Knüwer)

Das weiß Gudelia, einundachtzig Jahre, verwitwet, wohnhaft in Unterlingen. Einem Dorf im Badischen. Das gerade untergeht und zwar buchstäblich. Ein Starkregen, so einer wie der, der seinerzeit das Ahrtal geflutet hat, lässt den sonst so friedlichen Murbach zu einem alles verschlingenden Ungeheuer werden. Der Ort wird evakuiert, aber die einundachtzigjährige Gudelia weigert sich ihr Siedlungshäuschen zu verlassen. Von ihrem Fenster im Dachgeschoß aus, das Zimmer nur noch von einer Grabkerze beleuchtet, der Strom ist längst weg, beobachtet sie zunächst wie die Nachbarn und ihre Untermieter, mit gepackten Koffern gehen und dann was die Flut vorbeitreibt. Autos, Unrat, tote Schweine und dann vier mit Kabelbinder gefesselte Hände. Sie ragen kurz auf, aus der braunen Flut.

Linear erzählen ist etwas für die Anderen. Nicht für Thomas Knüwer. Ungemein geschickt konstruiert er seine Handlung und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole. Diese Geschichte ist mehr als ein Kriminalroman. Sie lebt von ihrer Hauptfigur. Diese Gudelia ist unglaublich und hat Klassikerpotenzial. Stark selbstbestimmt und gottesfürchtig. Durchsetzungsstark und mit einem klaren Ziel vor Augen.

Auf drei Erzählebenen stützt sich Knüwers Geschichte wie auf Grundpfeiler. Auf 2024, das Jahr der Flut, 1998 als sich Gudelia Krohl von ihrem alkoholkranken Mann Heinz trennt und auf 1984. In diesem Jahr findet sie ihren fünfzehnjährigen Sohn Nico nachts tot im Straßengraben. Ein namenloser Kummer und heiliger Zorn wüten seit dem in ihr. Ein Unfall, der offenbar und für sie keiner ist, hat dieses junge Leben zu früh beendet.

Es geht um nichts weniger als um Leben und Tod in diesem Roman und um ein Geheimnis, dass die Mauern von Gudelias Häuschens hüten. Dieses Haus, für das sie alles getan hat. Relativ früh in der Geschichte beschleicht mich eine Ahnung wie es und was gewesen sein könnte, als die Karten dann auf dem Tisch liegen, bin ich überrascht und erschüttert. Ausmaß und Tragweite dessen was geschehen ist, wie es in Gudelia aussehen muss, fassen mich an …

Heinz, ihr Mann, verdiente den Familienunterhalt auf Montage war viel unterwegs und ab irgendwann anschließend meist noch auf Sauftour. Gudelia verdient als Putzfrau dazu, wenn sie sich nicht um Nico kümmert, der wenn man ehrlich ist, keine Freunde hat und nur selten aus dem Haus geht. 

Dann dieses Dorffest, Gudelia hatte ihn ermutigt hin zu gehen, dass sie ihn in dieser Nacht verlieren würde, mit Edding steht „Schwuchtel“ auf seinem Unterarm geschrieben, als sie ihn aufhebt. Ihr Sohn atmet da bereits nicht mehr.

Die Flut kommt Jahre danach und auf dem Wasser treibt die Wahrheit. Man meint mit Gummistiefeln mittendrin in dieser Flut zu stehen und als das Wasser wieder fort ist, watet man knöcheltief gemeinsam mit einer vom Alter gebeugten Gudelia durch den Schlamm. Schaut fassungslos auf das Ausmaß der Zerstörung.

Mittels einer durchgängigen Ich-Erzählperspektive erleben wir alles durch ihre Augen. Hat sie Schuld auf sich geladen? Was ist dran an den Vorwürfen ihres Mannes, die er ihr im Suff an den Kopf wirft?

Immer wieder bemerke ich wie meine Augenbrauen nach oben schnellen. Thomas Knüwer wirft Sätze ein, die Licht ins Dunkel bringen, die mich aufschrecken und überrumpeln.

Diese Gudelia! Plünderer bekämpft sie mit Fäkalien. Was sie getan hat wiegt schwer und doch kann ich sie verstehen als sie mir endlich davon erzählt. Befürchtet hatte ich das schon, was sie gesteht, diese Verstrickung allerdings dann doch nicht erwartet. Von einer Erpressung ist die Rede und von einer Verletzung, die das Leben kosten kann. Geschont wird hier niemand.

Was aber hat sie in Gänze getan? Was tut sie da? Jetzt. Eben. Heute. Die Luft angehalten habe ich während ich mich in der Geschichte weiter vorangetastet habe. Darum also hütet sie dieses Haus, ich habe es geahnt und trotzdem noch immer keinen Schimmer, wie alles mit allem wirklich zusammenhängt. Wie kriegt der Roman jetzt bitte die Kurve zu seinem Prolog?

Furios ist er erzählt. Tragisch und traurig, aufwühlend und spannend und ich lese bei einem Rezensenten, bei wem weiß ich nicht mehr, von einem Vergleich mit Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Ja, da gehe ich mit. Rache ist ein süßes Gift.

Aber das Leben von Gudelia hat mehr Risse als diese Mauer und als sie jetzt auf die Leiter steigt um mit einem Tortenheber und Schlamm versucht zu stopfen was da aufklafft, was im Verborgenen bleiben soll, da pfeife ich durch die Zähne. 

Wow! Durch die immer wieder wechselnden Rückblenden hält sich Spannung und Ungewissheit bis zuletzt. Bis zum letzten Punkt. Wie Thomas Knüver die Verheerungen dieser Flut mit dem Schicksal zweier Familien verbindet, wie er einen Prolog voranstellt, der einen krachend in seiner Geschichte einschlagen lässt, Hut ab dafür!

Ich für meinen Teil freue mich jetzt auf mehr von ihm und empfehle allen sehr gerne, die sonst nicht zu einem Krimi greifen Gudelia kennenzulernen. Ihr werdet sie so schnell nicht wieder vergessen. Versprochen und wenn es nach mir geht, dann hört bitte diese Geschichte. Kaja Sesterhenn liest sie in der ungekürzten Hörbuch-Fassung so grandlios und empathisch. Ich fand’s zum Niederknien.

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