Notizen zu einer Hinrichtung (Danya Kukafka)

In einem Artikel der Zeitschrift “Stern” aus dem Januar diesen Jahres lese ich, dass die Mehrheit der Amerikaner, um die 55%, noch immer die Todesstrafe für verurteilte Straftäter befürwortet, die Anzahl der Vollstreckungen aber immer mehr abnehme. Es fehle an Fachpersonal, an Geld und Gift. Durchschnittlich koste den Staat ein Straftäter inkl. Hinrichtung zwischen 20 und 50 Millionen US-Dollar, je nach Bundesstatt und damit etwa achtmal mehr als eine lebenslange Haftstrafe. Neue Verfahren werden “getestet”, Stickstoff heißt die Methode, welche künftig die Giftspritze ersetzen könnte. Immer länger warten inzwischen Verurteilte im Todestrakt, waren es 1984 durchschnittlich noch sechs Jahre, liegt die Zeit zwischen Verurteilung und Vollstreckung mittlerweile bei bis zu zweiundzwanzig Jahren. Demnach werden also nicht nur moralisch ethische Fragestellungen in Bezug auf die Todesstrafe erörtert, sondern man glaubt es nicht, eben auch banal betriebswirtschaftliche.

Notizen zu einer Hinrichtung von Danya Kukafka

Ansel Packer, Gefangener 999631, heute ist der Tag seiner Hinrichtung. Das erfahren wir als diese Geschichte beginnt. Von ihm. Wir treffen auf ihn, den hier alle im Block “den Mädchenkiller” nennen, zwölf Stunden vor der Vollstreckung. Sein Frühstück vergammelt am Boden. Seine Gedanken sind auf die Vergangenheit gerichtet. Damit die nahe Zukunft ihn nicht beschäftigt. Doch etwas in der nahen Zukunft beschäftigt ihn doch. Er hat einen Plan für seine Flucht gefasst und eine Helferin gewonnen. Vielleicht.

Lavender ist siebzehn, als sie einen Sohn in einer Scheune zur Welt bringt. Ihren Sohn. Sie und Johnny nannten ihn Ansel. 

Geschlagen. Mit dem Kopf gegen den Türrahmen. Für Ansels Mum Lavender war dies der Beweis. Ihre Mutter hatte recht behalten, Männer waren nicht so wie angenommen und ihrer war gewalttätig. Sie schaffte es mittels einer List und einer Fremden, sich zu befreien. Ließ ihre beiden Kinder zurück, da war Ansel fünf oder sechs Jahre alt und sein Brüderchen noch ein Baby. 

Danya Kukafka, geboren 1994 in Colorado/USA, lebt und arbeitet als Lektorin und Autorin in New York, landete bereits mit ihrem Debütroman Girl in Snow aus dem Stand einen Beststeller der in 18 Sprachen übersetzt wurde. Für ihren aktuellen Roman hat dies Andrea O’Brien ins Deutsche getan. Kukafka studierte bei Colson Whitehead, den ich sehr verehre, kreatives Schreiben. In diesem Roman betrachtet sie das amerikanische Rechtssystem kritisch und zeichnet für uns das Bild eines Frauenmörders, der mit der Frage hadert, wer er unter anderen Umständen hätte werden können.

Mir hat gefallen, wie sie die Opfer/Angehörigen Perspektive mit der des Täters abwechselt und aus der “Du-Perspektive” erzählt, wenn sie auf Packer in seiner Zelle schaut. Was sich so anfühlt wie das Selbstgespräch eines Schizophrenen wird in Wirklickeit von Außen betrachtet. Stilistisch ist dieser Kniff für mich ein cleverer und er ist mir auch bislang so noch nicht bewußt zwischen zwei Buchdeckeln begegnet.

Danya Kukafka lässt drei Frauen aus dem Leben eines Serienmörders zu Wort kommen. Lavender ist seine Mutter, sie wurde jung schwanger, von ihrem Mann fünf Jahre lang auf dessen Farm eingesperrt und beherrscht. Saffron Singh lernt Ansel als Teenager kennen. Eine Freundin und späteres Opfer verfällt dem charismatischen Jungen, der Tiere gerne von ihren Köpfen trennt. Als erwachsene Frau und Polizeiermittlerin wird sie in einen Fall eingebunden, der den Tod an drei jungen Frauen im Staat New York untersucht und ihre Intuition spricht gegen einen Landstreicher, den die Kollegen für den schnellen Erfolg verhaftet haben. Hazel ist die Dritte im Erzählbund Kukafkas und die Zwilingsschwester von Ansels letztem Opfer.

Alle Erzählfäden dieser Geschichte laufen auf einen Punkt zu. Ein Countdown zählt erst die Stunden, dann die Minuten. Bis zur bezeugten Vollstreckung des Urteils. Der Infusion mit einem tödlichen Gift.

Ein toter Fuchs als Schlüsselerlebnis. Ein kranker Geist, eine Mutter, die sich dafür entschieden hat zunächst sich zu retten und dann ihre Kinder. Die riskiert, das ob man ihre Kinder rechtzeitig findet, vielleicht auch nicht funktioniert. Die sich dann nicht mehr kümmert, was mit ihnen geschieht. Was sie hernach reut. Vielleicht wäre alles anders gekommen, vielleicht wäre ihr Ältester nicht zum Mörder geworden. Mit einem anderen Vater, mit einer anderen Mutter.

„Niemand ist nur böse. Niemand ist nur gut. Wir alle leben unter Gleichen in der Grauzone dazwischen.“

Textzitat Danya Kukafka Notizen zu einer Hinrichtung

Dieser Satz ist Bestandteil der sogenannten “Theorie”, die Ansel Packer ähnlich eines Manifestes in der Haft zusammenschreibt. Nein, ein Mord ist keine Bagatelle und die Art und Weise wie dieser Täter sich mittels einer Niederschrift zu erklären sucht, will ich schlicht nicht hören. Kukafka versucht in seinen Kopf zu schauen.

Wie gut kann man einen Menschen kennen? Wie kann man Zeichen erkennen, die auf eine derartige Fehlschaltung hindeuten? Wo und wie tragen aktives Wegschauen und Verleugnung zum Täterschutz bei? Hätte ein Ermittlerteam anders und besser arbeiten müssen?

Dies hier ist eine krasse Geschichte. Eine, die durch den sich ablösenden Wechsel verschiedener Blickwinkel, in Kombination mit dem unablässig herunterzählenden Countdown einer Hinrichtung erzählt wird.

Die Grundidee und das Erzählkonstrukt mochte ich. Was hätte sich daraus machen lassen! Bei mir hat es aber Summa Summarum nicht Klick gemacht. Im Gegenteil, eine gefühlte Überdramatisierung hat mich mehr und mehr den Kopf schütteln lassen. Die sich immer weiter verzweigenden und sehr detailreichen Ausflüge zu den Wegbegleiterinnen des Verurteilten und das förmliche Lesen seiner Gedanken und Motivation ist wortreich ausgestaltet. Die Autorin wolle auf das Menschliche hinter den Taten schauen, erzählen ohne Klischees zu bedienen, so der Verlag. Für mich ist das nicht wirklich geglückt. Wohltuend ist, das Kukafka nicht die Taten selbst haarklein aufbereitet, allerdings lässt sie während des Berichtens, was Angehörige, Freunde der Opfer, der Täter selbst und seine Mutter durchleben, unterwegs kein Thema liegen. Gleich ob Kindesmisshandlung, Migrationsproblem, Fluchtfantasien, Frau im Männerberuf, Queerness oder die Suche nach einem verlorengegangen Vater. Was für mich den Roman überfrachtet.

Schuld und Scham beherrschen die Geschichte und ich werde wütend. Das schafft Danya Kukafka. Es kann nicht richtig sein, einen Todeskandidaten so schmoren zu lassen. Wenn das wirklich so vonstattengeht, ist das eine unfassbare psychische umd physische Quälerei. Würde einem Tier so etwas angetan, wären mit Sicherheit sämtliche Verbände auf dem Tisch.

Kann dieser Roman es also schaffen darüber eine Diskussion in Gang zu setzen, dann bin ich dabei. Dieser Blick auf das Justizsystem und seine Fallstricke machen mich nachdenklich. Eine mehr nüchtern angelegte Erzählart hätte für mich die Geschehnisse und das was sie auslösen wesentlich stärker betont, als das hier gewählte große Drama, die doch teils sehr große Geste.

Die Hörbuch-Fassung zu diesem Roman wird von einem meiner Lieblingssprecher gelesen Stefan Kaminski, ihn ergänzt in diesem Fall perfekt Inka Löwendorf. Beide lesen mit Körper und Stimme und machen ihren Job grandios, konnten die Geschichte für mich aber nicht so drehen, dass mein Daumen am Ende nach oben geht, er bleibt auf Halbmast.

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