Montag, 19.12.2017
“Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät?”
Jep, Uhren und Kalender eilen zügig und unaufhaltsam auf den Jahreswechsel zu. Zeit für mich einmal einen Bick zurück auf mein Lesejahr zu werfen.
Was waren denn meine persönlichen Highlights in diesem Jahr? Welche Geschichten, welche Vorleser, welche Autoren hallen noch immer in mir nach und warum? Welche Texte haben mich angerührt, bewegt, durchgerüttelt, wach gehalten?
Ich streife an meinem Regal vorbei, blättere durch meine Rezensionen. Schnell flackern da Bilder auf, mein Kopfkino rattert los, Szenen gewinnen wieder an Schärfe. Gefühle wallen in mir auf, geraten in Widerstreit …
Ja – die Selma und die Luise! Ganz oben auf meiner Liste gelandet ist sie:
Mariana Leky mit ihrem “Was man von hier aus sehen kann“. Ohne Frage ein Hörbuch, das katapultartig auf meiner All-Time-Favorite Liste eingeschlagen ist, das auch wegen der wunderbaren Sandra Hüller, die diesen Text grandios eingelesen hat. Bei ihr hat sogar ein Anrufbeantworter Seele. Die Verbindung die hier das Geschriebene und das Gesprochene Wort eingehen, ist magisch. Die feinfühlig und warmherzig erzählte Geschichte von Selma, ihren Okapi-Träumen, dem Optiker, von Luise und ihrem Buddisten ist einfach nur liebenswert. Sofort wollte ich nach dem Beenden des Romans Koffer und Kisten packen und umziehen, in diese Dorfgemeinschaft am Apfelbach. Seufz!
Bereits am Anfang des Jahres gelesen und noch immer einer der besten Thriller, die ich je in den Fingern hatte, ist “Mysterium” von Federico Axat. Zwischen Wahn, Schein und Wirklichkeit ist man hier ganz schnell eingesponnen, wie in einen Kokon. Festgeschnallt auf einem Achterbahn-Sitz rast man mit dem Protagonisten in die Tiefe und wieder heraus, bis man nicht mehr weiß wo oben, wo unten, wo hinten und wo vorne ist. Ein Verwirrspiel der Meisterklasse!
Noch ein Titel den ich am Jahres-Anfang 2017 gelesen habe: Gerhard Jägers “Der Schnee, das Feuer, die Schuld und der Tod”. Naturgewalt vs. Vorurteile, Mord oder Unfall? In den Lawinenwinter 1950/51 verlegt Gerhard Jäger seinen Roman gegen das Schubladendenken. Beschwört die Stimmung in dem kleinen Bergdorf, das nach dem Lawinenabgang abgeschnitten ist so anschaulich, das einem die Nasenhaare gefrieren. Tragisch, alternativlos, aussergewöhnlich erzählt, mit einem feinen Spannungsbogen. Ein Buch über den Winter für den Winter, auf das unsere Herzen nie gefrieren mögen!
“Das Floss der Medusa” von Franzobel. Ihm hätte ICH den deutschen Buchpreis verliehen, auf die Short-List hatte er es ja schon geschafft. Ein Roman wie eine Naturgewalt, ihm ist nichts menschliches fremd, episch, grausam, historisch verbrieft und auf eine Art und Weise erzählt, die modern, unerhört, ganz anders und fraglos mitreissend ist. Reingeschnuppert in den Text, bin ich an ihm kleben geblieben wie eine Klette. Das muss man sich erst mal trauen, als Autor. Fabelhaft!
Marion Poschmann mit ihren “Kieferninseln“. Noch ein Roman von der diesjährigen Short-List des Dt. Buchpreises. Für die einen langweilig und konstruiert, für die anderen tiefsinnig – für mich sprachlich einfach nur schön, hat sie bei mir einen Nerv getroffen. Der Anlass für den Aufbruch unseres Helden nach Japan mag vielleicht irrational, oder an den Haaren herbei gezogen sein – aber Hej – geht es uns nicht allen manchmal so? Schlüsselerlebnis, Kurschlußhandlung und Zack – haben wir einen Weg eingeschlagen, von dem wir am Ende nicht wissen, wie wir hier eigentlich gelandet sind, werden wir hier doch auf uns selbst zurück geworfen und geraten schwerst ins Grübeln. Formulierkunst at it’s best!
“TYLL” Daniel Kehlmann – mein erster Roman von ihm und ich war total neugierig auf den einstigen Shooting-Star der deutschen Literatur-Szene. Eine vielleicht fiktive, historische Gestalt aus ihrem zeitlichen Kontext gerissen und als Leitfigur eingebettet in eine grausige, menschenvernichtende Zeit, den Dreißigjährigen Krieg. Geschrieben mit einer Sachlichkeit und mit einem Erzählstrom, der mich total angefaßt hat. Geschickt gewobene, lehrreiche, atmosphärische Zeitreise!
Pulitzer Preis-Träger und ich, da herrscht nicht immer Einigkeit. Dieser Roman hier hat quasi auf der Zielgeraden meines Lese-Jahres einen Sprint vom Feinsten hingelegt und so noch aufgeschlossen. Colson Whiteheads “Underground Railroad” entwickelt einen Sog, der mich am Kragen gepackt und bis zur letzten Seite nicht mehr los gelassen hat. An so mancher Stelle habe ich die Hand vor den Mund geschlagen um einen Aufschrei zu unterdrücken. Kritiker werden jetzt sagen, es habe ihnen an Details zum Netzwerk der “Railroad” gefehlt, gut – aber war das die Intension des Romans? Ich würde sagen nein, denn was macht Geschichte für uns nahbar? Es sind doch immer die Einzelschicksale und dieses hier, von Cora, hat es echt in sich!
Ja, dieser Roman, war dann eindeutig die Überraschung meines Lesejahres. Er hat mich auf eine wunderbare Reise tief ins Herz von Finnland geschickt. Jan Costin Wagner hat mich im besten Wortsinne mitgenommen in “Sakari lernt durch Wände zu gehen”. Ein unbeschwerter Sommer trifft auf Menschen mit Kummer und Sorgen im Gepäck. Ein Hörbuch, dass ich so schnell nicht vergessen werde, auch wegen der genialen Lesung von Matthias Brandt. Meisterhaft verbinden sich hier die poetische Sprache Wagners und die feinfühlige Art Brandts vorzulesen. So entsteht eine Symbiose, die diesen Roman für mich in den Hörbuch-Olymp erhebt. Großes Kino für die Ohren!
Ein neues Jahr wartet und damit viele Neu- oder Wiederentdeckungen in der bunten Welt der Bücher – und:
Ich freue mich auch in 2018 meine Leseerlebnisse in meiner Bücher-Apotheke mit EUCH teilen zu dürfen.
Darauf ein donnerndes “Ho, Ho, Ho” 🎅- von Eurer Petra!
P.S. Wer diese Titel ausführlicher kennen lernen mag, findet in der Bücher-Apotheke auch jeweils eine Einzel-Rezension …
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