Die Tiefsee. Eine Wunderwelt, die sich uns bis heute nicht erschließt. Wir erschüttern sie durch Bohrungen, torpedieren sie mit Plastik. Jahr für Jahr landen laut WWF 4,8 – 12,7 Millionen Tonnen Plastik in unseren Meeren! In jedem Quadratkilometer schwimmen mittlerweile hunderttausende Teile Plastikmüll. Diese zersetzen sich nur sehr langsam vollständig und zerfallen in nur immer kleinere Teile. Die mischen sich mit dem Sand der Strände, werden von Meerestieren für Plankton gehalten, oder Plastiktüten werden mit Quallen verwechselt und gefressen. Fische, die so gefüttert werden, landen auf unsereren Tellern und auch wir nehmen Mikroplastik auf. Bei etwa 50% der im Mittelmeer lebenden Fische findet sich Plastik im Körper und bei 80% der Fischlarven in den Flussmündungen der EU.
Forscher kennen mittlerweile fünf riesige Müllstrudel, in denen sich Plastik sammelt. Der größte von Ihnen, ist der Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik. Mehrfach lese ich, dieser ist mittlerweile ungefähr viereinhalb Mal so groß wie Deutschland. Demnach ist im Pazifischen Ozean, dem Stillen wie er auch heißt, die Müllkonzentration am höchsten. Hierher entführt uns der Roman, den ich heute mitgebracht habe auch und man landet gleich zu Beginn auf Makatea unweit des Muroroa Atolls. Dessen Name uns durch ganz andere Vorkommnisse haften geblieben ist …
Das grosse Spiel von Richard Powers
Vier Milliarden Jahre lang rollt die Brandung hier an Land. Die des Pazifiks. Des größten unserer Ozeane. Ein Drittel unseres Planeten bedeckt er.
Eine Phosphat-Mine sorgte hier um 1900 dafür, dass die Insel auf deren Sand wir stehen, von Fremden geflutet wurde, das Unternehmer einst wie Raubtiere eingefallen sind. Die meisten von ihnen kamen aus Australien. Dieser Tage liegt die Mine brach und die Insel kämpft, um sich buchstäblich über Wasser zu halten.
Außer einigen “Richkids”, die ab und an zum Klettern an den steilen Klippen anladen und um die Geisterstädte zu bewundern, die das Minenleben ihnen hinterlassen hatte, tat sich nichts. Bis heute.
Ein amerikanisches Konsortium hat ein Angebot vorgelegt. Will ihren Hafen pachten oder kaufen und bauen. Eine autonome schwimmende Stadt, soll entstehen. Willkommen in unserer Gegenwart, dieses Projekt soll in die Zukunft weisen.
Richard Powers, geboren am 18. Juni 1957 im US Bundesstaat Illinois, aufgewachsen unter anderem in Bangkok, wird von vielen als Meistererzähler gefeiert. Powers lebt in den Great Smokey Mountains und veröffentlicht regelmäßig. Auf seinen vielbeachteten Roman <Der Klang der Zeit> aus dem Jahr 2002, folgte 2006 <Das Echo der Erinnerung>, der mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. 2019 erhielt er den Pulitzer Preis für <Die Wurzeln des Lebens>. 2021 erschien sein Roman <Erstaunen>, mit dem er sich auf die Shortlist des Booker Prizes und auf die Longlist für den National Book Award schrieb. Die Naturwissenschaften und die Philosophie sind die zentralen Themen seines Schreibens. Wow und ich habe bislang noch nichts von ihm gelesen?!
Zeit das zu ändern, mit dieser Geschichte von ihm, die im englischen Original den Titel Playground trägt. Wer sie liest erfährt, dies ist ein Spiel und der Name eines Computernetzwerkes, das einer seiner Helden im Roman entwickelt. Wunderbar stimmig hat Eva Bonné den Titel mit Das grosse Spiel übersetzt und ihm damit eine Doppeldeutigkeit gegeben, die der Geschichte sehr gut steht. Das Spiel des Lebens, ging mir assoziativ durch den Kopf. Vielstimmig und vielschichtig erzählt, umfasst Powers aktueller Roman 512 Seiten und in der ungekürzten Hörbuchfassung, die empathisch gelesen von Heike Warmuth und Richard Barenberg mit prall gefüllten vierzehn Stunden Hörzeit aufwartet.
Auf zwei Erzählebenen verbindet Richard Powers in Das grosse Spiel das Leben zweier Hochbegabter mit den unterschiedlichsten Befähigungen. Das von Rafi Young und das von Todd Keane. Rafi liest, dichtet saugt Wissen auf und Todd programmiert, entwickelt ein Spiel: Playground.
Todd wird am Ende märchenhaft reich sein. Soviel sei verraten. Die Idee seines Freundes Rafi, hat er dafür genutzt. Wir lernen ihn kennen, am Ende seines Weges, unheilbar erkrank. Er leidet an Lewy-Body-Demenz, auch Lewy-Körperchen-Demenz genannt (nie zuvor davon gehört!), eine Krankheit, die ähnlich wie Alzheimer durch kleine Proteineinschlüsse in den Nervenzellen der Großhirnrinde ausgelöst wird. Sie erwischt Powers kinderlosen Ich-Erzähler eiskalt und mit sich verschlimmernden Symptomen.
Schwimmende, staatenlose Städte, tanzende Erzählerinnen, alte Götter.
Ein Zeitsprung führt uns in die 50ziger Jahre. Eine junge Frau, tauchbegeistert, studiert, kämpft um Anerkennung und gewinnt. Ist monatelang allein unter Männern unterwegs auf einem Expeditionsschiff in der Südsee.
Erhält zwanzig Jahre später das Angebot einer großen Zeitschrift. Es soll eine Fotoreportage werden, mit ihr und über sie. Tauchen soll sie nach einem im Krieg gesunkenen Schiff. Ihre Akademiker Kollegen rümpfen die Nase eingedenk dieses Kommerzes. Typisch, stempeln sie ihr auf. Wird sie trotzdem annehmen? Blindgängern und austretenden Giftstoffen trotzen? Sich von Haien umzingeln lassen?
Sie tut es und die Beschreibung dieser Tauchgänge, die Besuche von Fischkinderstuben, ihre bizarre Schönheit haben es mir besonders angetan. In der Geschichte nutzt sie diesen Auftrag für die Entstehung eines eigenen Buches, das sie und ihre Forschung unsterblich machen wird.
Schwarze Korallen umranken Einschusslöcher, silberfarbene Schwämme, vielfarbige, teils gläserne Fischkörper. Wesen des Lichts im Element der Dunkelheit.
Diese stille Unterwasserwelt porträtiert Richard Powers meisterlich während er das Bild einer starken, selbstbestimmten Frau zeichnet. Evelyne Beaulieu, diese seine Figur zeichnete er nach einem realen Vorbild, dem von Dr. Sylvia Earle, wie er in einem Nachwort verrät.
Seine Eve wirft Powers als Kind mit zwei Tauchflaschen auf dem Rücken ins Meer, gründet damit in ihr eine Leidenschaft für das Leben unter Wasser, die sie fortan unbeirrt ihren Weg gehen lässt.
Die Intensität mit der Powers sein Personal ausgestaltet, die Detailgenauigkeit seiner Beobachtungen haben mir sehr gefallen. Die Mischung seiner Themen, sein Blick auf eine Freundschaft die zerfällt, weil das Vermögen zu Verzeihen fehlt ebenfalls.
Das Bild wirtschaftlich Mächtiger, von ihrer zerstörerischen Kraft, die auf Tradition, Glauben und Überzeugungen einer indigenen Gemeinschaft pfeifen. Ein Bild davon, was Bildung vermag. Zusammenhalt und Aufklärung, bereitet Powers ungemein unterhaltsam auf, textet unvorhersehbar. Als Lesende vermag man nicht zu sagen, wohin diese Geschichte steuert, so geschickt ist sie geplottet und das macht sie fesselnd.
Eine Partie Go kann keine KI gewinnen. Das war einmal. Daten sind das neue Gold. Kommentare verraten über die, die sie abgeben mehr, als sie preisgeben wollen. Algorithmen erkennen Muster, die der Mensch übersieht. Schöne neue Welt.
Eine die flankiert wird von einem Rochen-Ballet, Knallkrebsen, Grundeln und Walhaien. Leuchtenden Quallen mit tausenden Tentakeln. So viele Arten sind noch immer unentdeckt, so viele Mangrovenwälder mittlerweile verbaut, und die Wassertemperatur der Meere steigt kontinuierlich an. Ein Buch, das tausende Tauchgänge katalogisiert, das ihre, Evelynes, Liebe für die Ozeane dieser Welt einfing. Entsteht. Will berühren, aufrütteln.
Richard Powers schreibt über die Erwärmung der Ozeane ebenso wie über die Macht, die Daten-Sammler und Daten-Verkäufer über uns haben. Sie sind die Herren der vorherrschenden Meinung, sie steuern, manipulieren, beeinflussen gar die Weltpolitik. Im Roman erkennt Todd Keane, wie viel möglich wird, weit jenseits maßgeschneiderter Werbezusendungen und was möglich ist, wird am Ende auch genutzt. Die ohne Skrupel sind, stehen längst in der Schlange.
Die Geburtsstunde einer KI ist die eine Seite der Medaille dieser Geschichte, Überbevölkerung und die Auswirkungen des Klimawandels, die andere. Powers bringt beide Seiten auf eine Münze und beeindruckt mich damit, wie er sie verbindet, nicht trennt. Bei ihm bekommt man im Grunde zwei Geschichten in einer. Eine jede bevölkert er mit Personal das facettenreich und lebensecht aus den Seiten herausschaut. Nochmal Wow, weil sehr gern gelesen. Nicht zuletzt auch wegen seiner Sprache, Eva Bonné sei dank. Sie fließt wie das Wasser und streichelt die Szenen. Was sich ganz wunderbar lesen lässt.
“Jeder Tanz ist ein Spiel, und jedes Spiel erklärt sich am besten selbst. Denn was tun alle Geschöpfe anderes, als auf dem Erdkreis zu spielen, im Angesicht eines spielenden Gotts?” Textzitat Richard Powers
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