Wie oft schon habe ich mich gefragt, wo all dieser Hass herkommt? Diplomatie scheint “out”, weltpolitisch wird wieder aufgerüstet. Die Nachrichten sind täglich übervoll mit Schreckensbildern und Meldungen. Angriffe auf die Zivilbevölkerung, auf Unschuldige, werden verurteilt. Neue Bündnisse geschlossen, alte verworfen. Im Kleinen, wie im Großen gilt, wo wir Toleranz und die Gesprächsbereitschaft verlieren, ist Frieden nicht möglich. Was passiert da, wenn es soweit kommt, das Schweigen und Lügen die Oberhand gewinnen? Ein Erklärungsversuch:
Ungebetene Gäste von Ayelet Gundar-Goshen
Ein Balkon. Umrankt von blühenden Bougainvilleen. Irgendwo in Tel Aviv.
Ein junger Mann liegt bäuchlings auf dem Gehweg vor einem Mehrfamilienhaus. Unterhalb eben dieses Balkons. Um seinen Kopf bildet sich eine Blutlache. Jemand ruft, man habe ihm einen Hammer an den Kopf geworfen und im fünften Stock renovierten Araber. In ihrem, einem jüdischen Viertel. Ein Anschlag? Es folgt ein Tumult. Der Verletzte verstirbt im Krankenhaus.
Der arabische Arbeiter, der in der Wohnung unter deren Balkon das Opfer lag gemalert hatte, war beauftragt die Balkonbrüstung von Naomi und Juval mit einem neuen Anstrich zu versehen, er war mit den Verdächtigungen gemeint, hatte zum fraglichen Zeitpunkt allerdings auf der Toilette gesessen. Uri, das Kleinkind der Wohnungseigentümer hingegen musste einen unbeobachteten Moment genutzt haben, zu gerne warf er Sachen um, der Hammer des Arbeiters jedenfalls fehlte und ein Farbeimer auf dem Balkon, auf den jetzt alle zeigten, war umgekippt …
Was dann geschieht wird genährt von Vorurteilen, Lügen und Schweigen und ist schlicht unglaublich, in seiner Verstrickung, seiner Eskalation, aber typisch Ayelet Gundar-Goshen. Besagter Arbeiter wird sofort verhaftet, man heftet ihm das Etikett “Terrorist” an und diejenige, die es besser weiß schweigt. Auch dann noch, als um ein Haar der dreizehnjährige Sohn des Arbeiters auf der Straße gelyncht wird, die Nachbarn vermuten einen weiteren Attentäter. Dabei hatte er seinem Vater nur das Mittagessen bringen wollen.
Juval schreitet ein, er und Naomi, sie besteht darauf, bringen den Jungen nach Hause in sein Dorf.
Dieser Hass! Er springt mich förmlich an, selten war ich so direkt und unmittelbar mitten drin in einer Geschichte, habe zu atmen vergessen. Es liegt eine Wucht in diesen ersten Kapiteln und ich denke, genau das ist ihr Ding, das von Gundar-Goshen, uns den Kopf schütteln zu lassen und mehr als einmal denke ich, das kann doch nicht wahr sein.
Bereits in ihrem Roman <Löwen wecken>, führte sie einen Arzt in Versuchung, lässt ihn in der Negevwüste Fahrerflucht begehen. Was hat sie mich da eiskalt erwischt! In <Wo der Wolf lauert> ist Antisemitismus ihr zentrales Element, als ein Schüler stirbt, verliert eine Mutter das Vertrauen in ihren Sohn, dessen Beteiligung nicht mehr länger beiseite zu schieben ist. Eine Belastungsprobe.
Zwei Erzählebenen wechseln sich in ihrem aktuellen Roman <Ungebetene Gäste> ab und Ayelet Gundar-Goshen packt jede Menge Cliffhänger zwischen ihre Kapitel.
In den Abgrund den Naomi reisst mag man nicht schauen. Verpasste Gelegenheiten, denke ich. Aus ihrem anfänglichen Zögern, sich wenigstens ihrem Mann anzuvertrauen, wenn auch ihr Verhältnis vielleicht nicht das beste ist, wird mehr und mehr ein “zu spät” und ein “wie kann sie jetzt noch ihr Schweigen erklären.”
Das meint man noch fassen zu können mit dem Herzen und dem Verstand, aber diese Gewalt, die sich Bahn bricht, die Akzeptanz so Vieler, die sich beteiligen. Die nicht.
Vernunft weicht Fanatismus. Hier prallen Parteien aufeinander. Wahlkampfgegner und deren Anhänger. Ja um Politik geht es auch, wenn auch nur am Rande, aber es hilft sich hineinzufühen, in eine Stimmung, die sich aufheizt durch unterschiedliche Weltanschauungen und nicht zuletzt trennt Religion einmal mehr, statt zu verbinden.
Ayelet Gundar-Goshen, die 1982 in Tel Aviv geboren wurde, dort Psychologie, später Film und Drehbuch studiert hat, arbeitet als Psychologin mit traumatisierten Menschen. Dieser analytische Blick mit dem sie auch ihre Figuren betrachtet kommt also nicht von ungefähr. Ihr Gespür für innere Zwänge, Prägung, ihre Beobachtungsgabe finde ich schlicht sensationell, in diesem Roman verhandelt sie zahlreiche Themen, einiges wird daher nur angerissen, hätte es verdient vertieft zu werden, aber wie sie Themen miteinander zuverheiraten versteht macht ihn zum Händeringen unglaublich. Auf den Punkt übersetzt hat diesen Ritt auf der Rasierklinge aus dem Hebräischen Ruth Achlama.
Am dritten Tag nach dem “Balkon-Vorfall” entscheidet sich Naomi, bricht ihr Schweigen und fährt endlich zur Polizei.
Es kommt zum Prozess, das Richtige getan zu haben, dieses Gefühls versichern sich Juval und sie fortan gegenseitig. Ihr Umfeld und die Opfer aber lassen sie spüren, dass man das auch anders sehen kann. In ihrer alten Wohnung, mit diesem Balkon, können Sie nicht bleiben. Sie ziehen um, zunächst nach Haifa zu Naomis Eltern. Flüchten dann nach Nigeria. Wo Juval einen Job annimmt, der nur auf den ersten Blick attraktiv ist.
Lagos. Eine neue Freundin. Eine Millionärin, umgarnt Naomi. Als klar wird warum und ein Zeitungsartikel aus der Feder der Freundin erscheint, erkennt Naomi die Falle. Ausgenutzt und beschämt, entfremdet sich im Streit ihr Mann immer mehr von ihr. Eine Psychologin, bei der Naomi für Uri Hilfe sucht, entpuppt sich als alte Bekannte Juvals. Sie übernimmt trotz ihrer persönlichen Befangenheit den Therapieauftrag, des von Alpträumen geplagten Kleinkindes. Erkennt, dass beide Elternteile den Schlüssel zur Ursache verheimlichen, verbirgt ihrerseits ein Geheimnis, dass sie mit Juval teilt …
Bei der Schilderung dieser Therapiesitzungen, den Gedanken und Gesprächen, wird deutlich, dass sich die Autorin hier auf sicherem Terrain bewegt. Sie weiß, wovon sie da spricht wenn es um die Behandlung von Traumata geht. Um notwendiges Einfühlungsvermögen. Gesprächstechnik und um Abgrenzung. Oder darum, was geschieht, wenn sie fehlt.
Geschickt zusammengefügte Begegnungen, der Zufall als Dirigent, reihen sich in dieser Geschichte aneinander, ergeben ein Gefüge aus Szenen und Situationen, in denen ich lange nur noch Oh Oh! denken konnte. Eine latent vorhandene Bedrohlichkeit schleicht sich zwischen die Sätze, was geschieht wirft mich hin und her und macht es mir unmöglich Partei zu ergreifen. Meine Gedanken jagten einander bis mir schwindelt.
Was aber war das jetzt am Ende? So gerne ich diese Geschichte mitverfolgt habe, so wenig habe ich ihren Schluß verstanden. Zusammengereimt habe ich mir meine Version. Ob es die ist, die die Autorin mir hat mitgeben wollen? I don’t know. Was vielleicht auch wieder Absicht ist, mich in dieser Mehrdeutigkeit stehen zu lassen. Mir hat es trotzdem den Gesamteindruck etwas verhagelt. Insgesamt fiel die Geschichte mit ihren letzten Kapiteln ab. Wirkte sich grundlos verzettelnd auf mich. Warum dieser Nebenkriegsschauplatz? Nach einem fulminanten Auftakt und einer cleveren Weiterentwicklung lässt mich das tatsächlich etwas unversöhnt zurück.
In der Hörbuch-Fassung bescherte mir eine brilliante Milena Karas zahlreiche Gänsehautmomente und bei aller Kritik, gebe ich daher für die sehr gelungene Hörfassung eine Empfehlung.
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