Zebras im Schnee (Florian Wacker)

Alte Fotos, teils verblichen, manche mit gewelltem Rand. Wer da zu sehen ist, fragen wir uns oft, nicht alle Abgelichteten kennen wir. Szenen kurzen Glück eingefroren in einer Aufnahme. Momente aus dem Leben anderer. Aus einer Zeit vor unserer Zeit. Wir schauen wie durch einen Spiegel. Mein Mann und ich auf die 1950ziger Jahre. Auf Unbeschwertheit in Sepia. Auf meine Schwiegereltern. Jung, am Beginn ihres gemeinsamen Weges und so wie wir sie nie gekannt haben.

Frankfurt liest alljährlich ein Buch, in diesem Jahr war es Zebras im Schnee. Kein Wunder das, geht es in dieser Geschichte doch um eine für die Mainmetropole prägende Zeit und um die Macht der Fotografie, um die Kraft, die es vermag Szenen unsterblich zu machen. Sie stammt aus der Feder von,

Florian Wacker, geboren 1980 in Stuttgart und bildet das bauhausnahe Stadtplanungsprojektes Neues Frankfurt, die Stadt Frankfurt am Main in den Goldenen Zwanziger Jahren als Kern seiner Erzählung ab, in die er zwei fiktive Künstlerinnen packt. Ella Burmeister, angehende Fotografin und Franziska Goldblum, die lieber malt. Wacker, der bereits zahlreiche Romane veröffentlicht hat, darunter auch “Weiße Finsternis“, den ich schon eine gefühlte Ewigkeit auf meiner Leseliste habe und für den er mit dem Robert Gernhardt Literaturpreis ausgezeichnet worden ist, verwebt offenbar gerne Historisches mit Gegenwärtigem. In seiner Weißen Finsternis geht es um zwei verschollene Seeleute, die Amundsen seinerzeit entsandt hat. Bei seinen Zebras im Schnee erfahren wir Lesenden von zwei jungen Frauen, die gemeinsam studieren, rebellieren gegen Konventionen, die im damaligen Frankfurt in Künstlerkreisen verkehren, in einer Zeit, die vor Lebenslust vibriert. Die unzertrennlich waren. Bis zum Erstarken der Nationalsozialisten, Anfang der 1930iger, da trennte sich beider Weg und Franziska Goldblum, Jüdin und Kommunistin floh, über Marseille nach Amerika …

Zebras im Schnee von Florian Wacker

Was für ein Geschenk! Mit ihm konnte man ihn einfangen, den warmen Wind, das Licht, die Schatten, den Mann mit dem Hündchen. Mit diesem kleinen Kästchen aus Aluminium. Einer Leica. Franziska hatte sie ihr geschenkt. Deren Vater hatte sie  mitgebracht und keine Verwendung dafür. Ella war sprachlos. Die Freundin hatte sich selbst übertroffen. Diese Kamera sollte ihr drittes Auge werden.

Ein Hörsaal, Zigaretten und Sekt. Erste Aufträge. Moselwein, Diskussionen über Politik. Schriftsteller Maler und Journalisten, bei der Fotografin Kari Hess gehen alle ein und aus und sie hat auch Ella eingeladen. Erste Fotos von Ella machen die Runde, finden Anerkennung.

Schlager live, tanzen, die ganze Nacht, der Vater im Drogistenkittel ermahnt sie. Ein anständiges Studium hatte er für sie gewollt, also war es die Mathematik geworden. Was sie jetzt trieb, gehörte sich nicht. Das musste ihr doch klar sein. Ella ist dreiundzwanzig, als sie den Eltern und ihrem Studium davon läuft, in die Arme von Max Hader. Um zu fotografieren und sich auszudrücken. Um zu werden wer sie sein will.

Partys, Charleston und Jazz. Eine verqualmte Radrennbahn und Theo Lingen, mit dem sie jetzt anstößt. Ella arbeitet für eine Zeitung. Ist mit Max verlobt und Franziska fremd geworden. Fotografiert das neue, im Bau befindliche Stadtbad. Die neue Großmarkthalle in Frankfurt. Sachlich nüchtern und zum Verlaufen groß ist die. Licht und Beton, Streben und Glas. Hier regiert die Zeit in Form einer ziffernlosen Uhr.

Was bedeutet Freiheit für Sie? Jedenfalls mehr als nur moderne Gebäude fotografieren, Hosen, Bubykopf und Boxtraining. Ilse will nach Paris um das herauszufinden. Sie würde Ella mitnehmen. Am Ende wird es aber Russland sein und Ella folgt Max. Weg aus Frankfurt, wo mittlerweile ein rotes Fahnenmeer regiert, Handgranaten in Kinos explodieren. Am Ural soll eine ganze Stadt entstehen und ihr Max, der Architekt, soll teil des Projektes werden. Magnitogorsk, so soll sie heißen, die Stadt am Magnetberg.

Bilder als Werkzeug. Als Vehikel. Sie trägt Verantwortung. Schärft man ihr ein. Mann wählt aus, was gedruckt wird, was es für die Augen der Welt zu sehen gibt und das ist nicht das, was Ella sieht. Es geht nicht um Kunst, es geht um Propaganda. Das versteht sie. Jetzt. Was wird sie tun?

Ich mochte es mit Ella durch den Sucher ihrer Kamera zu schauen, auf strenge Fassaden, Türme und Fensterraster. Auf Menschen, Entstehen, auch auf Armut. Sie ist wach und klug, bleibt sich treu. Immer. Florian Wacker schafft es, dass ich sehe was sie sieht und wie sie es sieht. Einen Großteil seiner Geschichte verbringen er und ich mit ihr, sie ist seine zentrale Figur. Er lässt sie erkennen, wie sehr man versucht sie zu instrumentalisieren, wo sie doch gedacht hat, sie sei dabei sich zu emanzipieren und sie werde aufrichtig geliebt.

Nicht nur für alle, die selbst gerne fotografieren und für Frankfurter:innen ist dieser Roman ein Tipp. Als Bücherwurm bin ich in den vergangenen Jahren regelmäßig in Frankfurt gewesen. Ihrer Messe wegen. Auch einmal zur langen Nacht der Museen. Die Stadt selbst, ihre Architektur, ist da allerdings zu kurz gekommen, es gibt wohl noch einige Ecken, die sich zu entdecken lohnen. Diese Geschichte macht Lust darauf. Das schafft ihr Autor mühelos und nebenbei, wenn er von Irrwegen, vom Suchen, Verlieren und Finden, von einer Freundschaft, die mehr hätte sein können erzählt. Ihm ist ein, wie ich finde, sehr stimmiger und stimmungsvoller Blick auf diese Zeit gelungen, die er teils mit fiktiven Figuren bevölkert, dann wieder mit solchen, die diese Epoche und insbesondere Frankfurt geprägt haben.

Unter ihnen Ernst May, der 1925 zum verantwortlichen Planungsdezernent der heutigen Mainmetropole wurde. Er und seine eingeschworene Gruppe von Architekten und Kunstschaffenden erhoben die Stadt rasch zu einem Zentrum der Avantgarde. Wacker lässt im Roman seine Protagonistin Ella diese Bewegung und ihr Schaffen berühren. Was spannend zu erlesen ist.

“Veronika der Lenz ist da” ... , immer wieder hat es auch Schlagerbilder, dann Aufmärsche der Polizei und Schlagstöcke. Man spürt ein heraufziehendes Dunkel. Lebendig, konsumig und ausgesprochen gut unterhalten werden, das darf man von diesem Roman erwarten. Charmant, nachdenklich und sehr kurzweilig bietet er einen geschickt komponierten Fakten-Fiktions Mix. Die Figurenzeichnung ist glaubwürdig und so, das sie gut und gerne in Serie gehen könnte. Apropos Serie. Irgendwo habe ich den Vergleich mit Babylon Berlin und Volker Kutschers Romanreihe um Gereon Rath gelesen. In ihrer Unbeirrbarkeit gleichen sich die Figuren der Charlotte Ritter und Ella Burmeister tatsächlich. Auch die Leidenschaft für durchtanzte Nächte, das um den Alltag verblassen zu lassen, teilen beide. Doch ja, da gibt es Gemeinsamkeiten. Aber auch genügend eigenständiges.

Wer jetzt ganz Ohr ist, kann die Geschichte auch hören. Passend zur Aktion Frankfurt liest ein Buch 2024 hat hr2-kultur eine Lesung mit Sarah Grunert produziert und in der ARD Audiothek online gestellt. Sie kann dort noch kostenlos bis 15.10. 2024 angehört werden und lohnt sich. Ach, ja, ob das Projekt der Frankfurter Schuld daran trägt oder nicht. Wackers Geschichte ist auf die Spiegel Bestenliste eingestiegen und geklettert bis Platz 14, was ich gesehen habe. Gratuliere und gute Unterhaltung Euch beim Entdecken!

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